Kitzbüheler Anzeiger
01.11.2015
News  
 

Das Gefühl, nicht genug zu tun

Jasmin Özcan aus St. Johann hat die Hilflosigkeit und Überforderungen der Menschen auf Lesbos hautnah miterlebt. Sie war  Ende August als freiwillige Flüchtlingshelferin vor Ort.

Lesbos | Eigentlich wollte Jasmin Özcan im August in einem Flüchtlingslager in der türkischen Ortschaft Suruc, an der syrischen Grenze, mitarbeiten. Aufgrund eines Anschlages, wo 34 Menschen getötet und zahlreiche verletzt wurden, war dies aber nicht möglich und so musste sie ihren Plan ändern. Von Istanbul aus machte sie sich auf eigene Initiative mit Freunden auf nach Lesbos, um als freiwillige Helferin zu arbeiten.

Zu Beginn schon die Ernüchterung: Bepackt mit Hilfsgütern wurden sie und ihre Kollegen nicht wirklich freundlich in Griechenland empfangen. „Sie haben uns vorgeworfen, dass wir die Hilfsgüter aus der Türkei mitbringen und dafür in der EU keine Steuern bezahlen. Erst nach eingehender Untersuchung durch den Grenzschutz und nach Einsatz eines Drogenhundes sind wir auf die Insel gekommen“, erzählt Jasmin, die in Innsbruck „Soziale Arbeit“ studiert hat.

Die Einheimischen auf Lesbos schauen weg

Auch in dem Ort Molyvos, wo sie zusammen mit anderen Freiwilligen in einer Ferienwohnung wohnte, hatte sie nicht das Gefühl, dass die Arbeit der Freiwilligen geschätzt wird. „Es kam uns so vor, als ob der Großteil der Einwohner eher beide Augen zudrücken und das Leid nicht sehen will“, sagt die 30-Jährige.

Keine Toiletten, keine Duschen, kein Arzt

Aus einer privaten Initiative heraus hat sich ein Unterstützerkreis aus einer Handvoll Einheimischen und Freiwilligen aus aller Welt aufgebaut, um die vielen ankommenden Menschen mit Wasser, Lebensmitteln und trockener Kleidung versorgen zu können. „Unterstützung von offiziellen europäischen Hilfsorganisationen gab es in Molyvos nicht“, schildert Jasmin. Die Lage vor Ort: Es gab keine Toiletten, keine Duschmöglichkeit und keine ärztliche Versorgung für die Menschen, die mit Booten ankamen.  „Die Menschen mussten auf einem staubigen Parkplatz auf Matten und Kartons übernachten, bevor sie versuchten weiter in die Hauptstadt zu reisen“, erzählt Jasmin.

Die Hauptstadt von Lesbos, Mytilini, ist 65 Kilometer entfernt, nur kranke und alte Menschen sowie Familien mit Kindern durften den Bus in Anspruch nehmen. Der Rest musste den zwei bis dreitägigen Fußmarsch in Kauf nehmen. „Man kann sich im Traum nicht vorstellen, wie viele Menschen jeden Tag da mit dem Boot ankommen. Am schlimmsten war für mich diese Ohnmacht, die ich gefühlt habe. Mir kam vor, als einzelne Person nicht genug helfen zu können“, so die St. Johannerin.

Lachende Kinder trotz Erschöpfung und Hunger

Als ehrenamtliche Helferin hat sie Momente erlebt, die sie nie wieder vergessen wird. „Mich hat die Dankbarkeit der Flüchtlinge sehr beeindruckt. Sie boten uns Essen an, obwohl sie selbst fast nichts hatten. Ich sah Kinder, die erschöpft, müde und hungrig waren, aber trotzdem lachten, weil sie in Europa endlich in Sicherheit sind “, erzählt Jasmin.

Menschen flüchten aus Hoffnungslosigkeit

Einige unterstellen den Menschen, dass sie nur aufgrund der wirtschaftlichen Lage nach Europa wollen. „Die meisten Menschen kamen aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak - dort herrscht Krieg. Dass Menschen ausschließlich aufgrund der wirtschaftlichen Lage flüchten, wird der Wirklichkeit nicht gerecht. Angst und Hoffnungslosigkeit sind das Hauptmotiv. Wir im Westen haben einen Einfluss darauf und tragen die Verantwortung für viele Ursachen, die zur Flucht führen. Dass nicht nur Gewalt, sondern auch Armut für eine Flucht sorgen, ist klar. Doch wer keine Flüchtlinge will, sollte damit aufhören andere Länder auszubeuten“, findet Jasmin klare Worte.

Mit ein paar Menschen, die sie auf Lesbos kennengelernt hat, ist sie noch in Kontakt. Einige sind mittlerweile gut in Europa angekommen. Ob sie im nächsten Sommer wieder in einem Flüchtlingslager helfen wird, steht noch nicht fest. Jasmin engagiert sich aber auch daheim. „Als Sozialarbeiterin werde ich sicher noch mit Flüchtlingen zusammenarbeiten“, so die St. Johannerin. Ein Zitat, dass Jasmin Kraft gibt lautet: „Unser Nächster ist jeder Mensch, besonders der, der Hilfe braucht“ (Martin Luther).
Johanna Monitzer

Bild: Jasmin Özcan (re.) mit einer Gruppe Helfern und Flüchtlingen.

 
Kontakt
Tel.: +43 (0) 5356 6976
Fax: +43 (0) 5356 6976 22
E-Mail: info@kitzanzeiger.at
Virtuelle Tour
Rundblick - Virtual Reality
Werbung
 
Zurück Aktuelle Gemeinde Archiv Suchen