100 DNA-Spuren unter der Lupe
Das Ermittlungsverfahren im Fall Leon ist abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt: Der Vater hat seinen Sohn getötet. Der Angeklagte hat zwei Wochen Zeit, Einspruch zu erheben.
Innsbruck, St. Johann | Seit über einem Jahr sitzt der 39-jährige Vater des kleinen Leon in Untersuchungshaft – nachdem im August 2022 der schwer beeinträchtigte Bub in der Ache in St. Johann ertrunken war, verdichteten sich offenbar Hinweise, dass der Überfall auf dessen Vater nur vorgetäuscht war. Der sechsjährige Bub sei an diesem frühen Sonntagmorgen beim Spaziergang aus dem Buggy geklettert und in die Ache gestürzt. So die Aussagen des Vaters, nachdem er ohnmächtig auf der Allee gefunden worden war.
Jetzt, eineinhalb Jahre später, hat die Staatsanwaltschaft Innsbruck Anklage erhoben. Sie ist überzeugt, dass der Mann – für den die Unschuldsvermutung gilt – seinen Sohn in die zum damaligen Zeitpunkt Hochwasser führende Kitzbüheler Ache warf oder stieß, weshalb das Kind ertrank und etwa 1.500 Meter flussabwärts an einer Sandbank nur mehr tot geborgen werden konnte. Die Staatsanwaltschaft geht weiters davon aus, dass der Angeklagte danach einen Raubüberfall vorgetäuscht hat, indem er sich mit einer an den Tatort mitgebrachten Flasche selbst auf den Hinterkopf schlug und sich dadurch selbst oberflächliche Verletzungen zufügte. Die Flasche habe er danach am Asphaltboden zerschlagen und sei dann am Boden liegend verharrt, bis ihn ein zufällig vorbeikommender Spaziergänger entdeckte und die Rettungskette in Gang setzte.
Nach monatelangen Ermittlungen wurde jetzt die Anklage wegen des Verbrechens des Mordes und des Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung erhoben.
Der Angeklagte selbst hat die Vorwürfe immer von sich gewiesen. Die Untersuchungshaft wurde in den letzten Monaten regelmäßig verlängert. Der Vater bleibt dabei, dass er unschuldig ist. Wie er aussagte, sei er an diesem Sonntagmorgen mit seinem Sohn spazieren gegangen, habe dabei mit einer Hand den Kinderwagen mit seinem Sohn geschoben und in der anderen einen Schirm gehalten, als er plötzlich einen „Blitzschlag im Kopf“ verspürt habe. Er könne sich erst wieder erinnern, dass Leute neben ihm gestanden seien und ihn angesprochen hätten.
Die Anklage gründet im Wesentlichen darauf, dass die Staatsanwaltschaft nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens davon ausgeht, dass der Angeklagte versucht hat, einen Raubüberfall vorzutäuschen, was wiederum nur damit erklärt werden kann, dass der Angeklagte seine eigene Tat verschleiern wollte und selbst für den Tod des Kindes verantwortlich ist.
Überwachungskameras ausgewertet
Im Zuge der Ermittlungen wurden über 60 Personen befragt, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Hansjörg Mayr, informiert. Es wurden mehrere Sachverständigengutachten aus den Bereichen der Gerichtsmedizin, der Neurologie und Psychiatrie und Datenforensik eingeholt. Rund 100 DNA-Spuren wurden analysiert und mit rund 50 verschiedenen Personen abgeglichen. Die Aufnahmen mehrerer Überwachungskameras wurden gesichtet und ausgewertet. Mehrere Datenträger, wie Mobiltelefon und Laptop, wurden, teilweise auch durch IT-Sachverständige, untersucht. Telefondaten wurden ausgewertet. Es wurde überdies überprüft, welche Mobiltelefone zur Tatzeit in der Gegend des Tatortes eingeloggt waren.
Wie Hansjörg Mayr betont, wird die Staatsanwaltschaft, um eine unbefangene und unbeeinflusste Entscheidung der Geschworenen zu gewährleisten, keine weiteren Informationen zu den Ergebnissen der Ermittlungen erteilen. „Das bleibt der öffentlichen Verhandlung vor den Geschworenen vorbehalten“, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft.
Der 39-jährige Angeklagte kann in jedem Fall im Laufe der nächsten Woche noch Einspruch gegen die Anklage erheben. Ob dieser Weg eingeschlagen wird, sei noch nicht entschieden, wie Anwalt Matthias Kapferer auf Anfrage erklärte. Anwalt Albert Heiss hatte jedoch schon vor einigen Wochen im Rahmen einer Pressekonferenz die „mangelhafte Spurensicherung und Auswertung“ kritisiert. Die Behörden hätten sich viel zu früh auf den Vater als Täter fokussiert.
Sollte es zu einem Einspruch kommen, ist das Oberlandesgericht am Zug – sollte einem Einspruch stattgegeben werden, wird das Ermittlungsverfahren weitergeführt. Wird der Einspruch abgewiesen, wird die Anklage rechtskräftig. Das ist natürlich auch der Fall, wenn es keinen Einspruch gibt. Dann kommt es zur Hauptverhandlung. Die Vorbereitung wird jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen, so die Staatsanwaltschaft. In einem Fall wie diesem kann die Untersuchungshaft auf bis zu zwei Jahre ausgedehnt werden. Derzeit gilt in jedem Fall die Unschuldsvermutung. Margret Klausner
Bild: Die Gedenkstätte an der Achenallee erinnert an den kleinen Leon, der im August 2022 im Fluss ertrank. Foto: Klausner