345 Euro für das Wenden des Pkw
Ein Autolenker drehte um, geriet dabei unwissentlich auf Privatgrund, wurde fotografiert und in weiterer Folge zur Kasse gebeten. Ein Vorfall, der sich an Ort und Stelle offenbar wiederholte, wie sich im Zuge der Recherchen herausgestellt hat.
Kitzbühel | Es ist eine Situation, wie sie tagtäglich zigmal passiert: Man verfährt sich, wendet den Wagen und fährt zurück. Diese Vorgehensweise praktizierte vor wenigen Wochen auch ein Autolenker im Zentrum von Kitzbühel. Mit dem einzigen Unterschied, dass dem Urlaubsgast Tage später das Schreiben eines deutschen Anwalts ins Haus flatterte. Seither versteht der Mann die Welt nicht mehr: „Ich soll jetzt 345 Euro zahlen, nur weil ich kurz umgedreht habe. Wie hätte ich denn wissen sollen, dass ich dabei mit der Front meines Wagens auf Privatgrund geraten bin?“, fragt er fassungslos.
Konkret wird ihm in dem Schreiben des deutschen Anwalts, das dem Kitzbüheler Anzeiger vorliegt, eine Besitzstörungsklage angedroht und gleichzeitig ein Vergleichsangebot unterbreitet. Der betreffende Pkw-Lenker habe „unbefugt das Grundstück seines Mandanten befahren, indem auf dem Grundstück gewendet wurde“, lautet der Tatvorwurf des deutschen Anwalts (Name und Anschrift der Redaktion bekannt). „Dies ist generell eine Störung des ruhigen Besitzes meines Mandaten, darüber hinaus wird auf einem Schild ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Unbefugten das Betreten und Befahren untersagt ist“. Drei Fotos in der Anlage sollen den Tatvorwurf untermauern.
Sein Mandant werde Besitzstörungsklage erheben, sofern das Vergleichsangebot bis Ablauf der gesetzten Frist nicht angenommen würde, heißt es weiter in dem Schreiben. Gleichzeitig müsse die beigefügte Unterlassungserklärung unterschrieben werden.
Beim betroffenen Pkw-Lenker stößt die Vorgehensweise naturgemäß auf Empörung: „Als ich das Auto gewendet habe, war weder eine böse Absicht dahinter, noch war für mich Privatgrund erkennbar. Ein Hinweisschild habe ich nicht gesehen“, bekräftigt er erschüttert.
Sechs weitere Lenker mit dem selben Problem
Im Zuge von Recherchen wurde allerdings augenscheinlich, dass es sich bei dieser Causa in Kitzbühel offenbar um keinen Einzelfall handelt. Auch die Kitzbüheler Anwaltskanzlei Dr. Wendling und Partner hat mit der offensichtlich schon mehrmals praktizierten Vorgehensweise des vermeintlichen Kitzbüheler Hauseigentümers bereits Bekanntschaft gemacht: „Sechs Pkw-Lenker, die an der selben Stelle ihren Wagen umgedreht und dabei geringfügig das Grundstück befahren haben, haben uns um Rechtsauskunft ersucht“, schildert Horst Wendling. Es sei davon auszugehen, dass sich noch weitere ansässige Kanzleien mit der Causa befassen.
Aus seiner Sicht liege keine Besitzstörung vor, hält Wendling weiters fest. „Bei einem kurzen Wendemanöver handelt es sich um einen geringfügigen Eingriff. Der Grad und die zeitliche Intensität der Nutzungsbeeinträchtigung geht gegen Null und stellt daher keine Störung im Rechtssinn vor.“ Die gerichtliche Geltendmachung derartiger Eingriffe verstoße gegen das Schikaneverbot.
In dem konkreten Fall sei außerdem nicht klar erkenntlich, wo das öffentliche Gut endet und das private Gut beginnt, argumentiert Wendling nach einem Lokalaugenschein, da der gesamte Bereich – Gemeindestraße und Privatgrundstück – gepflastert seien. „Eine ins Auge fallende Grenzziehung, etwa durch Einzäunung, Schranken, Blumentröge oder große Steine, gibt es hier nicht“, stellt der Anwalt fest.
Wendling: „Abgrenzung muss deutlich sein“
Das an der Hausmauer angebrachte Hinweisschild, mit dem das Betreten und Befahren des Grundstückes untersagt wird, sei auf den ersten Blick gar nicht erkennbar. Fragwürdig, so Wendling, sei außerdem die Tatsache, dass direkt vor der betreffenden Liegenschaft auf der Eisenstange eines Verkehrszeichens (Park- und Halteverbot)der Stadtgemeinde ein privates Schild angebracht wurde, auf dem eine Besitzstörungsklage bei Wenden auf Privatgrund hingewiesen wird.
Darüber hinaus weiß Anwalt Horst Wendling mit weiteren pikanten Details aufzuwarten: „Aus dem Grundbuchauszug gehe hervor, dass der vermeintliche Kitzbüheler Hausbesitzer gar nicht Eigentümer der Liegenschaft ist und unter dieser Adresse auch keinen Hauptwohnsitz gemeldet hat.“ Das sei durch eine Abfrage im zentralen Melderegister zum Vorschein gekommen.
Dass eine Besitzstörungsklage im Fall des Falles vor einem österreichischen Gericht erhoben werden würde, stößt dem Kitzbüheler Anwalt sauer auf: „Das dafür zuständige Bezirksgericht Kitzbühel hat meiner Ansicht nach andere, notwendigere Angelegenheiten zu lösen. Außerdem geht für mich nicht klar hervor, ob der deutsche Anwalt überhaupt eine Zulassung für Österreich hat.“ Alexandra Fusser
Bild: Neben dem Pfarraubach steht das Verkehrszeichen (Park- und Halteverbot) der Stadtgemeinde Kitzbühel. Darunter wurde eine private Hinweistafel angebracht. Foto: Fusser