Der Liebe wegen ging Birgit Glasserman-Widhölzl nach Israel
Heulende Sirenen, Raketenhagel, Bombeneinschläge: grausamer Alltag für die Zivilbevölkerung in Israel und im Gazastreifen. Bis zur Feuerpause erlebte eine Fieberbrunnerin den eskalierenden Nahostkonflikt hautnah mit – im Süden Israels, nur wenige Kilometer vom Gazastreifen entfernt.
Beer Sheva, Fieberbrunn | „Unsere Gedanken sind bei allen, die gerade durch diese von Menschen gemachte Hölle gehen, egal auf welcher Seite der Mauer“, sagt Birgit Glasserman-Widhölzl.
Die Fieberbrunnerin lebt seit 2014 in Israel, der Heimat ihres Ehemannes Gal. Im Süden des Landes, in einem kleinen Ort in der Negev-Wüste, hat das Paar vor wenigen Jahren sein gemeinsames Domizil aufgeschlagen. Nur jeweils 30 Minuten von den israelischen Städten Beer Sheva und Ashkelon sowie 30 Autominuten vom Gazastreifen entfernt. Genau dort, wo beidseitige Dauer-Angriffe die Erde zum Beben brachten.
30 Sekunden Zeit für die Flucht in den Bunker
Elf Tage lang dauerte dieser Ausnahmezustand bis die Waffenruhe am 21. Mai ausgerufen wurde. Für die 40-jährige Tirolerin eine bislang nicht gekannte Extremsituation. Elf Tage in ständiger Alarmbereitschaft; elf Tage unter kreisenden Hubschraubern, überfliegenden Kampfraketen und bei anhaltenden Breaking News im Fernsehen, die vor weiteren Angriffen warnten. Elf Tage im Krieg, der Opfer auf beiden Seiten forderte. „Hier haben wir Bunker, in denen wir uns einigermaßen sicher fühlen, das haben die Menschen im Gaza nicht. Es ist ein enormer Druck“, beschrieb Birgit Glasserman-Widhölzl die aktuelle Situation in einem ZIB-Interview vom 17. Mai.
Ein Bunker ist in Israel durchaus nichts Ungewöhnliches, sondern ein Teil des vorhandenen Wohnraumes. „Diese saftey rooms werden häufig als Gästezimmer benutzt“, beschreibt Birgit Glasserman. In den letzten Wochen ist der Bunker allerdings zum Zufluchtsort geworden, der das Überleben sichert. Sobald die Sirenen heulen, bleiben 30 Sekunden Zeit, um darin Schutz zu suchen. „Dann legt man sich auf die Matratze oder auf den Boden und wartet ab. Es kann eine Minute dauern oder auch 15 Minuten, bis alles vorbei ist. Bei Einschlägen, sowohl in Israel wie auch im Gaza, klirren bei den Glassermans die Fensterscheiben und es wackeln die Wände. Birgit Glasserman: „Da denkt man schon nach, was auf uns noch zukommen kann. Es ist surreal, was gerade abläuft.“
„Adrenalin-Kicks hauen mich aus den Latschen“
Ist wieder Ruhe eingekehrt, weicht die extreme Anspannung allmählich einem Erschöpfungszustand: „Wir versuchen uns abzulenken, kochen gemeinsam oder trinken Kaffee. Wir gehen in den Garten, schauen nach, ob noch alles steht und telefonieren mit Angehörigen und Freunden. Über das Fernsehen erfahren wir, wo es eingeschlagen hat. Und urplötzlich ist man todmüde und will nur schlafen.“
Mit der ständigen Bedrohung versucht die diplomierte Sozialpädagogin so gut wie möglich umzugehen. In Angst und Panik sei sie nicht, nur sehr müde, sagt sie. Anders als ihre israelische Familie und die Freunde vor Ort habe sie freilich keine Routine in derartigen Extremsituationen. Sie erzählt davon, wie sie sich vor plötzlichen Raketenangriffen schützte, als sie mit ihrem Mann im Auto unterwegs war. „Als die Sirenen heulten, haben wir uns sofort auf die Straße gelegt und die Hände über dem Kopf verschränkt.“
Noch viel schmerzlicher als die eigene Lage sei für sie hingegen, dass die Mutter im heimatlichen Fieberbrunn, nur dreieinhalb Flugstunden entfernt, tagtäglich um die Tochter zittert. Birgit: „Wir telefonieren mehrmals täglich, damit sie weiß, dass es mir gut geht.“
„Brauche das Reisen wie die Luft zum Atmen“
Birgit Glasserman-Widhölzl ist seit jeher Weltenbummlerin und Kosmopolitin. Das Reisen und das Kennenlernen fremder Kulturen, so erzählt sie, brauche sie wie die Luft zum Atmen. Sie fühle sich rund um den Erdball zuhause. „Ich glaube nicht an Grenzen, denn wir leben alle in dieser einen Welt. Von konventionellen Lebenseinstellungen und konservativen Werten habe ich mich schon vor Langem verabschiedet.“
Das Fernweh hat die Tirolerin schon in ganz jungen Jahren in die Welt hinausgelockt, nach Australien, Ägypten oder in die Karibik. Im Himalaya etwa, machte sie ein Yoga-Seminar, dann trampte sie mit dem Rucksack alleine kreuz und quer durch Indien. Dort traf sie auf Gal, ihren künftigen Ehemann. „Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich hab noch eine Saison als Skilehrerin in Scheffau gearbeitet, dann bin ich ausgewandert.“
„Sehr weltoffen und sehr gastfreundlich“
Von dem fernen Land, das ihr mittlerweile zur zweiten Heimat geworden ist, habe sie damals nicht viel gewusst, schildert Birgit, sie habe aber sehr rasch Land und Leute kennen und lieben gelernt. An den Israelis schätze sie deren Ehrlichkeit und Authentizität; die Mentalität beschreibt sie als kritikfähig, enorm gastfreundlich und weltoffen. Als Österreicherin werde sie hier sogar als Bereicherung gesehen, die die Welt der Israelis ein bisschen bunter und vielfältiger macht.
„Brennende Flaggen machen mir Angst“
Je länger sie sich mit dem Nahostkonflikt beschäftige, desto weniger könne sie ihn verstehen, sagt die Fieberbrunnerin. „Brennende Landesflaggen, wie sie im Fernsehen gezeigt wurden, machen mir weit mehr Angst als der Raketenhagel, unter dem wir schlafen gehen, denn Gewalt erzeugt noch mehr Gewalt. Wir hoffen jetzt auf eine gute und friedliche Lösung für alle Menschen, die hier leben.“
Israel will sie trotz allem nicht verlassen. „Ich lebe hier und ich bleibe hier, an der Seite meines Mannes, in guten wie in schlechten Zeiten. Wir haben hier unser Haus, Freunde und Familie, unseren Hund. Meinen Mann würde ich niemals alleine zurücklassen. Wir gehören zusammen, im Frieden wie auch im Krieg.“ Alexandra Fusser
Biografie
Birgit Glasserman-Widhölzl, geboren 1980 in St. Johann, aufgewachsen in Fieberbrunn. Lehre zur Einzelhandelskauffrau in St. Johann, dann Ausbildung zur Sozialpädagogin im zweiten Bildungsweg in Stams. Zehn Berufsjahre als Sozialpädagogin, dann Skilehrerin in Fieberbrunn und Scheffau, Animateurin und Moderatorin an Bord des Kreuzfahrtschiffes „Aida“. Bereiste auf eigene Faust Australien und Indien, absolvierte ein Yoga-Seminar im Himalaya.
Lebt seit 2014 mit Ehemann Gal Glassman in Israel, wo sie als Sozialpädagogin u.a. Holocaust-Überlebende betreute.
Betreibt seit März 2021 einen eigenen Blog auf dem sie das Leben aus ihrem Blickwinkel beobachtet: www.ballagan.net