Kitzbüheler Anzeiger
04.08.2024
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Geheimnisverrat und Widerstand

Weil er sich nach einer strapaziösen Fahrt in Kitzbühel ausschlief  und ihn seine Frau am Telefon verleugnete, kam ein Mitverschworener des  20. Juli 1944 nicht zum Einsatz. Er entging der von Hitler angeordneten Vernichtung, weil seine Verbindung mit Claus Graf von Stauffenberg nicht aufgedeckt  wurde.

Von Hans Wirtenberger

Hans Heinrich Herwarth von Bittenfelden (1904 – 1999) war bis 1939 im diplomatischen Dienst in Moskau, ab 1942 Adjutant von General der Kavallerie Ernst August Köstring, dem Kommandeur der Osttruppen, nach dem Krieg folgte eine weitere Beamtenkarriere in der Bayrischen Staatskanzlei in München, als Botschafter und Protokollchef unter Bundeskanzler Konrad Adenauer in Bonn.  1)

Gegen die Ostpolitik Hitlers
Die Lebensgeschichte von Herwarth ist ungewöhnlich. Er informierte  in Moskau befreundete westliche Diplomaten von einem geheimen Zusatz des Hitler-Stalin-Abkommens (1939), der die Aufteilung Polens vorsah. Im Jahr 1941 gab er die Angriffspläne Hitlers auf die Sowjetunion  an die Amerikaner weiter. Er tat dies als entschiedener Gegner von Hitlers Ostpolitik. Weil sein Bemühen erfolglos blieb, wurde es nie aufgedeckt. 

Innerhalb der Heeresgruppe Süd war er ein führender Mitarbeiter bei der Anwerbung fremdvölkischer übergelaufener Sowjetsoldaten und vertrat die Wehrmacht bei der Gründung des Komitees zur Befreiung der Völker Russlands.

Zusammenarbeit mit Stauffenberg
Ab 1942 hatte er Kontakte  mit Claus Schenk Graf von  Stauffenberg. Er entging der gnadenlosen Vernichtung der Putschisten  nach dem Scheitern der „Aktion Walküre“ am 20.Juli 1944. An diesem Tag war Herwarth  in Kitzbühel. Das und eine kluge Entscheidung seiner Frau dürften  ihm das Leben gerettet haben.

Herwarth schildert seine Zusammenarbeit mit Claus Graf von Stauffenberg ausführlich, stellt aber klar, dass er nicht dem engsten Kreis angehörte und ihm keine konkrete Aufgabe zugewiesen war.

Herwarth wechselte im Sommer 1942 in die Organisationsabteilung des Oberkommandos des Heeres, wo er Stauffenberg begegnete. Gespräche zeigten ein gemeinsames Anliegen, nämlich Hitlers Ostpolitik entgegenzuwirken. Von einem wirklich organisierten Widerstand gegen das System war noch nicht die Rede.

Aus Besprechungen mit Offizieren an der Ostfront hatte Herwarth Kenntnis vom nationalsozialistischen Massenmord an den europäischen Juden,  die er im Mai 1942 an Stauffenberg weitergab. Dieser informierte ihn über seine Pläne, Hitler zu töten und den Krieg zu beenden.

Mitte Dezember 1942 wurde Herwarth zu einer Konferenz einberufen und sprach dort. Am Ende dankte Stauffenberg für die Ausführungen zur Vorgangsweise im Osten, mit der er voll übereinstimmte. Sie vereinbarten eine Fortsetzung ihrer Gespräche zwischen Weihnachten und Neujahr.

Herwarth feierte in Kitzbühel  mit der Familie Weihnachten und die Taufe der Tochter. Nach dem Blitzbesuch war er am 27. Dezember wieder bei Stauffenberg.

Wir analysierten wieder einmal die Lage und überlegten uns, welche Schritte unternommen werden müssten, um dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten. Wir wussten, dass dieses Treffen ein Abschied war und das Ende der gemeinsamen Anstrengungen für die Freiwilligen aus den unterdrückten Völkern der Sowjetunion bedeutete.

Ich eilte  nach Kitzbühel zurück und kam noch rechtzeitig, um Neujahr zu feiern. Kaum war ich wieder in Kitzbühel, übermittelte mir Stauffenberg schon den Befehl, so schnell als möglich zur Heeresgruppe A in den Kaukasus zurückzukehren. Ich war fest entschlossen, die 

verbleibenden zwei Tage im Kreis der Familie zu verbringen, zumal ich ahnte, was uns in den kommenden Monaten bevorstand.

Herwarth hielt sich im Jahr 1944 in Berchtesgaden in Bereitschaft. Im Juli kehrte Herwarth von einer Besprechung in Italien und einer angesichts der Luftüberlegenheit der Amerikaner sehr beeinträchtigten und sehr langen Fahrt nach Berchtesgaden zurück und machte Station bei der Familie in Kitzbühel.

Einsatz in Kitzbühel „verschlafen“
Ich traf am späten Nachmittag des 19. Juli ein. Von der langen, gefahrvollen Reise voller Zwischenfälle erschöpft, legte ich mich sofort schlafen. Kurze Zeit danach klingelte das Telefon. Meine Frau ging an den Apparat. General Stieff wollte mich sprechen, um mich sofort nach Salzburg zu beordern. Angesichts meiner Erschöpfung konnte sich meine Frau nicht dazu entschließen, mich aufzuwecken. Sie behauptete, ich sei noch nicht aus Italien zurückgekehrt und bat Stieff, am nächsten Morgen noch einmal anzurufen. Als Stieff sich am Morgen des 20. Juli wieder meldete, schlief ich noch immer und meine Frau verleugnete mich zum zweiten Mal. Im Lauf des Tages merkte ich, wie knapp ich dem Verhängnis  entgangen war. Ohne es zu wissen, hatte Pussi mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Noch am Abend hörten wir im Rundfunk, dass Stauffenberg ein fehlgeschlagenes Attentat auf Hitler unternommen hatte. Pussi wusste von meinen Kontakten mit Stauffenberg und erriet, dass ich in die Verschwörung verwickelt war.

Herwarth hatte ungewöhnliches Glück. Im Büro in Potsdam vernichtete ein Mitarbeiter  geistesgegenwärtig und mutig die Korrespondenz zwischen Stauffenberg und Herwarth, darunter anderem eine Notiz  vom 19. Juli, Stauffenberg  anzurufen.  Die vor dem Volksgerichtshof vernommenen Freunde machten  nicht einmal unter der Folter belastende Aussagen. Bis zum Zusammenbruch des NS- Systems dauerte der schreckliche Krieg noch zehn Monate. Millionen Menschen wurden getötet und Millionen aus der Heimat vertrieben.

Familie wohnte am Vorderaschbachweg
Die Biographie enthält auch einige Angaben zu  Kitzbühel. Elisabeth, geb. Freiin von Redwitz, geboren 1914, genannt „Pussi“,  seit 1935 die Gattin, hatte den Diplomaten bei seinen Einsätzen begleitet. Im November 1941 kam die Tochter Alexandra Christa Josefa in München zur Welt. Mutter und Tochter wohnten bis 1947 in Kitzbühel. Aktenkundig sind Aufenthalte im Bereich Seereith – Schwarzseestraße 101 a, und in Vorderaschbach 457 bei Dr.  Benedikt Lins, der im Jahr 1932 ein Grundstück aus dem landwirtschaftlichen Anwesen Vorderaschbach gekauft  und ein Haus errichtet hatte, das noch im Familienbesitz ist. Nach dem Einmarsch der Amerikaner wurde das Haus beschlagnahmt und die Wohnungen mussten geräumt werden. . 

Das Kriegsende erlebte Herwarth auf der Reiteralpe bei Lofer. Er fuhr zum Stab der ersten Panzerarmee in St. Johann in Tirol. Der Chef des Generalstabes, Generalmajor Hauser, stellte für General  Köstring ordnungsgemäße Entlassungspapiere aus.

Herwarth schlug sich nach der Verabschiedung im Chiemgau über den Schmugglerweg nach Kössen und weiter bis Kitzbühel durch. Am 13. Mai 1945 wurde er in Kitzbühel gemeldet.

Stundenlang anstellen um Blutwurst oder Brot

Mit wunden Füßen kam ich in Kitzbühel an. Das Haus, in dem wir wohnten, war von Amerikanern besetzt. Pussi hatte aber entgegen den Bestimmungen die Erlaubnis erhalten, in einem Mansardenzimmer wohnen zu bleiben. Dort hauste sie mit unserer österreichischen Köchin, die wir schon aus Russland mitgebracht hatten, einer jungen russischen Ostarbeiterin aus Sewastopol und unserer vierjährigen Tochter Alexandra. In dem ohnehin kleinen Raum fand auch ich noch Platz.

Die Wohnverhältnisse waren zwar beengt, aber es ging uns relativ gut. Unsere amerikanischen Soldaten, meist Studenten, verwöhnten Alexandra, die zum ersten Mal in ihrem Leben Schokolade bekam. Sie waren trotz Fraternisierungsverbot freundlich und nett. Als sie abzogen, hinterließen sie das Haus in tadelloser Ordnung, selbst die unter einem Bett versteckten Weinflaschen waren unberührt.

Nach meiner Rückkehr war ich zum ersten Mal seit langen Jahren in der ungewohnten Lage, keine Beschäftigung zu haben. Ich versuchte, mich so gut es ging, nützlich zu machen. Um vier Uhr morgens stellte ich mich um Blutwurst oder Brot an und kam nach einigen Stunden stolz mit dem Erstandenen zurück. Tagsüber versuchte ich mich im Garten im Gemüsebau. Während ich so friedlich vor mich hin werkelte, wurde Pussi eines Tages völlig unerwartet verhaftet und im Kitzbüheler Gefängnis eingesperrt. Ich konnte mir nicht erklären, warum sie und nicht ich verhaftet worden war, und suchte sofort die CIA auf.

„Schutzengel“ der Fremdarbeiter
Ich erklärte dort, ich sei nie ein Nazi gewesen, hätte der Widerstandsbewegung angehört. Und zwei meiner Vorgesetzten, Botschafter Graf von der Schulenburg und Oberst Graf Stauffenberg, seien hingerichtet worden. Es stellte sich heraus, dass sie an mir gar nicht interessiert waren, sondern Pussi verdächtigten, mit einer für Zwangsarbeiter zuständigen SS-Dienststelle zusammengearbeitet  zu haben. Das stimmte in gewisser Hinsicht. Ich und später unser russisches Mädchen Walja versuchten, der CIA den Sachverhalt zu erklären.

Da Pussi Russisch, Französisch und Italienisch sprach, war sie als Dolmetscherin und Sachverständige für fremde Völker herangezogen worden. Sie hatte in dieser Stellung viel tun können, um den Fremdarbeitern zu helfen. Oft hatte sie Unheil von ihnen abgewandt und Missverständnisse aufgeklärt. Die Fremdarbeiter nannten sie ihren „Schutzengel“. Sonntags hielt sie Sprechstunde und ihre Schutzbefohlenen kamen zuhauf. Sie brauchten Rat und Hilfe und oft nur ein gutes Wort. Pussi hatte sich gegenüber den deutschen Dienststellen auf General Köstring berufen, um eine bessere Behandlung der Ostarbeiter zu erreichen.

Als sie nicht sofort freigelassen wurde, alarmierte Walja die anderen Fremdarbeiter in Kitzbühel. Diese zogen zahlreich zur Militärregierung und verlangten die unverzügliche Freilassung. Sie drohten, das Gefängnis zu stürmen und sie mit Gewalt zu befreien. Nach drei Tagen war Pussi wieder frei.

Mit der 42. Infanteriedivision nach Salzburg
Ich wurde von Captain Robert Kennefax als Dolmetscher berufen.  Die  42. Infanteriedivision wurde bald nach Salzburg verlegt, weil Kitzbühel den Franzosen übergeben wurde. Kennefax war wütend, Kitzbühel verlassen zu müssen. Er nahm mich mit nach Salzburg. So verabschiedete ich mich von der Familie und fand in Salzburg bei Bekannten Unterkunft. Die 42. Division wurde aber bald nach Wien verlegt.

Herwarth wollte nach Kitzbühel zurückkehren. Durch Zufall begegnete er einem Freund aus der Moskauer Zeit.  Charles Thayer war nun Chef des Office of Strategic Services (OSS) für Österreich mit Amtssitz in Stift  St. Peter. Er sorgte für Herwarths Entlassung aus der deutschen Armee, aber auch für Papiere, mit denen er die scharf überwachte Zonengrenze in Hochfilzen für Fahrten nach Kitzbühel ungehindert überschreiten konnte. Im Spätsommer 1945 wurde Herwarth einer amerikanischen historischen Forschungsgruppe in Wiesbaden zugeteilt. Dort freundete er sich mit Captain Peter Harnden an, der in München studiert hatte und Architekt war und bald  an das Amerikanische Generalkonsulat in München versetzt wurde. Herwarth erhielt eine Aufgabe in der Bayrischen Staatskanzlei. Die Familie blieb vorerst in Kitzbühel. 2)

Eine Hochzeit in Kitzbühel 
Der Abschluss von Herwarths Kitzbühel-Erlebnissen bildet die Schilderung einer ungewöhnlichen Hochzeit.

Im Winter 1946 heirateten Peter Harnden, nun Mitarbeiter am Amerikanischen Generalkonsulat in München, und Prinzessin Missi Wassiltschikow in Kitzbühel. Da Missi orthodox war, wurde die Trauung von einem Popen nach orthodoxem Ritus vollzogen. An einem sonnigen Wintertag zogen wir in einer kleinen Prozession hinauf zur altehrwürdigen katholischen Frauenkirche, die beherrschend über Kitzbühel liegt. Nach orthodoxem Brauch muss ein kleiner Junge dem Brautpaar eine Ikone vorantragen. Unsere vierjährige Tochter Alexandra wurde also als Junge verkleidet. Der Bräutigam trug amerikanische Uniform. Dem Brautpaar folgten die drei Trauzeugen, Hauptmann Graf Guy La Brosse von der französischen Militärregie

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