NS-Zeit in Kitzbühel erforscht
Der Nationalsozialismus, eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte Kitzbühels, wurde in einem 736 Seiten umfassenden monumentalen Werk „Hakenkreuz am Hahnenkamm“ detailreich aufgearbeitet.
Kitzbühel | Viel weiß man nicht über die Zeit des Nationalsozialismus in Kitzbühel. „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Gesellschaft der Mantel des Schweigens über diese Zeit gebreitet“, betonte Kulturreferent Fritz Eller im Museum Kitzbühel, das an dem Präsentationsabend aus allen Nähten platzte. Auch im tirolweiten Vergleich sei die Geschichte der Bezirkshauptstadt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – ab dem Ersten Weltkrieg – bislang wenig dokumentiert worden.
Aufklärung schafft das Buch „Hakenkreuz am Hahnenkamm – Kitzbühel in der NS-Zeit“ von Autorin Sabine Pitscheider. Die Historikerin gilt als profunde Kennerin des Nationalsozialismus. Herausgeber ist Horst Schreiber, Leiter des Wissenschaftsbüros Innsbruck, Michael-Gaismair-Gesellschaft, ERINNERN:AT. Dem Buch zugrunde liegt eine von der Stadtgemeinde Kitzbühel 2019 in Auftrag gegebene Studie über die NS-Zeit in der Hahnenkammstadt.
„Kitzbühel war politisch ein unruhiges Pflaster“
Das Buch behandelt die Zeit davor und danach und konzentriert sich dabei auf wesentliche Ereignisse. Nur die Jahre von 1938 bis 1945 zu betrachten, ließe viele Fragen unbeantwortet, erklärt Pitscheider. Die Autorin zeichnet ein detailliertes Bild des mondänen Wintersportplatzes, der in politischer Hinsicht schon seit den späten 1920er-Jahren und im österreichischen Ständestaat ein sehr unruhiges Pflaster war.
Den „Anschluss“ begrüßte die Gemeinde begeistert, einige wenige litten unter Verfolgung. In den Jahren 1938 bis 1945 beherrschte das NS-Regime jeden Bereich des Lebens, jagte Andersdenkende, ermordete „unwertes Leben“ und „arisierte“ Eigentum. Als prominente Tourismusdestination bot Kitzbühel außerdem eine Bühne für sportliche Großveranstaltungen. Luftwaffe und Polizei ließen sich nieder. Ab 1943 besetzten Schüler und Umquartierte aus dem bombenbedrohten Deutschen Reich, Lazarette und die Betten in den Tourismusbetrieben.
Die nach der Befreiung vom NS-Regime einsetzende, von Skandalen begleitete Entwicklung zu demokratischen Verhältnissen verläuft in für Österreich typischen Bahnen: Lange Zeit dominierte der Prozess der nur unzureichend durchgeführten Entnazifizierung; Lügen und Ausreden begleiteten Gesellschaft und Politik, in die Ehemalige im Jahr 1950 zurückkehrten. ali
Sabine Pitscheider, Dr., Studium der Geschichte und Romanistik an der Universität Innsbruck. Forschungsschwerpunkte: Österreichische Geschichte nach 1945 mit Schwerpunkt Tirol und Parteiengeschichte, Soziale Disziplinierung, Entnazifizierung in Tirol
Horst Schreiber, habilitiert am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, ist Verfasser zahlreicher Werke zur Aufarbeitung der NS-Zeit in Tirol.
Bild: Das Museum Kitzbühel platzte aus allen Nähten, als das Buch „Hakenkreuz am Hahnenkamm – Kitzbühel in der NS-Zeit“, verfasst von Historikerin Sabine Pitscheider, erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Foto: alpinguin