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Samstag, 6. April 1963 Kitzbühels Rolle in der Von Dr. V. Breli Dem „Tiroler Grenzboten" vom 30. März 1963, „Die Heimat-Glocke", ent- nehmen wir: Im Jahre 1894 besuchte ich Kitzbühel, um auf dem Horn zu botanisieren. Kitz- bühel war damals noch die urgemütliche Sommerfrische, wie sie uns vor hundert Jahren D. Spitzer in seinen Wiener Spa- ziergängen vor Augen geführt hat. Als ich viele Jahre später wieder in Kitibühel war, um das Plankton des Schwarzsees an- zusehen,, war das Bild schon sehr verän- dert. Aber der Ort war mir nichtsdestowe- niger sympathisch, weil ich inzwischen mit den Verhältnissen vertraut geworden war, die das botanische Leben in Kitzbilhel aus- zeichneten. Beim Besuch des Museums wurde ich gewahr, daß Prof. von Dalla Torre, dem wir das umfangreiche Werk über die Tiroler Flora verdanken, das Ar mit Grafen Sarnthein herausgab, gebürti- ger Kitzbüheler war. Hier zu Hause war auch der Botaniker Traunsteiner, dessen Name in der Orchideengattung Traunstei- nera und in der Orchis Traunsteineri £.i'rt- lebt. Hier wirkte endlich der berühmte Botaniker Unger, dessen grundlegende Ar- beiten gerade in Kitzbiihel entstanden sind. So war es begreiflich, wenn ich da- mals mit Maria Traunsteiner persönlich h,lr,.i rif urruvrlA a'Inrl 111'.h \Viiinpl, 1,f 7 - Kitzbüheler Anzeiger Geschichte der Botanik m, Lunz om See tan,ike,r des 19. Jahrhunderts. Ich glaube, wir können diesen Ausdruck auch noeb auf unser Jahrhundert ausdehnen, sowit dasselbe bisher abgelaufen ist. Denn aii Vielseitigkeit reicht keiner an ihn bisher heran.. Der am 30. November 1800 geborene Steiermärker begann seine Studien iii Prag. Er besuchte anfangs historische, später juridische Vorlesungen, begab sich nach Triest, um einer romantischen Nei- gung zu folgen und einem phil'hellenischen Freicorps beizutreten. An der Wiener Uni- versität widmete er sich medizinischen Studien und benützte einmal die Frien - wieder als Romantiker - zu einer Wanderung nach Deutschland, die ihn bis auf die Insel Rügen führte. Unger hielt sich auch in Jena auf, wo er den Natur- forscher Oken kennenlernte, dessen natur- philosophische Ideen ihn gefangennah- men. Nach Wien zurückgekehrt, wurde Unger, weil er keine Ausreisebewilligung hatte und wegen seiner Beziehungen zu Oke,n, der Metternichs Politik entgegen- arbeitete, zu sieben Monaten Gefängns verurteilt. Nach dieser Zeit wurde er aber wieder freigelassen und ihm die Fortsetzung seiner Studien erlaubt. Bald erhielt der fertige Mediziner eine Stelle als Bezirksarzt in Kitzbühel. Trotz sei- Seite 9 geringes Aufsehen. So wurde Unger zu- gleich der Schöpfer der physiologischen und der historischen Pflanzen- und Tier- geographie, zwei Disziplinen, die schon auf Grund ihrer grundverschiedenen Ar- beitsmethoden im akademischen Betrieb heute nicht mehr von einer einzigen Per- son vertreten sein können. Neben solchen weit ausholenden Forschungen gelang es Unger aber auch, viele Beobachtungen zu machen, die heute in jedem Lehrbuch zu finden sind, ohne daß es der Leser weiß, daß wir sie Unger zu verdanken haben. Einige Beispiele mögen genügen: Als er in der Nähe Kitzbühels roteli Schnee zu sehen bekam, konnte er nach- weisen, daß dieser seine Farbe einer N1as- senvegetation eines kugeligen einzelligen Organismus verdanke, dem Ha'ematoc ne - cus. Heute erscheint uns dieser Nachweis eine Kleinigkeit zu sein. Zu dessen rich- tiger Einschätzung sei daher erwähnt, daß Jahrzehnte später ein berühmter Bo- taniker, der auf dem Solstein 'bei Inns- bruck auf roten Schnee stieß, die An- sicht vertrat, daß roter Blütenstaub die Ursache dieser Erscheinung sei. Kitz- hühel spielt übrigens bei dem Kapitel roter Schnee eine besondere Rolle. Denn erst in unserer Zeit beobachtete das oben erwähnte Fräulein Traunstejner dort auch roten Schnee, der aber von einem ganz anderen Organismus hervorgerufen wur- de (Gymniodinium Pascheri). Nicht selten bemerkt man nach einem Regenguß auf dem Erdboden klelne Schleimklümpchen, von denen der Volks- mund behauptet, daß es sich um vom Himmel auf die Erde geschleuderten Schleim handle, der von Sternen herrührt, die sich anschneuzen. Unger konnte zei gen, daß diese schleimigen Sternschnuppen nichts anderes sind, als Kolonien der Blau- alge Nostoc, die vom Regen zum Aufquel- l'en gekommen sind. - Ein anderes yion ihm aufgeklärtes Rätsel betraf das be kannte Leuchtmoos Schi stostega. Unger stellte fest, daß es frühe Entwicklungssta- dien des Leuchtmooses sind, welche das magische grüne Licht zeigen. Man hatte bis dahin diese Gebilde für eine beson- dere Algengattung gehalten. Zu einer se;nsa tionelln Entdeckung führte ihn die Beobachtung einer bei Kitz- bühel nicht seltenen Algengattung, Van- cheria. Er sah bei dieser das Ausschwär_ men der bewimperten Schwärmsporen, die er für winzige Tierchen hielt, weil mau zu Un.gers Zeiten Eigenbewegung als das Kennzeichen der Tiere gegenüber den um- beweglichen Pflanzen ansah. Noch unter dem Eindruck der Okenschen Naturphilo- sophie aturphilo sophie stehend, veröffentlichte er seine Entdeckung unter dem Titel: „Die Pflanze im Momente der Tierwerdung". Seine Be- ohachtung war richtig, aber deren Deutung falsch. Doch nicht so verfehlt, wie viel- leicht der Leser denken mag, der nicht mit der heutigen Wissenschaft vertraut ist. Wir kennen durch die Forschung des Prager Botanikers Pascher Fälle, in denen einwandfrei tierische Organismen pflanz- licher Herkunft sind. te, das Haus zu sehen, in dem Ungers wis- ner zeitraubenden amtlichen Tätigkeit sens'chaftliche Tätigkeit begann. Leider entfaltete er eine botanische Tätigkeit, ging dieser Wunsch nicht in Erfüllung. Als wozu zunächst der floristische Unterschied ich vom Bahnhof in die, Stadt ging, fiel mir zwischen den Kalkbergen des Kaisersund bald an einem Haus eine Tafel auf: „Aha". den Kieselböden der südlich davon ge- dachte, ich, die Gedenktafel an Unger! Als legenen Bergwelt Anlaß gab. Indem er ich näher kam, mußte ich enttäuscht (ent- vor allem in dem physikalischen und decken, daß es sich um die Ehrung noch mehr den chemischen Bodenverhält- Feuerwehrhauptmannes handelte. Kaum nissen die Ursache für die von ihm ge- war ich ein Stück weiter gegangn, be- fundenen Florenunterschiede festlegte, merkte ich neuerdings eine Gedenktafel. wurde er zum Schöpfer der physiologi- Ich dachte vorsichtsweise diesmal nicht sehen Pflanzengeographie. Neben dieser, „Aha" und ich tat recht daran. Die Tafel welche den pflanzengeographischen Fra- verkündete dem Wanderer, daß in diesem gen durch das Studium der gegenwärtig Hause die Gemahlin des' bekannten Ana- auf der Erde herrschenden Lebensver- tomen Hyrtl der lyrischen Dichtung ob- hältnissen auf die Spur zu k ommen sucht, lag. Woraus ich ersah, daß die Dichtung gibt es auch eine historische Pflanzen- im alten Kitzbühel hoch im Kurs stand. geographie, die sich mit Fragen befaßt, Ich erinnerte mich dabei wieder des h'e- i die durch die physiologische Pflanzen- oben erwähnten Wiener Feulletoni- geographie g'eographi'e nicht lösbar sind. Diese sucht sten Spitzer, der in seinem Bericht der Ze- durch die Verhältnisse in der geoIogi- phyrau gedenkt, die ihren Namen scher 1 sehen Vergangenheit noch offene Fragen der genannten Dichterin verdankt. Die zu lösen. Auch hier war der genius loci Dichtkunst pfuscht ja gerne in die geogra- Kitzbühels der wertvolle Helfer. In der phische Nomenklalt hinein. Ich kenne ei- Nähe der Ortschaft Häring wurde schon ne „Tinte;nlacke", die sich die Umtaufung zu Ung.ers Zeiten Bergbau betrieben, durch in „Nix'enauge" gefallen lassen mußte. dcii reichlich Fossilien ans Tageslicht ka- Doch um es kurz zu machen: Ich kam bis inen. Von diesen 'erregten natürlich die in mein Quartier am Sehwarzsee, ohne Pflanzenreste die Aufmerksamkeit Un- eine Unge'rafel gefunden zu haben. Es ist gers. daher mir nicht zu verübeln, wenn ich Mit einer, man möchte sagen, Art Fin- den Versuch wage, durch einige Zeilen das gerspitzengefiihl gelang es ihm nach'- gut zu machen, was man in Kitzbuhei f- zuweisen, daß die I'iäringer Flora zum fenbar versäumt hat, nämlich dafür zu Teil aus Pflanzen bestand, die mit heute sorgen, daß Unger dort nicht ganz verges- in Australien lebenden Arten (Eucaiyp- sen wird. tus z. B.) verwandt waren; die unter Der bekannte Pflanzenphysiologe Ha- dem Titel „Neuhollan,d in Europa" er- berlan.dt nennt Unger den genialsten Bo- schienene Mitteilung erregte daher nicht 1
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