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Samstag, 17. August 1963 Kitzbüheler Anzeiger Seite 9 populär wie ein alter Einheimischer. Der hinsichtlich der Lebensgenüsse manchmal die Zügel schießen lassende Riese fiel durch seinen markigen Kopf mit durch- dringenden, überlegenen und intelligenten Augen, durch seine breiten, ausfallenden Schultern und durch seine edelgeform- ten Hände sofort auf. Einmal erlebten die Kitzbüheler den großen Sänger sozusagen „offiziell". Dies war, als eine seiner Töchter (Chaliapin hatte zehn Kinder) in Kitzbühel Hoch- zeit hielt. Diese fand unter großem Auf- gebot von Gästen aus ganz Europa statt. Die Trauungszeremonie selbst wurde mit großem Pomp nach orthodoxem Ritu im Schloß Lebenberg zelebriert. Böse Zungen behaupteten damals, daß Chalia- pin bei dieser Feier zum erstenmal in seinem Leben ein Lied ohne Honorar gesungen habe. Er liebte Kitzbühel so sehr, daß er beschlossen hat, dort seinen Lebensabend zu verbringen. Er hatte sich bereits einen Grund gekauft und die Pläne für das Haus selbst entworfen. Chaliapin war nämlich auch ein talentvoller Zeichner und ein glänzender Karikaturist und so mancher Kitzbüheler und so manche Kitz- bühelerin würde heute vielleicht freudig erstaunt sein, wenn er oder sie diese Zeichnungen zu Gesicht bekäme. Das Haus in Kitzbühel, das Chaliapin ent- worfen hatte, sollte ein einfaches, schlich- tes Bauernhaus werden. Der große Sän- ger pflegte selbst darüber zu sagen: „Ich wurde als Bauer geboren und will wieder ein Bauer werden." Chaliapin hatte die tiefe und volltö- nende Stimme auch im Gespräch. Nur wenn er von Rußland und von seiner Ju- gend sprach, erhielten seine Augen einen verträumten Ausdruck. Oft erzählte er von den Notzeiten seiner ersten Lebens- jahre und auch von dem Jahre in Tiflis, in dem zur gleichen Zeit am dortigen Bahnhof zwei Männer mit später welt- berühmten Namen angestellt waren: Fe- dor Chaliapin als Stationsbuchhalter und Maxim Gorki als Bahnschlosser. Mit be- sonderer Liebe und Wärme sprach er von seiner Mutter, einer fleißigen, from- men und sehr religiösen Frau. Von ihr hatte er wohl auch seine religiösen Ge- fühle geerbt. Als ihn einmal zu Beginn der dreißiger Jahre in Kitzbühel zwei Russen besuchten, die ihm von den Ver- hältnissen in der Sowjetunion berichteten und besonders die Verwüstungen in den Kirchen schilderten, sagte er: „Ich habe die Kirchen in mir drinnen. Man kann dem Leib Fesseln anlegen, aber die Kir- che im Herzen kann niemand heraus- reißen und den Geist kann niemand fes- seln. Jetzt will ich in Kitzbilhel bleiben, als Bauer leben und niemals mehr sin- gen." Als Chaliapin dies sagte, war er bereits 61 Jahre alt. Uber die Gründe, die ihn gerade in Tirol und in Kitzbühel so heimisch ge- macht haben, sagte er: „Ich habe gefun- den, daß es hier in Tirol Menschen gibt, die mehr Herz haben, als die drüben. Ich habe in Kitzbühel Leute uni mich, die nicht an eine gute Provision gedacht ha- ben, als sie mich dorthin brachten, und das hat mir so besonders gut gefallen. Und Tirol ist ein armes Land und auch ich bin arm geboren. Vielleicht kann ich hier mehr Gutes tun als in der Stadt." Als er sich mit seinen Plänen für das Kitzbüheler Haus beschäftigte, das auch einen großen Keller haben sollte, „für die guten österreichischen und Tiroler Weine", sagte er: „So freue ich mich schon auf den Winter in Kitzbühel, auf die Kälte und den vielen Schnee. Es wird mir hier dann vorkommen, als sei ich in meiner richtigen Heimat." Dem Aufenthalt in Kitzbühel hatte es Innsbruck wohl auch zu danken, daß Chaliapin, der sonst nur gegen Mammut- honorare an großen Opern und in Groß- städten sang, in den letzten Tagen des Monats April 1934 im Großen Stadtsaal ein Konzert gab, das für die Innsbruckei eine Sensation war. Chaliapin sang damals Arien und Lieder von Borodin, Glinka, Rubinstein, Schumann usw. Die Innshruk- ker jubelten dem Sänger zu, und ein Kri- tiker bemerkte in seinem Bericht etwas resigniert, der Stadtsaal habe diesmal „das ungewohnt gewordene Bild einer vol- len Besetzung" geboten. Chaliapin lernte in seiner Kitzbüheler Zeit auch die Praxmairgruppe kennen und schätzen und besuchte die Platzkon- zerte der Stadtmusik. Er ist auch im 'gro- ßen Erinnerungsbuch der „Kitzbüheler Nationalsänger" verzeichnet. Die „Chalia- pin-Seite" in diesem Buch ist sehenswert. „Max und Prax" mußten zur Hochzeit der Tochter Stella auftreten. RaHggler-Chronik 7um „Pri-Rangg1n" 1963 in Kitzbühel 6. Fortsetzung und Schluß Fritz Klausner Um seine Person sind noch viele Le- genden im Umlauf. Er war ein unheim- lich flinker, gelenkiger und intelligenter Ranggler. Ihm und seinem Bruder Karl ist in Kundl droben einmal ein „Stiickl" gelungen, das später viel belacht wurde. Kamen die Brüder an einem Ranggler- Sonntag vor dem ersten Weltkrieg zum Kundler „Bierwirt" und äußerten dort, ranggln zu wollen. Fritz in der 1. und Karl in der II. Klasse. Der Wirt riet den beiden Burschen ab, in diesen Klassen hätten sie nichts zu melden, denn die besten Ranggler weitum hätten gemeldet. Die beiden ließen sich aber nicht be- irren und traten an. Fritz errang einen Sieg nach dem anderen; nicht so glück- lich war sein Bruder Karl, der sich im zweiten Gang verletzte. Er überredete aber Fritz, für ihn diesen Gang tun zu wollen, „uns kennen sie eh nicht aus- einander". Tatsächlich waren die Brüder in ihrer Jugendzeit einander sehr ähn- lich. Fritz trat also auch in der 11. Klasse an und siegte, so daß er, was wohl noch nie dagewesen ist, an einem Tage zwei Klassensiege errang. In Innsbruck, bei einem Zirkus, machte sich ein Kraftprotz sehr mausig. Die Di- rektion versprach jenem Mann, welcher den Zirkusathleten wirft, 50 Gulden. Die n Fritz Klausner Reproduktion aus einem Gruppenbild 1902. Photo Max Ketzler, Innsbruck. im Zirkuszelt anwesenden Tiroler Kaiser- jäger forderten Fritz Klausner auf, sich für den Kampf zu melden. Dieser trat kurz entschlossen in den Ring. Sie wa- ren sehr verschieden, die zwei Kämpfer; Fritz nicht nur um einen Kopf kleiner, sondern auch um die Hälfte kringer. Das Publikum war baff. Wie aber Fritz den Zirkusmann mit einem inwendigen Kreuz- wurf auf die Bretter warf, da zitterte das Zelt vor dem Beifallssturm. Fritz Klausner und Alfred Brunner, Mauthwirt in St. Johann, waren beide bei den Kaiserjägern in Hall. Da die Kasernen zu klein waren, quartierten sich die zwei bei Bekannten ein. Da kamen sie auf die Idee, ihren gemeinsamen Freund „Sattler Mich" einzuberufen. Fritz Klaus- ner hatte Zugang zur Kompaniekanzlei, sicherte sich dort einen gestempelten Ein- berufungsbcfehl und sandte diesen nach St. Johann. Mich ganz in Aufregung und in Eifer und rückte gleich drei Tage früher ein, als „befohlen" war. In Hall trafen sich die drei. Drei Tage haben sie „gstiascht", wie sie Mich aber auch einen „legalen" Urlaubsschein besorgten. Dieser vor Freude, die anderen vor Gaudi. In Wörgl verschlief Mich das Umsteigen
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