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Heimat, die Wurzel deiner Kraft Festansprache bei der Jungbürgerfeier in Kitzbühel am 19. September 1965 von Landesarchivar Dr. Eduard Widmoser „Tausend Jahre früher. Ein schöner Pflicht genommen und aufgenommen in Herbsttag blaut über das Fleckchen Erde die Gemeinschaft der Bürger. Die Stadt- zwischen Kitzbühjeler Horn und Hahnen- ordnung wird verlesen und dann der Bär- kamm. Die junge Mannschaft zieht unter gereid Satz fiir Satz den jungen Bürgern Führung der Ältesten am taufrischenMor- vorgelesen, die ihn wie bei einem Tauf- gen hinaus zu dcii Gemarkangan und um- gelübde mit festen Worten nachsprechen. schreitet in einem feierlichen Zuge die Der Handschlag in die Hand des Bürger- Grenzen der Gemeinde. Und jedesmal, meisters beschließt das Bürgergelübde. Ein wenn die Jungmannschaft zu einem Mark- Festmahl krönt die Feier der Bürger- stein kommt, tritt jeder einzelne vor den auf nahme. Gemeindeällesten, der ihm einen k räftigen Fünfzig Jahre früher. Junge Kitzbuheler Backenstreich verabreicht. Sind die Cc.. i .. stehen n den cnutzenranen Galiziens mci ndegrenzen a bgeschri tten versammeln und Kauern n den Felsennestern, i sich alle unter der Dorflinde um aus dem ocr Dolomiten.'e kämpfen gegen einen Munde des Gemeindeältesten die Satzung Feind, der das Vaterland bedroht, sie der Gemeinde Gemeinde zu hören und die Pflichten ten Wacht gegen einen Gegner, der in die und Rechte der Gemeindegenossen zu ver- ucimat einbrechen will. Und so mancher, nehmen. Dann wird jeder urier Eid ge- der in den Augusttagen des Jahres 1914 nommen, der durch einen Handschlag be- nacn Osten zog und in den Maitagen 1915 siegelt wird. Danach offnen sich die nach dem Süden Tirols eilte, opferte Reihen der Umstehenden und die junge un n sein Leben. Sie hatte ihre Burger- Mannschaft tritt in die Locken, sodaß sich pflicht nicht mit den Worten, sondern die Reihen wieder wie eine Kette schießen' mit dem Größten was ein Mensch zu ge- Funfhundert Jahre früh-,r. Das Stad- nen vermag, mit dem Opfer des Lebens. ]ein somit sich in der Milde eines herbst- beschworen liehen Sonntags. Die Häuser haben ihr Sonntagskleid angelegt und vom Rathaus Und heute? Heute sind wir versammelt, we ht lustig die Stadtfahne. Ir- der St. An- um wieder wie vor tausend Jahren, wie dreaskirche braust die Orgel zum vielstim- \OF 500 Jahren, aber, Gott sei Lob und migen Schlußgesang. Dann öffnet sich das Dank, nicht wie vor 50 Jahren, in die Hauptportal und heraus schreitet im wär- Gemeinschaft unserer Stadt, unseres Lan- digen Zug der Rat der Stadt und dahinter des Tirol und unseres Vaterlandes Oster- schließen sich an die jungen Bürger, auf reich als vollberechtigte und voliverpflich- deren Gesichtern der Glanz der Jugend tete Bürger aufgenommenzuwerden. I)iese strahlt und in deren Augeie der Ernst JungbiirgerTeier ist nichts anderes als eine der Stunde leuchtet. Der Zug bewegt sich Miindigcrklärung, aber aucheine Inpflicht- herab zum Kirchplatz und hinauf vor das nahine, die unauslöschlich in jedem einge- Rathaus. Dem Bürgermeister eröffnet die meißelt werden soll, aus der er sich nur Gemeindeversammlung und tut kund, was durch den Tod entbinden lassen kann. der Zweck der heutigen Versammlung ist. Es ist ein Eintreten in die Gemeinschaft Die jungen Bürger der Stadt werden in der Bürger, um ein Glied dieser auf Samstag, 25. September 1965 Kitzbüheler Anzeiger Seite 5 Erste Kitzbüheler Jungbörgerfeier: Ein Markstein Im schönen Speisesaal vom IIote1 Tie- fenbrunner fand am Sonntag, 19. Septem- ber 1965 nach einem Gottesdienst in der Stadtpfarrkirche die erste Jungbürgerfeier von Kitzbühel statt. Bürgermeister Her- mann Reisch konnte bei der Eröffnung 17 Jungbürgerinnen und 27 Jungbürger begrüßen. Als Ehrengäste war€n erschie- nen: der einzige Ehrenbürger von Kitz- bühel Landtagspräsident Komm.-Rat Jo- hann Obermoser, die beiden Ehrenring- träger Altbürgermeister Dr. Camillo v. 11 u s c hrn a 11 und Volksschuldirektorin i. R. Maria Laner, Stadipfarrer Dr. Joseph Kreuzer, der Großteil des Gemeinde- rates, die Schuldirektoren, Oberschulrat Paul Gassen Maria R u p er t, Peter Brandstätte r, Karl G r i ß m a nn, Bruno Mayr, der Leiter der städtischen Musik- schule Stadtkapellmeister Sepp Gas t e i - ger und Land'esohcrarchivar Dr. Eduard Widmoser, dem die ehrenvolle Auf- gabe übertragen wurde, die Festansprache zu halten; die musikalische Umrahmung besorgte der Kolpingchor unter Chorleiter B o na t Ii, der sich durch die exakten Vorträge die Sympathie aller Festteilneh- mer zuzog und festliche Freude bereitete. Frau Mamoser sprach der Bürgermeister im Namen der Stadtgemeinde den Dank für die Uberlassung des Saales aus. Die Festansprache von Dr. Eduard Wid- moser wurde zum Mittelpunkt der Feier. Die Jungbürger wie auch die anwesenden Ehrengäste waren von der Rednergabe, und dem Gehalt der Festansprache 'be- geistert. Es zeigte sich neuerdings die hohe geistige Kraft und Ausdrucksweise dieses Wissenschaftlers, dem der Ge- meinderat schon im Vorjahr die Schrift- leitung der Stadtbücher übertragen hatte. Mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers sind wir in der Lage, die Festansprache in unserer Zeitung vollinihaltlich zu brin- gen, vor allem für jene Jungbürger, welche an der Feier nicht teilnehmen konnten oder wollten, insbeswidere aber auch für die verehrten Eltern und Freunde der Jungbürger: Gedeih und Verderb zusammengeschweiß- ten Gemeindebürgerschaft, Landesbürger- und Staatsbürgerschaft zu werden. Die Pflichten und Rechte, auf welche eine Gemeinschaft gründet, sollen in den Her- zen der jungen Bürger brennen, um das Erz zu schmelzen, aus dem ein goldener Ring zu schmieden ist. Welch goldener Ring soll denn ge- schmiedet werden? Er besitzt einen Na- men, in dem selbst ein besonderes Feuer brennt. Er heißt schlicht und einfach: Heimat! Und jetzt stocke ich. Was soll dies? Heute, wo die Erde klein geworden ist, wo der Mensch in großen Räumen denkt, wo Länder, Völker und Staaten so nahe gerückt sind, wo der Mensch die Erde verläßt und in die Unermeßlichkeit des Weltalls vorstößt! Habe ich unter dem Druck dieser Tatsachen überhaupt noch (las Recht, von der Heimat zu sprechen, wo wir bald unsere Mutter Erde verlassen werden, um uns zu anderen Gestirnen zu begeben? Kann ein moderner Mensch sich von diesem kleinen Fleckchen, das man die sogenannte Heimat nennt, fesseln und l)ifldefl lassen? lind ich antworte darauf: Ja! Er kann sich nicht nur binden lassen, er muß sich fesseln lassen. Mag der Mensch auf dem Mond und wo immer landen, mag die Welt sich verändern, wie immer sie will, eines bleibt: die Heimat. Sie ist da, genauso wie Gott da ist, mag der Mensch Wunder der Technik noch und noch vollbringen und zu dcii Sternen greifen. Was ist diese Heimat? Es gibt welche, die sagen: Das ist ein Götzenbild der Ewiggestrigen, ein Traumgebilde der Ro- mantiker. Und nun stelle ich einige Fragen an diese, die glauben, so denken zu müssen, um als moderner Mensch im Atomzeitalter gelten zu können. Er'nnerst du dich noch, wie deine Mut- ter dich auf den Schoß trug und dein Vater dir die ersten Lehren und Wahr- heiten in das Herz grub? Fühlst du noch die Mutterhand, die dich streichelnd trö- stete, wenn du weinen mußtest? Spürst du noch den Schrecken in deiner Kinder- seele, wenn grell die Blitze zuckten, die Donner grollten und rollten und der Sturmwind brauste? Denkst du noch an das lustige Wolkensegeln über das Haus- dach hinweg, dem du sinnend nachblick- test und an den milden Strahl des Mondes, der deinen Schlaf bewachte? Singt nicht in deinen Ohren noch das Rauschen des Waldes, das schmeichelnde Raunen der Blätter, das Summen der Bienen, das Tosen des Wildbaches! Spiegelt sich nicht noch das leichte Gekräusel unseres stillen Sees in deinen Augen, leuchten nicht auf deiner Stirn die kahlen Felsen unserer Berge und die grünen Matten unserer Al- men? Hast du dich nicht in verschwiege- nen Winkeln unseres 5 tädtleins herumge- tollt und dich ängstlich durch den Fried- hof geschlichen? Bist du nicht allen Ge- heimnissen in Wald und Flur, in Haus und Hof nachgespürt? Bedeutet dir das Schul- haus nichts mehr, in dem du deine erste
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