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Samstag, 12. November 1966 KitzbüheIer Anzeiger Seite 7 dienbethilfen - Gesetz einen Rechts- anspruch auf Studienbeihilfe auf brei- ter Grundlage geschaffen hat, doch die so notwendige verstärkte Förderung der Höchstbegabungen steht noch aus. Die geistige Freiheit in den Bil- dungsstätten, denn die geistige Freiheit ist, wie bereits gesagt, die Grundlage für die geistige Leistung. Die Förderung der Forschung als Voraussetzung für den Fortschritt. In Oesterreich werden oder wurden zu- mindest für die Forschung nur ganze vier Schilling pro Kopf und Jahr auf- gewendet. Zum Vergleich: Belgien 46 Schilling: Frankreich 34, Norwegen 65, Schwe- den 50, die Niederlande 87 Schilling. Eine zu geringe Dotierung des Unter- richts- und Kulturbudgets, insbesondere aber der notwendigen Mittel für die Forschung, verhindert nämlich jede Koordinierung und daher jede planvolle Arbeit. Denn gerade auf diesem Gebiet, als die wesentlichste Quelle schöpferi- scher Leistung kann nie genug gege- ben werden. Ohne vollwertigen wissen- schaftlichen Nachwuchs würde Oester- reich, welches in seiner jahrtausende- alten Geschichte sich selbst und der ganzen Menschheit unzählige große Per- sönlichkeiten auf dem Gebiet der Wis- senschaft, der Forschung und Kunst geschenkt hat, auf die Stufe der Unter- entwickelten absinken. Tatsächlich ist der Sollwert vom Istwert noch weit entfernt. Es ist daher die Pflicht jedes Wenn man in unserer Zeit, durch die sich die Motorisierung wie ein roter Faden zieht, das Wort „Vorrang" hört, denkt man unwillkürlich an den Stra- ßenverkehr. Welche Bedeutung hat das Wort „Vorrang"? Im Sinne des Straßenverkehrs bedeu- tet Vorrang, daß ein auf einer wichti- gen Straße fahrendes Fahrzeug Vor- fahrt hat vor einem aus einer Neben- straße kommenden. Bei Nichtbeach- tung des Vorranges gibt es oft ein Un- glück oder einen Unfall. Die Folge da- von ist meistens Sachschaden, oft auch Personenschaden. So ähnlich verhält es sich auch bei der Bildung. Nur geht es hier um viel größere Werte und die Folgen sind viel schwerwiegender. Wenn der Vorrang der Bildung nicht eingehalten wird, kann das den geistigen und später auch materiellen Verfall eines ganzen Volkes nach •sich ziehen! Was bedeutet Bildung? Ich zitiere hier die: Definition aus dem neuen Brock- haus: „Bildung ist der Vorgang geisti- ger Formung, auch die innere Gestalt, zu der der Mensch gelangen kann, wenn er seine Anlagen an den geistigen Ge- ilten seiner Lebenswelt entwickelt. einzelnen österreichischen Staatsbür- gers, sich mit diesem Problem zu be- fassen, denn auf die Dauer kann ein Staat nur dann bestehen, wenn er über hervorragend ausgebildete Fachkräfte verfügt. Wir müssen daher auch den Mut haben, der Abwertung der geisti- gen Arbeit und Forschungstätigkeit und nicht zuletzt auch den unökonomischen Verhältnissen in der Bewertung von manueller und geistiger Arbeit - ohne dabei die ebenso notwendige manuelle Arbeit herabzusetzen - den Kampf anzusagen. Schließlich leben wir doch alle auf der Grundlage der geistigen Arbeit. Was würden Handel und In- dustrie, ja selbst die Landwirtschaft tun, ohne jene Grundlagen, die ihnen Wissenschaft und Forschung vermitteln. Die geistige Arbeit ist die Grundlage gesicherter Arbeitsplätze. Wehren wir uns auch gegen die zu- nehmende Abwanderungsquote unseres wissenschaftlichen Nachwuchses. Den Rahm schöpft das Ausland ab. Unser Oesterreich zahlt die Grundausbildung -- das Ausland erntet die Früchte. Was nützen uns Nobelpreisträger österrei- scher Herkunft, wenn sie im und für das Ausland tätig sind? Um diese Er- kenntnis in die Tat umzusetzen, muß unser wissenschaftlicher Nachwuchs ge- fördert werden, wo es nur geht. Wir brauchen Persönlichkeiten mit hohem Bildungsniveau. Je mehr ein Volk solche Persönlichkeiten hat, desto mehr profitiert es, desto mehr wird es in der Welt Anerkennung finden. Gebildet ist nicht, wer nur Kenntnisse besitzt und Praktiken beherrscht, son- dern wer durch sein Wissen und Kön- nen teilhat am geistigen Leben: wer das Wertvolle erfaßt, wer Sinn hat für die Würde des Menschen, wer Takt, An- stand, Ehrfurcht, Verständnis, Aufge- schlossenheit, Geschmack und Urteil erworben hat." Die Bildung des Volkes ist eine sehr wichtige Aufgabe des Staates und der Regierung. Ich möchte die Frage stel- len: Hat die Bildung auch Vorrang in der Politik in Oesterreich? Der jüngste Parteitag der OeVP in Wien Ende Oktober 1966 befaßte sich in fünf Arbeitskreisen mit den brennend- sten Problemen unserer Zelt. Ein Ar- beitskreis hatte das Leitthema „Bildung hat Vorrang". Man sieht, daß hohe Funktionäre der OeVP und auch deil österreichischen Bundesregierung die Probleme der Bildung aufgreifen und nach Möglichkeiten zu ihrer Bewälti- gung suchen. Wie kann der Politiker auf die Bil- dung des Volkes einwirken? 1. durch den Beschluß von gut durchdachten voll realisierbaren Gesetzen; 2. durch die Erstellung eines Budgets, in dem die Mittel für die Bildung ihren ihnen gebührenden Platz einnehmen. Ich glaube, es ist wichtiger, Geld für Schulhäuser und andere Bildungsstätten bereitzustellen, als Waffen und andere kostspielige Ausrüstungen für das Bun- desheer anzuschaffen! Ich möchte nicht gegen das Bundesheer Stellung nehmen. aber ich bin der Auffassung, daß zu- mindest bei uns in Oesterreich die Bil- dung wichtiger ist als die Verteidigung. Die Bildung setzt beim Menschen schon in den ersten Lebenstagen ein. Zur Verteidigung kann man den Menschen erst wesentlich später heranziehen. ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, daß im Haushaltsplan 1967 wesentlich mehr Mittel für die Bildung vorgesehen sind als früher. Auch für die nächsten zehn Jahre sind bedeu- tend höhere Ausgaben für die Bildung geplant. Es wurde schon jetzt wertvolle Arbeit geleistet, z. B. wurde der Be- such einer Hochschule durch Stipen- dien gefördert, es werden laufend die Hochschulen ausgebaut und ihre Insti- tute und Anlagen modernisiert und es werden so immer bessere Bedingungen für die Bildung junger Menschen ge- schaffen. Oesterreich war früher in der Bil- dung führend in Europa. Ich verweise hier nur auf die großen Schulreformen Maria Theresias und Josephs II., auf das 1. Reichsvolksschulgesetz von 1774 und auf das 2. Reichsvolksschulgesetz von 1869. Oesterreich hat also eine reiche kulturelle Tradition und diese gilt es zu erhalten und fortzusetzen. Erst fast hundert Jahre nach dem 2. Reichsvolks- schulgesetz 1869 wurde das Schulgesetz- werk 1962 beschlossen; es brachte grund- legende Aenderungen bei den Bildungs- wegen und in der Ausbildung der jun- gen Menschen! Ich möchte nur die wichtigsten Neue- rungen anführen: Neuerungen organisatorischer Art: Die- Hauptschule ie Hauptschule besteht nun aus zwei Klas- senzügen. Es besteht jetzt die Möglich- keit für alle Kinder - außer für die Sonderschüler -‚ eine Hauptschule zu besuchen und so werden in Zukunft viel mehr Kinder die Chance zu einer besseren Ausbildung erhalten. Es soll damit auch das Allgemeinwissen erwei- tert und das Niveau der Bildung ge- hoben werden! Auch das Netz der Hauptschulen in unserem Land wird immer feinmaschiger. Ich möchte in unserer engeren Heimat auf die neu- gegründeten Hauptschulen in Kössen und Fieberbrunn verweisen. Die Schul- pflicht wurde mit dem Schuljahr 1966-67 auf neun Jahre hinaufgesetzt. Das 9. Schuljahr kann in der Volksschule, in der Hauptschule oder im Polytechni- schen Lehrgang absolviert werden. Wie sich die neue Schultype bewährt, wird erst die Zukunft zeigen. Neuerungen stofflicher Art. Durch den neuen Lehrplan von 1962 wurde der Bildung hat Vorrang! Von Nikolaus Christandl, Kitzbühel, Volksschullehrer in Schwendt
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