Kitzbüheler Anzeiger

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Seite 8 Kitzbüheler Anzeiger Samstag, 12. November 1966 Lehrstoff an unseren Schulen den Er- fordernissen unserer Zeit angepaßt. Ob sich die Bestimmungen der Schulgesetze von 1962 positiv oder negativ auswir- ken werden, das muß erst die Zukunft erweisen. Meine bisherigen Ausführungen be- trafen hauptsächlich die Bildung des Kindes. Sehr wichtig ist aber auch die Erwachsenenbildung! Kein Erwachsener soll das Sprichwort: „Man lernt nie aus" vergessen. Wir haben jetzt einen ver- hältnismäßig hohen Lebensstandard. Ein hoher Lebensstandard erfordert aber auch eine hohe Bildung. Freilich be- steht zwar zwischen Stadt und Land ein Gefälle der Bildungsmöglichkeiten hin- sichtlich der Quantität als auch der Vielfältigkeit des Angebotes. Es fehlt auf dem Land die Chance zu einem erweiterten und differenzierten Bil- dungsgang. Ohne geistige Bewältigung der Lage würde das Volk zur Abhän- gigkeit und zum Objekt absinken! Wer trägt auf dem Lande zur Er- wachsenenbildung bei? 1. die Massen- medien Rundfunk, Fernsehen, Presse und Film; 2. Vortragswerke: die kirch- liche Verkündigung (die Predigt), das kath. Bildungswerk, die Volkshoch- schule, der Verein Dorfbildung, das Volksbildungswerk am Grilihof in Inns- bruck. In einem demokratischen Staat wie Oesterreich ist auch die politische Bil- dung sehr wichtig. Gerade zur politi- „Bildung hat Vorrang!" - In diesen Worten liegt eine Aufforderung, ein Be- fehl, ein Gebot, das in dieser Stunde dringender ist als alle anderen Fra- gen, die uns im Augenblick bewegen mögen. Denn eine Gefahr, größer als alle anderen, bedroht uns: Der Bil- dungsnotstand! Bildungsnotstand - was ist das? Nun, am besten erkennt man eine Krankheit an ihren Auswirkungen und die Aus- wirkungen und Folgen dieser nationa- len Krankheit sind schon jetzt bedroh- lich - und wenn nicht Gegenmaßnah- men ergriffen werden, wird sich der Bildungsnotstand zu einer Katastrophe für das ganze österreichische Volk auswachsen! - Viele Organe unseres Staatskörpers sind schon von dieser Krankheit befallen, kaum daß sie ihren Anforderungen noch gewachsen sind. Denken wir doch bloß an die Wirt- schaft, die bald eine schwere Bewäh- rungsprobe bestehen muß: den Anschluß Oesterreichs an die EWG. Auch der In- dustrie fehlen qualifizierte österreichi- sche Fachkräfte; es fehlt an Techni- kern, Wissenschaftlern und Forschern. Viele Maturanten studieren wohl an österreichischen Hochschulen, wandern danach jedoch ins Ausland ab, da sich ihnen dort bessere Verdienstmöglich- schen Bildung leistet die österr. Ju- gendbewegung einen großen Beitrag mit den Jugendparlamenten, den Stadt- gesprächen und anderen Veranstaltun- gen. - Jeder Wähler bilde sich seine eigene Meinung. Der große Mangel an geistigen Berufen, wie Aerzten, Pro- fessoren, Ingenieuren, Technikern und Lehrern zeigt, welche große Bedeutung der Bildung und der Förderung der Bil- dung beigemessen werden muß. Zur Bildung gehören aber auch Leu- te, die das Wissen und die Bildung ver- mitteln - also Lehrer. Es fehlen im laufenden Schuljahr allein in Tirol 412 Lehrer. Diese katastrophale Situation wird sich in den kommenden Jahren inS- folge der neuen Lehrerbildung noch ver- schärfen. Bildung soll also wirklich Vorrang haben, denn sonst kann die Situation eintreten, daß wir im Wohlstand le- ben, geistig aber „unterernährt" sind. Ich glaube auch, daß gebildete Leute friedliebend sind und daß auf dem Weg einer guten Bildung dieser jetzt so un- ruhigen Welt der Friede gegeben wer- den könne. Daß auch Oesterreich sei- nen bescheidenen Beitrag dazu leisten kann, bedarf es der gemeinsamen An- strengung aller Oesterreicher. Wenn je- der Oesterreicher mit besten Kräften mithilft, wird es auch gelingen, die kulturelle Kraft des österreichischen Volkes weiterzuentwickeln und zu för- dern. keiten bieten. So ist unsere Industrie gezwungen, ausländische Fachkräfte und ausländisches Kapital anzunehmen und langsam, aber stetig, wird sie in amerikanisches oder deutsches Eigen- tum übergehen. Ist aber nicht mit der wirtschaftlichen Unabhängigkeit Öster- reichs auch seine politische verloren- gegangen? Sie sehen also, meine Damen und Herren, wie weitreichende Folgen diese Entwicklung nach sich ziehen kann! Doch auch im Ausland haben sich österreichische Wissenschaftler keine Lorbeeren verdienen können. Das An- sehen unserer wissenschaftlichen Aka- demiker ist, so bedauerlich das auch sein mag, sehr gering. Der letzte öster- reichische Physiknobelpreisträger war Wolfgang Pauli im Jahre 1945! In allen naturwissenschaftlichen Disziplinen, mit Ausnahme der Medizin, gehört Oester- reich heute zu den drittrangigen Na- tionen der Erde. Doch wie steht es in der Kultur? Nun, auch dort hat Oesterreich seine einstmalige Weltgeltung weitgehend verloren! Diese Behauptung mag viel- leicht Protest hervorrufen, doch ver- schließen wir die Augen nicht vor der Realität. Gibt es in Oesterreich produ- zierende, Künstler von Weltruf? Es gibt sie, doch nur sehr, sehr wenige. Die große Tradition österreichischer Dich- ter, Komponisten, Maler, Bildhauer und Architekten reißt seit dem 2. Weltkrieg schlagartig ab. Es klafft nun eine Lücke, die auszufüllen die Aufgabe unserer Generation wäre. Doch wie kann der kleine Staat Öster- reich diese große Gefahr abwenden? Was kann er gegen den Bildungsnot- stand unternehmen? Sehr viel, glaube ich! Zuerst einmal müßte ein neues Ministerium gegründet werden: das Wissenschafts- und Forschungsministe- rium, wie wir es zum Beispiel in West- deutschland finden. Denn nur eine zen- trale Steuerung von Wissenschaft und Forschung kann zur sinnvollen Finan- zierung und Forderung aussichtsreicher Pläne und Vorhaben beitragen. Allen österreichischen Wissenschaftlern muß ein finanzieller Anreiz zur Arbeit in ihrem Vaterland gegeben werden. Und der Staat sollte die verstaatlichten Be- triebe nicht nur als Quelle sicherer Ein- nahmen, sondern auch als Gelegenheit zur finanziellen Förderung junger und begabter Akademiker verwenden. Denn wir müssen mit der geistigen und technischen Entwicklung unseres Jahrhunderts Schritt halten. Noch ein paar Jahre und der erste Mensch wird auf dem Mond stehen. Es wird kein Oesterreicher, kein Europäer sein. Die Entwicklung in den USA und Rußland geht atemberaubend schnell vonstatten. Wir dürfen nicht weiter an Boden ver- lieren, wenn wir nicht auf dem Ge- biet der Bildung ein Entwicklungs- land werden wollen! Zur Behebung des Bildungsnotstan- des werden Mittel benötigt, die um ein vielfaches größer sein werden, als die im Augenblick aufgewendeten. Bund, Land und Gemeinden müssen in ihren Etatplänen der Bildungspolitik weit mehr Platz einräumen. Es müssen neue, moderne Schulen gebaut werden und bei der Einrichtung dieser Gebäude sollte man nicht klein- lich sein: denn was nützen die schön- sten Chemie- und Physiksäle, wenn die Einrichtungen für diese fehlen! Ueberhaupt wird den naturwissen- schaftlichen Fächern an Oesterreichs höheren Schulen zu wenig Platz ein- geräumt. Es fehlt an Realschulen, die technisch begabten Jugendlichen die Möglichkeit gibt, auch ohne Latein das Maturazeugnis zu erlangen. Es fehlt aber nicht nur an Mittelschulen, son- dern auch an Studienplätzen an Uni- versitäten! Die Hochschulen in den Lan- deshauptstädten müssen weiter aus- gebaut werden, Salzburg und Linzwei- sen uns den Weg. Es herrscht aber nicht nur ein Man- gel an Schulen, sondern auch an Leh- rern, vor allem an den Grundschulen und auf den Universitäten, aber auch auf Mittelschulen! Auch hier muß der fi- nanzielle Anreiz erhöht werden. Es Ist Bildung hat Vorrang! Von Peter Adler, Reith, Bundesgymnasium St. Johann
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