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Samstag, 19. November 1966 Kltzbüheler Anzeer Seite 7 Der Stand und die Leistungsfähigkeit er Wissenschaft entscheiden heute weit- gehend mit über die politisch-wirt- schaftliche und auch geistige Existenz von Kulturkreisen und Völkern. Diese sind sich der Konkurrenzlage bewußt und steigern sich gegenseitig zu immer größeren Anstrengungen hinsichtlich iirer Forschungseinrichtungen und ih- res wissenschaftlichen Ausbildungs- wesens fort. Zahlreiche Akademien, die cualifizierte Männer und Frauen über brennende Gegenwartsfragen ins Ge- spräch bringen, tragen andererseits aber zum gegenseitigen Verstehen unter den verschiedensten Geistesrichtungen und zu vertiefter Sachkenntnis bei. Wohin muß die Intelligenz eines Vol- Warum können wir heute von einer Zukunft Oesterreichs und einem Bei- trag dieses Landes zu einer europäi- schen Zukunft sprechen? Wer ist die- ses Oesterreich, dem wir eine Zukunft in Europa einräumen? Unsere Bundes- hymne gibt darauf die beste Antwort: „Heiß umfehdet, wild umstritten, liegt dem Erdteil es inmitten, einem starken Herzen gleich. Es hat seit frühen Ahnentagen, hoher Sendung Last getragen, dies vielgeprüfte Oesterreich." Im Auf und Ab der Geschichte wech- seln auch für dieses Land Zeiten, in denen es Aufgaben übernimmt, die weit über seine Grenzen hinausreichen, mit solchen, in denen es sich zurückzieht. um neue Kräfte zu sammeln für die nächste Etappe seiner historischen Sen- dung. So gesehen findet Oesterreich seit dem Zusammenbruch der Donau- monarchie Zeit, sich zu sammeln, zu kräftigen und jene Prinzipien heraus- zuarbeiten, die für die Zukunft not- wendig sind. Es muß sich in Bürger- kriegen, in harter Gegensätzlichkeit zersplittern, Not, Entbehrungen und Opfer auf sich nehmen, an zwei Welt- kriegen schier verbluten, um endlich nach Jahren des Suchens und Kämp- fens als unabhängiger und neutraler Staat wieder zu erstehen. Und heute, am Wendepunkt, im Wer- den einer neuen Zukunft ist es wieder Oesterreich, das berufen ist, eine Auf- gabe zu erfüllen oder besser, eine seit Jahrhunderten bestehende und diesem Land zugedachte Aufgabe fortzuführen. Denn die Neutralität und die Unabhän- gigkeit (dieses Landes) Oesterreichs bil- den nicht nur die Grundlage unserer staatlichen Existenz, eine Vorausset- zung für krisenfreie Beziehungen mit den Großmächten und die solide Ba- sis für gute nachbarschaftliche Bezie- hungen, sondern auch die Grundlage für die Zukunft dieses Landes und sei- kes ausgerichtet sein. Zwar behält die Kenntnis der Quellen abendländischen Geistes ihren u.nstreitbaren Wert, da- neben drängen sich aber die Gegen- wartsprobleme der technisch erschlos- senen, menschlich zu bewältigenden Welt so sehr in den Vordergrund, daß sie nicht vernachlässigt werden kön- nen. Die Frage, ob die Intelligenz eines Volkes vornehmlich zur Vergangen- heit oder zur Gegenwart hin orientiert sein soll, mehr literarisch-philosophisch oder mehr naturwissenschaftlich-tech- nisch gebildet werden muß, läßt sich nicht lösen, indem man sich für eines entscheidet. Für alle notwendigen Bil- dungsschwerpunkte muß die Gesell- schaft hinreichende Möglichkeiten bieten. nen Beitrag für ein „Europa von mor- gen". Kein anderer Staat ist so wie das neue Oesterreich dazu ausersehen, die große Aufgabe der Völkerversöhnung und ihrer Verbindung zur europäi- schen Gemeinschaft zu übernehmen. Warum gerade Oesterreich? Weil ein derart weitgehender Vorschlag, wie die Einigung Europas - und nur ein sol- cher kann das letzte Ziel aller Bestre- bungen Oesterreichs sein - von einem Staat ausgehen muß, gegen den von vornherein kein Mißtrauen besteht, daß er damit macht- und wirtschaftspoliti- sche Ziele verfolge. Vorhin ist ein Stichwort, ein Leit- motiv gefallen: Die Verbindung der europäischen Völker zu einer europäi- schen Gemeinschaft. Warum sehen wir dies als Leitmotiv? Weil zu den Fortschritten und Einsich- ten unserer Zeit die Erkenntnis zählt, daß die Welt kleiner wird, die Völker näherrücken und die Kontinente ihre alten Dimensionen verlieren. Endlich vernimmt man die Botschaft der fried- lichen Zusammenarbeit als einzig mög- lichen Ausweg aus den blutigen Rivali- täten unserer Völker und erkennt, daß Europa in einer Welt von morgen nur dann weiterbestehen und vorankom- men kann, wenn die Völker zusammen- arbeiten und die Mittel, die ihnen 'zur Verfügung stehen, gemeinsam nutzen. Wo steht nun Europa heute? Wer hat das Recht im Namen aller und für alle zu sprechen? Die Grenzen des freien Europa enden an Elbe und Neusiedler-. see. Europa sind aber auch jene Deut- schen und Balkanvölker, die unter sowje- tischer Macht geknechtet sind. Neben dieser großen Spaltung Europas in der freie Teil auch noch durch eine Vielzahl zwischen den Völkern geschaffener In- stitutionen und Zusammenschlüsse ein- geengt und zersplittert. Die bloße Auf- zählung einiger weniger Organisatio- nen - EWG, EFTA, Europarat, Mon- tanunion, EURATOM - zeugt von der Buntheit einer Farbpalette. Es lassen sich jedoch noch andere Unterscheidungen vornehmen. Es gibt in Schlagworten gesprochen „Groß- europäer" und Anhänger eines soge- nannten „Kleineuropa". Man hört von einem Europa der Vaterländer und es gibt das diesem entgegengesetzte Leit- bild, das Vaterland Europa. Von eini- gen wird Europa als „selbständige drit- te Kraft" erwünscht und andere wollen es in einer großen „atlantischen Part- nerschaft eingebettet sehen. Wieder an- dere können sich Europa nur politisch. militärisch, wirtschaftlich und kulturell „vollintegriert" vorstellen und es gibt Europäer, die gerade darin eine große Gefahr sehen. Wo steht also Europa? Welche Theo- rie in diesem großen Mosaik bestehen- der Europavorstellungen ist nun die richtige? Die Beantwortung dieser Fra- gen werden wir besser den Theoreti- kern, den Staatswissenschaftlern und Rechtsgelehrten überlassen müssen. Je- doch kann jeder Bürger Europas sei- nen Beitrag zur Völkerverständigung und Versöhnung leisten, wobei wir Oesterreicher, im besonderen die Ju- gend, durch unseren Eifer und unsere Anstrengungen ein Beispiel sein sollen. Allein auf Grund der Bedeutung Oesterreichs als Fremdenverkehrszen- trum, haben wir die Möglichkeit, be- reits innerhalb der Grenzen dieses Lan- des unseren Besuchern und Gästen ein Beispiel für europäisches Denken, euro- päisches Fühlen und europäisches Han- deln zu geben. Damit es aber uns Jun- gen möglich wird, ein gutes Beispiel zu geben, gilt es vorerst klare Richt- linien zu schaffen, damit wir in einer gemeinsamen Gesinnung und An- schauung erstarken können. Wir müs- sen ein geeintes Europa wollen und uns über die Bedeutung, die eine große Einheit Europa hat, im klaren sein. Oesterreich als Mittler erwächst zu- nächst die Verpflichtung, jeden Staats- bürger dieses Landes für Europa zu erziehen. Dazu bedarf es einer gründ- lichen staatsbürgerlichen Erziehung so- wie auch reichhaltiger Möglichkeiten, alle europäischen Völker besser ken- nenzulernen. Im Verstehen ihrer Le- bensgewohnheiten, ihrer Sitten und Bräuche, ihrer Entwicklung und Ge- schichte, ihrer Rechtsauffassung, Kul- tur und Wirtschaft erhalten wir erst einen besseren Einblick in ihre heutige Stellung. Wir erfahren von ihren Ta- ten und Leistungen, aber auch von ih- ren Opfern und werden diese richtig einschätzen und besser würdigen kön- nen. Dabei dürfen wir nicht auf die Sprache, das wichtigste und beste Mit- tel zur Verständigung, vergessen. Im Interesse für die Völker, im Ver- stehen, in der Anerkennung ihrer Lei- stungen wollen wir vorerst die große Aufgabe und 'den Beitrag der österrei- Osterreichs Zukunft in Europa Von Florian Unterrainer, Kunstschmiedmeister, Kitzbiihel/Brixen (279 Punkte)
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