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Seite 16 Samstag, 10. Dezember 1966 Sonderdruck Kitzbüheler Anzeiger: „75 Jahre Raiffeisen-Bezirkskasse Kitzbühel" Alfons Petzold: Hans Filzers letzter Weg mit der ruhigen Zuversicht endlichenGe- lingens die antikollektivistische Gesinnung der Bürger- und Bauernvertreter zu be- kämpfen. Wir alle suchen, was wir sind auf Erden hier, Wirt oder Gast. Seltsam, wir werden taub und blind, wenn wir das rechte Bild erfaßt. Wir gleichen dem verlor'nen Sohn und haben seines Vaters Sinn; wir quälen uns mit eig'nem Hohn und tragen fremden Stolz und Lohn wie einen eigenen Gewinn. Wir dünken uns im Reichtum arm, sind nie ganz Körper, nie ganz Geist und sind so einsam, wenn der Schwarm der lauten Vielheit uns umkreist. HANS FILZER ist vom Stamme Konrad Deublers, des Bauernphilosophen und Freundes Ludwig Feuerbachs. Nur ist sein Wesen instruktiver, unmetaphysischer als das Leben des berühmten Goiserer Be- kenners der materialistischen Weltanschau- ung. Auf seinem kleinen Berggütl, ober- halb der alten Bergwerksstadt Kitzbühel, sitzt er des Abends beim warmen Licht der Petroleumlampe und schreibt seit vie- len Jahren historische Anekdoten, geolo- gische Abhandlungen und volkswirtschaft- liche Artikel in ruhig-gemächlicher Ge- lehrtenweise nieder, dringt von seiner Bo- denkammer aus in hellen Sternennächten mit einem schönen, alten Fernrohr in das hohe Geheimnis der Gestirne ein, während er am Tage seine Gesteinssammlung sich- tet, auf einem alten Bauernhofe der Um- gebung den Zeichen der Vorzeit nach- forscht und zwischen den Melkstunden vergilbte Chroniken und moderne Bücher liest. In diesem kleinen Bergbauern lebt die opferfreudige Hingabe eines großen For- schers an die herzlose Wissenschaft. Ohne sehr wohlhabend zu sein, kauft er sich fachwissenschaftliche Bücher, die hunderte von Kronen kosten, und liest sie fünf- mal mit verbissenem Eifer durch, um end- lich hinter ihren verborgenen Sinn zu kommen. Und hat er erreicht, was vielen berufenen Wissenschaftlern nicht gegönnt ist: erkannt und ernst genommen zu wer- den. Seine Studien über die Gesteinskunde seines Heimatlandes werden von Fachleu- ten sehr geschätzt und die Abhandlungen zur Geschichte des mittelalterlichen Berg- bau- und Knappschaftswesens in Nord- tirol, die er in österreichischen und reichs- deutschen Zeitungen und ZeitschrifLn ver- öffentlicht, sind wichtige Behelfe für die Historiker dieser uralten bajuwarischen Kulturgegend. In den kleinen tiefliegenden Augen die- ses 62 Jahre alten Bauerngelehrten, die stahlblau, klug und kühl die Dinge der Welt von allen Seiten betrachten, liegt dennoch eine heimliche Schwärmerei für die ewigen Wunder. Solche Augen müssen die Wiedertäufer gehabt haben, deren Häupter einst zu Schwaz, Rattenberg und Kitzbühel, vom Rumpfe mit scharfem Schwert getrennt, in den Sand der alten Richtstätte kollerten, deren örtlichen Um- fang ihr Nachfahre mit Hilfe alter Chroni- ken, des Scharreisens und des scharfen, zeichenlesenden Auges nachweist. Und eine unglaubliche Energie wirkt in diesem kleinen Mann mit dem scharf- geschnittenen mittelalterlichen Bergmanns- gesicht. Vor drei Jahren brach er sich beim Holzfällen den rechten Oberschen- kel, welcher Unfall ihn nun zu einem halben Siechtum verurteilt. Aber er läßt sich nicht unterkriegen und humpelt nun auf den Stock gestützt seine oft sehr ausgedehnten geologischen Wanderungen ab, um eine interessante Moräne, den Ort ei- ner verschütteten Keltensiedlung mit eige- nem Auge zu sehen und darüber seine eigenen Gedanken zu denken. Seit Jahren schon bekennt er sich mutig inmitten der klerikalen Bauernschaft zur sozialistischen Glaubensgemeinschaft und wurde vor einiger Zeit von den Arbeitern Kitzbühels in den provisorischen Landesrat geschickt. Dort versucht er nun mit der tapferen Hingebung an eine Sache und Photo: Seb. Herold, Kitzbühel. Johann Filz er Hasenhofbauer, Zimmermeister, Landtagsabgeordneter der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Gründer und 1. Obmann des Vorstandes der Raiffeisen-Bezirkskasse Kitzbühel. Ein Bauerngelehrter - ein Kitzbüheler Peter Anich. Zu den Weihnachtstagen war er von Innsbruck heimgekommen. Da besuchte ich ihn auf seinem kleinen Bauernhof und saß zwei Stunden neben ihm in seiner hohen Stube mit den vielen Büchern, dem Rie- senfernrohr und dem Globus. Unter uns brüllten vier Kühe und vom hohen Kaiser- gebirge fiel der Widerschein der Winter- abendsonne leicht violettrot in das rot- getäfelte Gemach, in dem der „Haneis" langsam, schwer, aber mit sicherem Aus- druck seine Gedanken über die Wieder- geburt des unseres armen Deutschöster- reich vorlegte: „Schwar is, halt gar so schwar is", sagte er, „aber derpack'n werd' m's do!" HANS FILZER wurde zu Kitzbühel auf dem „Housenhof", in dem sein Geschle:ht schon an 200 Jahre haust, geboren. Nach- dem er die sechs Klassen der heimat- lichen Volksschule besucht hatte, wurde er Zimmermann. Seine Militärzeit diente er in Bosnien ab, und war dann in Tirol und Salzburg als Zimmermann tätig, bis er den väterlichen Hof übernahm. Schon als Geselle hatte er viele Zeitungen und Bücher gelesen und sein beschränkes Wissen zu vertiefen gesucht. Nun als freier Bauer trachtete er erst recht die Lücken seiner Bildung auszufüllen. Die Arbeitspause in den langen Kitzbüheer Wintern gab ihm richtige Zeit dazu. Die Naturwissenschaft, Kultur und Erd- geschichte zogen ihn besonders an. Mit der zähen Energie des Bauern eroberte er sich Schritt für Schritt diese Gebiete des Geistes, umgrenzte und teilte sie mit seinen eigenen Gedanken, die er dann zu Papier brachte und an Zeitungen und Zeitschriften schickte, die die klar und originell geschriebenen Aufsätze gerne auf- nahmen." Entnommen dem Vorwort zu einem Buchmanuskript, das Petzold und Fil2er gemeinsam in Druck geben sollten. Nekrolog „Kitzbüheler Nachrichten", 6. Februar 1930 HANS FILZER f Der Mann, dessen Wissen sich vielseitige Anerkennung errungen hat, ist einem trau- rigen Geschick zum Opfer geworden. In seinen bis in sein hohes Alter wachsamen Geist mischten sich in der letzten Zeit periodische Schwermutsanfälle, deren einer ihn wohl zu dem unglücklichen Ende ge- trieben haben mag. Hans Filzer war seit Dienstag, 25. No- vember 1930 abgängig und das Auffinden seines Hutes und Stockes am Gestade des Schwarzsees ließ den Verdacht an seinen freiwilligen Tod aufkommen. Wohl hatte die Gendarmerie Kitzbühel daraufhin stän- dig Bereitschaftsdienst am Schwarzsee, aber erst Franz Mariacher, Autounternehmer, war es vorbehalten, Filzers Leichnam we- nigstens seiner Heimatstadt wiederzugeben. Mariacher hat am Mittwoch, 3. Dezember von 7 bis 10 Uhr die Stelle, an der man Filzers Körper vermutete, mit einem selbst zusammengebastelten Tiefenstrahler abgesucht. Und seine Mühe war von Erfoig
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