Kitzbüheler Anzeiger

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verein". Auf diese Bürgschaft hin lieb ein Bankier in Köln 2000 Taler - die erste Hilfe für die dringendsten Not- fälle. Das Einstellvieh wurde auf- gekündigt und vom ‚'Hilfsverein" ge- gen Schuldverschreibungen bezahlt. Unaufhaltsam brach die Macht der Wucherer zusammen. Schon im zwei- ten Jahr, seit der „Hilfsverein" be- stand, zog der letzte Wucherer aus Flammersfeld fort. Ein Jahr darauf kam Raiffeisen als Bürgermeister nach Heddersdorf am Rhein hinab. Die Gemeinde Flammers- feld bedang sich aus, daß Raiffeisen wöchentlich einen Tag zur Ueberwa- chung des Straßenbaues in den hohen Westerwald zurückkehre. Die Fahrt be- trug 10 Stunden hin und zurück. Schon seit Jahren hatte man sich in Flammersfeld um den Bau einer neuen Straße in das Rheintal hinab bemüht. Raiffeisen selber hatte sie trassiert. Jetzt kam es ihm zugute, was er in seiner Jugend auf der Militärschule für Feuerwerker der Artillerie und Pio- niere gelernt hatte: Baupläne zeich- nen, Brückenbauten entwerfen, Feld- vermessungen und Trassierungen für Straßenbauten durchzuführen. In Heddesdorf selber entstand indes- sen ein neues Gemeindehaus, dessen Pläne bis zur Ausführung von Raiff- eisen stammten. Sein Hauptberuf aber war die Leitung der weitverzweigten Bauern- und Arbeitergemeinde Hed- desdorf. Seit den ersten Wochen seiner An- kunft hatte er den Heddesdorfer „Wohltätigkeitsverein" durch Bürg- schaft und Geldeinlage von 59 besser- gestellten Bürgern gegründet. Dessen Aufgaben waren nicht mehr Viehein- kauf, sondern Geldverleih gegen Si- cherstellung und Unterstützung Be- dürftiger aus dem Zinsertrag. Allmählich wuchs die ausgeliehene, durch Bürgschaft der Mitglieder ge- sicherte Summe der Darlehen an Arme auf 20.000 Taler an. Da wurden die Mitglieder besorgt und es erhoben sich Stimmen, keine weiteren Gelder mehr auszuleihen. Schon im selben Herbst wurde der .‚Wohltätigkeitsverein" aufgelöst und in Heddesdorf der erste „Spar- und Dar- lehensverein nach dem System Raiff- eisen" gegründet. Dieser sah un- beschränkte Haftung aller Mitglieder, unentgeltliche Führung durch einen gewählten Vorstand und Ablehnung zeit nicht leben konnte, betrieb Raiff- eisen zuerst eine kleine Zigarrenfabrik, dann eine Weinhandlung und zuletzt eine Druckerei in Neuwied, in der Sta- tuten für alle die neuen Kassen, Vor- drucke für Verträge und Schuldscheine gedruckt wurden. F. W. Raiffeisen hatte ein Buch über die Darlehenskassenvereine geschrie- ben. Die Wirkung seines Kampfes gegen die Not vertausendfachte sich. Raiffeisen schrieb: .....Ich kann auch keine Wundermittel anbieten. Aber einen Weg weiß ich; und wenn ihr ihn miteinander und füreinander geht, er- reicht ihr das Ziel: die Befreiung aus dem Wucher und die Bezwingung der Not." In den letzten 20 Jahren seines Le- bens kam Raiffeisen weit nach Süden und nach Bayern. Und einmal fiel in die schweigende Stille nach seinem Vor- trag das Wort: „Vater Raiffeisen, der die Not bezwang". Später verboten ihm Alter und Er- blindung die Reisen. Aber immer noch liefen in Raiffeisens Hand die vieltausend Fäden des gewaltigen Werkes zur Be- freiung der kleinen Leute aus Not und Bedrängnis zusammen. Am Mittwoch des 11. März 1888 starb F. W. Raiffeisen im Alter von 70 Jah- ren in seinem Haus in Neuwied am Rhein, der damaligen deutschen Raiff- eisenzentrale. In Oesterreich wurde die erste Raiff- eisenkasse am 4. Dezember 1886 in Mühldorf bei Spitz an der Donau in Niederösterreich, in Tirol am 27. De- zember 1888 in Kirchberg im Bri- xental durch den Obmann der Land- wirtschaftlichen Bezirksgenossenschaft Hopfgarten, Anton F 1 e c k s b e r g e r, und am 29. Dezember 1888 in Oetz im Oetztal durch den Obmann der Land- wirtschaftlichen Bezirksgenossenschaft Silz, Johann Tobias Hai d, als Spar- und Darlehenskassen gegründet. Die Raiffeisenkasse Inzing bei Teifs wurde am 2. bzw. am 16. Dezember 1888 als Spar- und Vorschußkasse von der Gemeindevorstehung gegründet." In Kirchdorf erfolgte die Grün- dung der Raiffeisenkasse im Jahre 1903. Sie ist daher im Jahre der Ein- weihung und Eröffnung der neuen Kassenlokale 65 Jahre alt. Es weht ein frischer Wind in der Kirchdorfer Raiffeisenkasse, ein guter Wind, der sich des Vertrauens der Sparer sicher sein wird. Samstag, 20. April 1968 Kitzbüheler Anzeiger Seite 17 dererbehausung (heute Viehmarktplatz) Die 1674 abgebrannte Lederer-Werchstatt jeglichen Gewinnes vor. Jeder, der eine und bis zum Brand im Jahre 1886 die stand herunter der Mühibruggen (heu- Hilfe wollte, mußte bereit sein, dem Peter Thannersche Schmiedbehausung te Dr. Lichem-Haus) und die Lederer- anderen beizustehen, wenn dieser ein-. (heute Gasthaus Rößl). Ein „Ausbruch" Lohstampf untern Mathaißen Wörgart- mal in Not kam. Die Idee von Fried- (aus dem Gut ausgebrochenes Grund- ner (später Christian Mayr) Hammer- rich Wilhelm Raiffeisen: „Einer für stück) ist das Gütl am Katzenbühel. schmidten. alle - alle für einen", war verwirk- licht. - Nach seiner Pensionierung als Amts- Friedrich Wilhelm Rairreise fl bürgermeister infolge fortschreitender zu' seinem 150.' Geburts-' und 80. Todestag Erblindung, und da er von dem Ruhe- gehalt nach kaum 20jähriger Dienst- Wir nehmen die Einweihung der Raiffeisenkassenräume von Kirchdorf zum Anlaß, um den von dem Kirch- berger Heimatforscher Anton Flecks- berger verfaßten Artikei von F. W. Raiffeisen zu veröffentlichen. „Am 11. März 1968 waren es 80 Jahre, c,aß in Neuwied am Rhein Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der Gründer der „ländlichen Spar- und Darlehenskas- sen nach dem System Raiffeisen" im Alter von 70 Jahren gestorben ist. F. W. 3aiffeisen stammte aus dem Siegerland, einer erzreichen Landschaft an der Sieg, einem Nebenfluß des Rheins, wo er vor 150 Jahren am 30. März 1818 als Sohn eines Dorfbürger- meisters.n Hamm geboren wurde. Raiffeisen trat zuerst in den Mili- tärdienst, den er aber wegen seiner schwachen Augen wieder verlassen mußte, und dann in den Dienst der Regierung am Rhein als Amtsbürger- meister, zuerst in Weyerbusch, dann in Flammersfeld, beide im Westerwald, einem rauhen Hochland über dem Rhein, und zuletzt - bs zu seiner fast völligen Erblindung - `Im Heddes-. corf am Rhein. Der Westerwald ist seit den dreißi- ger Jahren durch das „Westerwald- lted" der deutschen Wehrmacht be- kanntgeworden. Als in den Hungerjahren 1846 und 1867 die Not am höchsten stand, gab der neue Bürgermeister Raiffeisen nicht Ruhe, bis die Regierung für Weyer- tusch 160 Scheffeln Mehl bewilligte, gründete mit den bessergestellten Bürgern einen „Brotverein" und er- taute ein Backhaus. Wer nicht zahlen konnte, bekam billiges Brot auf Stun- cung der Schulden. Im nächsten Frühjahr hatte der schweigsame Bürgermeister mit Leih- geld weit von Hessen her Saatkartof- fein beschafft und in Weyerbusch ein neues Schulhaus erbaut. Die Regierung am Rhein wurde auf den mutigen Bürgermeister aufmerk- sam. Man erkannte, daß Raiffeisen eine viel größere Gemeinde als Weyer- busch gut verwalten und aus ihrer größten Not führen könnte und er- nannte ihn nun zum Bürgermeister von Flammersfeld. In Flammersfeld verhinderte Bürger- meister Raiffeisen den dorfweisen Auf- kauf der Bauerngüter zur Errichtung einer großen Industrieanlage, einer Weberei- und Stolfabrik und gründete mit 60 begüterten Bürgern den „Hilfs-
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