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Samstag, 12. April 1969 Kitzbüheter Anzeiger Seite 5 von Generation zu Generation und er- füllen uns mit Stolz. Aber eines müs- sen wir 'wissen: Der Mensch ist das Höchste, der 'Mensch ist die Krone der Schöpfung, im Menschen leben Kräf- te des Körpers und des 'Geistes. Die Kräfte des Geistes müssen immer wie- der entwickelt werden, sie unterliegen nicht einer menschlichen Weitergabe der Vererbung. Vergessen wir deshalb nicht, mit 'dem technischen Fortschritt auch den 'Gleichschritt zu halten in der Vervollkommnung unserer geisti- gen, menschlichen 'Kräfte. All das vorhin Gesagte lehrt uns daß Toleranz eine selbstverständliche Konsequenz des 'Lionismus ist. Wir leh- nen jene ab, die sich die Antwort auf diese Frage 'leicht machen und einfach erklären: Toleranz sei die Tugend je- ner, die 'an nichts glauben. Was verstehen wir darunter? Dazu ist folgendes 'zu sagen: Echte Toleranz 'kann verschiedene Wurzel haben. Sie entstammt: aus der 'Ehrfurcht vor dem Ge- wissen und der Ueberzeugung des an- deren. Aus diesem Grunde haben wir Ehrfurcht vor jeder Weltanschauung, die aus wirklicher Ueberzeugung stammt, auch wenn sie irrt. Ehrfurcht vor jedem religiösen Bekenntnis, auch wenn es Irrtümer enthält. Ehrfurcht vor jeder fremden Meinung, die sich um die Wahrheit bemüht. Echte Toleranz stammt aus der Ehrfurcht vor der Frei- heit des anderen. Jeder Mensch hat nämlich die Sendung, sein eigenes Le- ben und seine Persönlichkeit gemäß seiner eigenen Einsicht zu gestalten und zu entfalten. Diese Sendung kann er aber nur erfüllen, wenn er Freiheit besitzt. Echte Toleranz verlangt hier, daß wir den anderen die Freiheit zur, Selbstentwicklung nicht rauben. Echte Toleranz stammt aus der Ueberzeugung von der Macht der Liebe. Sie ist besser geeig- net, das Böse zu überwinden als die rohe Gewalt. Der Toleranz steht die Intoleranz ge- genüber. Sie ist deswegen zu verur- teilen, weil sie das Gewissen bzw. die Freiheit des Menschen nicht achtet oder nicht wirklich an die Macht der Liebe glaubt. Hieher gehören die Intoleranz des Staates, die Diktatur, die das Gewissen knechtet, die Konzentrationslager, der Weltanschauungsdruck auf die Staats- bürger durch die wirtschaftliche Macht des Staates. Stalin stempelte den An- dersdenkenden zum Volksfeind 'und ließ ihn durch Genickschuß oder Miß- handlungen liquidieren, 10-20 Millio- nen Sowjetbürger unter der Hand. In- toleranz ist nicht nur Wesenszug der totalitären Systeme, sondern auch un- abdingbare Verhaltensregel. Hieher ge- hört aber auch die Intoleranz durch den einzelnen. Ich meine hier den Fa- natiker, der immer nur den Irrtum und das Böse sieht, den Despoten in der Familie und im Geschäft, den harten Pädagogen, der alle Werte durch Ge- walt erzwingen will. Ich würde etwas vergessen haben, wollte ich nicht auch von den falschen Formen der Toleranz sprechen. Sie stammen aus der Leugnung des Bösen. Wer an keine Werte 'glaubt und Rechte und Pflichten nicht anerkennt, wird freilich auf dem Standpunkt stehen: „Mach was du willst." Er wird dem Bösen alle Freiheit lassen. Der Staat, der dem Bösen grundsätzlich ' alle Frei- heit gewährt, der ist nicht tolerant, sondern nachlässig, schwächlich, ja, jetzt habe ich das richtige Wort, ver- brecherisch. Nachdem das Stichwort von der ver- pflichtenden Funktion des Staates ge- fallen ist, möchte ich dazu einige Fest- stellungen machen. Es ist weder Ro- mantik noch Gefühlsduselei, wenn wir mit allem Nachdruck darum ringen, daß unser Volk nicht nur Schritt zu halten vermag mit der 'industriellen Weltentwicklung, sondern sieh auch die Verbundenheit mit Landschaft und Boden, mit Kultur und Heimat bewahrt. Der Wille zur sozialen Gerechtigkeit verbindet sich dabei mit 'unserem Wunsch, alles zu tun, was für die Ge- sunderhaltung unseres Volkes in der Vielfalt seiner Stämme, Schichten und Berufe möglich und notwendig ist. Weil wir kompromißlose Gegner des Kol- lektivismus sind, scheuen wir uns nicht, auch die Mittel des Staates dafür in Anspruch zu nehmen. Wenn ich aber sehe, in welcher Ton- und Preislage es üblich geworden ist. den Staat in Bausch und Bogen für Forderungen ohne, alle Rechtstitel in Anspruch zu nehmen, dann kann ich nur sagen: „Hic Rhodus, hic salte!" Vergessen und ignorieren wir dabei, daß jeder Schilling, der ohne zwingen- de oder hinreichende Rechtfertigung vom Staat gefordert wird, ein Anschlag auf das Eigentum des Nächsten ist. Oder sind wir schon so weit depi Massenwahn des Kollektivismus ver- fallen, daß uns gar nicht bewußt wird, daß alles, was der Staat zu geben und zu vergeben hat, •er anderen, doch gleichwertigen Staatsbürgern, wegneh- men muß. Wir bejahen, ich sage das noch einmal, den sozialen Rechtsstaat und das heißt, die Verpflichtung des Staates, der sozialen Gerechtigkeit dienstbar zu sein. Solange wir aber die Staatsfinanzen nicht aus dem Stickstoff der Luft ge,- winnen können, sondern sie auf dem Wege der Steuern uns und unseren Mitbürgern abverlangen müssen, so- lange muß jede, Forderung und jede Verlangen an den Staat, das finanziel- le Auswirkungen hat, doppelt und drei- fach unter dem Gesichtspunkt geprüft werden, ob es wirklich staatsnotwen- dig oder sozial vertretbar ist. Sozial heißt dabei nicht nur an den möglichen Empfänger denken, sondern auch an den, dem es weggenommen wird. Und noch eins! Unsere, Aufgabe besteht nicht gerade darin, etwas zu tun, was immer mehr Menschen in ihrer ganzen Existenz in die Abhän- gigkeit vom Staat und seiner organi- sierten Großmacht bringt. Wer vom Staat alles verlangt, wird dem Staat auch alles geben müssen. Sie wissen, meine lieben Lionsfreun-' de, den Spruch, daß ‚die, ‚ Menschen nichts schlechter vertragen als eine Reihe guter Tage. Warum soll das bei uns anders sein? Viele vergessen, wie es noch vor 27 Jahren gewesen ist. Viele leben über ihre Verhältnisse, stel- len Ansprüche, die. durch nichts ge- rechtfertigt sind und haben bei der Beurteilung der gegenwärtigen Situa- tion schier jegliches Maß verloren. Sie sehen Zeit und Raum nur mehr ver- zerrt durch den Nebel der Genußsucht und Sorglosigkeit. Man betet den Wohlfahrtsstaat an und spekuliert schon auf den Versor- gungsstaat, dem Faulbett der mensch- lichen Gemeinschaft. Man ist oereit, auf die persönliche. Freiheit gegen Al- mosen zu verzichten, wenn man nur nicht das Auto, den Eiskasten oder den Fernsehapparat verliert. Es gibt heute nicht wenige Menschen, die dem Augen- blicksvortei]. willen Grundsätze über Bord werfen. Dem „Götzen" Lebensstandard, der Sicherheit und auch der Bequemlich- keit opfert man nur allzu gern ein Quentchen Freiheit, von deren Vertei- digung man gleichzeitig redet. Viele unterwerfen sich so kollektiven Ten- denzen nur deshalb, weil dadurch un- ter Umständen das Leben ,in gewissen Bereichen etwas leichter wird. Das Streben nach Sicherheit be- herrscht heute, viele Kreise der Men- schen. Sie ist die große Sehnsucht un- serer Zeit. Meine lieben Lions lassen Sie mich doch zu diesem Streben nach unbedingter Sicherheit ein offenes Wort sagen. Nicht die Sicherheit für sich allein kann, wenn sie dir gegeben ist, das Leben lebenswert machen. Zu dieser Erfüllung bedarf es auch des Risikos. Ein Leben, das uns keine materiellen Tiefen mehr bringen kann, verschließt uns zwangsläufig auch die Höhen. Wer die Garantie. hat, daß er nie arm werden kann, zahlt dafür den Preis, daß er nie, reich werden darf, Wer vor dem Mißerfolg geschützt wird, kann nie einen Erfolg erreichen. Dem Menschen würde eine sehr not- wendige Freude geraubt werden, näm- lich die Leistungsfreude. Wird 'diese
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