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Seite 4 Kitzbüheler Anzeiger Samstag, 7. Juni 1969 Wesen des modernen Kunstschaffens im Bezirk Kitzbühel Eine repräsentative Ausstellung der Gemeinde St. Johann - Tirol hat einen neuen Kulturmittelpunkt - Acht Künstler stellten aus In der Sanistagausgabe der „Tiroler. Tageszeitung" vom 24. Mai 1969 erschien ein aufschlußreicher Artikel aus der Feder des Kulturredakteurs A. Strobel, der nicht nur , den ausstellenden Künst- lern, sondern auch dem vor gut zehn Jahren verstorbenen Maler Prof. Al- fons Walde gerecht wird. Wir erinnern bei dieser Gelegenheit, daß die Walde- ausstellung im Heimatmuseum Kitz- bühel täglich von 9 bis 12 Uhr geöff- net ist. Nun zu A. Strobel: „Der Ruf Kitzbühels im Bereich der Kunst unseres Jahrhunderts wird für immer mit dem Namen Alfons Walde verknüpft bleiben, nicht nur für die Kunsthistoriker, sondern, besonders seit der Eröffnung der Walde-Galerie im Kitzbüheler Museum, auch für die breite Oeffentlichkeit. Zu seiner Zeit war Walde eine Einzelerscheinung, und es schien zunächst, daß er auch nach seinem Tode eine solche bleiben sollte, Gewiß, Walde hat dem ganzen Bezirk im Bereiche der Kunst eine bestimmte Prägung gegeben, aber es ist in Wirk- lichkeit so, daß er wie ein guter Geist über dem schweben würde, was nach ihm kommen würde. Das Kunstschaffen. im 'Bezirk ist un- ter dieser Patronanz lebendiger, viel- fältiger, differenzierter geworden. Eine ganze Reihe von Künstlern, die etwas zu sagen haben, ist in den letzten zwei Jahrzehnten herangewachsen, darunter solche schöpferischen Kräfte, die heute schon internationale Anerkennung fin- den. Wenige nur von ihnen lernte man in Innsbrucker Ausstellungen kennen. Es ist eine Art künstlerische Wander- bewegung entstanden, die einerseits hei- mische künstlerische Kräfte nach aus- 1 PAIVI P ropangas Telephon 2992 wärts führte und andererseits auswärti- ge für ständig nach Kitzbühel und in den Bezirk gebracht hat. So haben sich die Bildhauer Dangl und Obermoser sowie die Maler Plalil und Insam in Wien niedergelassen Ein einzigartiger Fall ist der der beiden St. Johainner Zwillingsschwestern und Bildhauerin- nen Angelika und Barbara Müller (von denen man vor längerer Zeit über- raschend reife Plastiken im Zentrum 107 in Innsbruck gesehen hat), die jetzt in Mexiko leben und tätig sind. Aus dem Oberinntal stammen die in St. Jo- hann tätigen Künstler Heinrich Tilly (Teils) und Hans Burger (Kematen). Namhafte auswärtige Künstlerinnen mit bedeutenden Namen, wie Hilde Gold- schmidt und Reni Lohner, die eine international erfolgreiche Expressio- nistin und die andere eine wesent- liche Vertreterin der neuen Wiener Schule, sind heute in Kitzbühel ansäs- sig. Welche Bedeutung die Gesamtwertung des Kunstschaffens in einem größeren Bezirksbereich haben kann, zeigt eine jetzt in St. Johann stattfindende Aus- stellung, in der bei strenger Auslese acht Künstler und Künstlerinnen mit interessanten Werken vorgeführt wer- den. Man kann sagen, diese Ausstellung hat überraschendes Niveau. Bürger- meister Andreas Mariacher und dem Kulturreferent des Marktes, Prof. Wal- ter Kantner, gebührt das Verdienst, nicht nur diese Ausstellung ermöglicht zu haben, sondern auch weitere Pläne für ein gehobenes Kulturleben in' der Marktgemeinde zu entwickeln. Organi- sator der Ausstellung war der als künst- lerischer Motor des Bezirks seit Jahren Cofe Beil Kirchberg Taglich „the cadillacs" bekannte Bildhauer und Maler Prof. Heinrich Tilly, der als Kunsterzieher im Bundesgymnasium in St. Johann tä- tig ist. Er ist schöpferischer Künstler voll Initiative und Kampf eslust, der sich immer für andere Künstler eingesetzt hat und sich merkwürdigerweise zum erstenmal jetzt in einer Ausstellung re- präsentiert. Besucht man diese Ausstellung im Cafe Klausner, dessen Besitzer den gro- ßen Saal zur Verfügung gestellt hat und ihn sogar für wirkungsvolle Aus- stellungszwecke adaptieren ließ, so fällt au!, daß auch das Kunstschaffen in der Heimat Alfons Waldes heute verschie- dene Wege geht und doch den Gesamt- charakter der modernen Kunst kenn- zeichnet. Vom Expressionismus bis zum neuen Abstrakten kann man diese. ni- veauvolle Vielfältigkeit, die doch zu einer einheitlichen Wirkung kommt, fest- stellen. Heinrich Tilly ist ein Bildhauer, der einen eigenen Weg zur Abstrahie- rung natürlicher Gebilde und Körper entwickelt hat. So unverständlich seine Werke beim ersten Ansehen auch man- chem erscheinen mögen, so eindrucks- voll werden sie bei längerem Betrach- ten, besonders aus einer gewissen Ent- fernung. Dann erlebt man die Wahr- heit des alten Wortes über die Einheit von Geist und Materie im Kunstwerk. Einen völlig anderen Weg der moder- nen Plastik gehen die oben erwähnten beiden Zwillingsschwestern Müller in ihren als Komposition gestalteten Wer- ken, die in' ihrer Art an Barlach mit seiner Verbindung von Dynamik und völliger Ruhe erinnern In den malerischen Werken unter den vierzig Exponaten fällt das fast völlige Fehlen des Landschaftlichen auf. An seine Stelle tritt vielfach das Abstrakte in leuchtenden Farben. Am eindring- lichsten ist dies bei dem Kitzbüheler Maler Insam der Fall, von dessen Wer- ken vor allem „Premiere" und „Sing sing Sonne" als besonders charakteri- stisch hervorgehoben seien. Die Kunst Hilde Goldschmidts und ihres Expres- sionismus braucht nicht erst hervor- gehoben werden, man kennt sie aus ihren beiden großen Ausstellungen im Tiroler Kunstpavillon. Merkwürdig viel- fältig ist die Art des Kitzbüheler Malers Plahl. Sie reicht vom Abstrakten(, ,Stil- leben") bis zum neuen Realismus in ei- nem Bilde mit dem gleichen Namen. Hier zeigt sich ein Künstler mit starker Ausdruckskraft und Beherrschung ver- schiedener Techniken4. Alle diese Künstler, die wir bisher genannt haben, verfügen über akade- mische Ausbildung. Es werden aber auch Autodidakten vorgeführt, deren Bilder weit mehr sind als die üblichen Freizeit- oder Liebhaberproduktionen, Als ein hervorragender Gestalter kari- katuristischer Kompositionen mit köst- lichen Einfällen und ausgeprägter per- sönlicher Technik lernen wir den St. Johanner Hans Burger kennen, wäh- rend man den zweiten Autodidakten, den Gemeindeangestellten Kummerer, als dem »Magischen Realismus" zuge- hörig betrachten kann. 'Seine Blumen- bilder gehen über 'das Konventionelle hinaus. Nur kurz konnten 'wir hier das We- sen der einzelnen Künstler und ihrer Werke skizzieren. Sie alle gemeinsam zeigen, daß im Bezirk Kitzbühel das kulturelle Erbe seit 'Walde in ernst- haften Anstrengungen fortgeführt wird, aber auch daß die kulturelle Rührig- keit in St. Johann 'überraschend groß ist. Erfreulich dabei ist das ungewöhn- lich starke Interesse 'der Bevölkerung. Zur Ausstellungseröffnung waren über 200 Personen' gekommen und auch spä- terhin gab es einen regen Besuch. Um so bedauerlicher ist es, daß die kul- turell maßgebenden und repräsentati- ven Stellen, in 'der Landeshauptstadt trotz der Einladungen keinen Anteil an diesem Ereignis und dieser Doku- mentation des Kunstschaffens eines ganzen Bezirks genommen haben. Aus vielen Stimmen hört man, wie sehr dies befremdet hat." Die Ausstellung war vom 19. bis 26. Mai geöffnet.
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