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Samstag, 25. April 1970 Kitzb1Lh1er Anzeiger Seite 5 Sterbender Mittelstand Bus in die jüngste Zeit galt ein ge- sunder Mittelstand als Grundpfeiler je- der bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Es muß daher überraschen, daß man nunmehr auch im bürgerlichen Lager ine Entwicklung fördert, die gerad- linig auf die Ausrottung des Mittel- standes abzielt. Während dieser Prozeß auf dem gewerblichen Sektor noch mehr zufällig in Erscheinung tritt, ver- läuft er im landwirtschaftlichen Be- rich bereits nach einem wohldurch- dachten Projekt, den sogenannten ‚Mans- holtplan'. Dieser Plan ist zweifellos das Werk erstrangiger Fachexperten, ge- stützt auf sorgfältige Erhebungen, Be- rechnungen und vielleicht auch beste Absichten. Seine Schöpfer und Ver- fechter haben höchstfalls ein mitleidi- ges Lächeln dafür, wollten sich ein- fache Bauern noch näher damit be- fassen. Dennoch soll es hier geschehen. Die vorgesehene „Strukturverände- rung" macht zunächst sieben Millionen Bauern „überzählig". Nur ein kleiner Teil davon dürfte ohne weiteres bereit sein zur Aufgabe alles dessen, was ihre Vorfahren in Jahrhunderten geschaffen haben und wofür sie oft schwerste Op- fer und Verzichte auf sich nahmen. Alles Gerede von Umschulen, neuen Arbeitsplätzen, Rentenzahlungen usw. gleicht hier nur einer schwachen Nar- kose für die Opfer dieser Umstellung. Doch weit über alle ideellen wie rein bäuerlichen Erwägungen hinaus erhe- ben sich schwerwiegende Bedenken allgemeiner Natur. Auch im Bauernhaus ist der Rechen- stift längst kein Fremdkörper mehr. Wir wissen aber aus Erfahrung, daß mitunter die beste Rechnung zuschan- den wird durch Vorgänge, die weit über dem Einflußbereich des' einzelnen liegen. Man braucht noch kein Greis zu sein, um sich an solche Ereignisse zu erinnern. Der Mansholtplan geht offenbar von der Überzeugung aus, daß ähnliche Erschütterungen endgültig der Vergangenheit angehören. Ist aber die- se Zuversicht heute schon ausreichend begründet? Ist die gegenwärtige Vollbeschäfti- gung für alle Zeiten gesichert? Ist die Gefahr restlos gebannt, daß wir statt der vielen „Gastarbeiter" wieder ein- mal ein Heer von Arbeitslosen haben, vermehrt um die Millionenmasse des entwurzelten Mittelstandes? Es kann recht leicht sein, daß auch der städti- sche Arbeitsuchende einmal die Zeit verflucht, in welcher dieser Struktur- wandel in Gang gesetzt wurde. Selbst in Staaten mit einer sozialisti- schen Regierung kann es jetzt nicht mehr schnell genug gehen, bis der letz- te ‚.Arbeitsbauer" um sein bescheidenes Fiecki eigenen Bodens gebracht ist. zugunsten eines sattsam bekannten „Protzenbauerntums". Ist aber das gan- ze Land womöglich mit „Hilfe" von anonymen Auslandskapital endlich fest im Besitz einer Handvoll „Auserwähl- ter", dann muß man erst sehen, wie es mit den „billigeren und besseren Lebensmitteln" in Wirklichkeit bestellt ist. Nach dem Genuß von bäuerli - chen äuer ii- chen Erzeugnissen waren jedenfalls noch keine Massenerkrankungen zu verzeichnen. Vielleicht wird da gleich- zeitig auch der Keim gelegt für „Struk- turveränd'erungen", die kein Mansholt plante. Und zwar insofern, daß wir eines Tages noch als „Demokraten" zu Bett gehen und als .‚Volksdemokraten" aufwachen. Eine weitere Frage: Ist der Welt- friede jetzt so endgültig gewährleistet, daß nicht wieder einmal ab sofort das ganze Staatsvolk nur noch das zum Leben hat, was im eigenen Lande wächst? Daß die Aufbringung der not- wen di gsten Lebensmittel weniger eine Rentabiitäts- als eine Beschaffungs- frage darstellt? Läßt es sich also im gegenwärtigen Zeitpunkt schon verant- worten, Millionen Hektar bisher land- wirtschaftlich genutzter Fläche aufzu- forsten, in Ferienplätze und Parks um- zuwandeln? Ist es etwa eine überzeugende Frie- densgarantie, wenn selbst humanitäre Staaten den Bau neuer Panzer, Kampf- flugzeuge, Raketen usw. als weit vor- dringlicher betrachten als z. B. die menschenwürdige Versorgung der Schwerkriegsbeschädigten? Ebenso we- nig ist es der Umstand, daß noch ein großer Teil der Menschheit hungert, aber von den satten Völkern lieber mit Waffen, als mit Nahrung und Nah- rungsproduktionsmitteln versorgt wird. Gewiß! Wirtschaftskrisen, Massen- arbeitslosigkeit und Kriege sind ein Ausnahmezustand. Auch Krankheit ist ein Ausnahmezustand. Was hilft uns aber die wiederkehrende „Normalisie- rung", wenn wir den Ausnahmezustand nicht überleben. Zusammenfassend: Ein großer Neu- bau mag ein Meisterwerk der Archi- tektur sein. Steht er auf unsicherem Grund, wird er zur tödlichen Gefahr für all seine Bewohner. Für die Ver- wirklichung des Mansholtplans, auch wenn sie nur stufenweise erfolgt, gilt genau dasselbe. Das unerläßliche Fun- dsment hiefür sind eine gleichbleiben- de Beschäftigungslage für die Dauer sowie ein konstanter Weltfriede ohne Gefahr ernster Versorgungsschwierig- keiten. Diese Sicherheiten aber kann uns gegenwärtig noch niemand bieten. Auch Professor Mansholt nicht! Für uns in Österreich müßte das Ein- schwenken in den „Mansholt-Kurs" auch in anderer Hinsicht bald zum Verhängnis werden. Wie stünde es um unsere Handelsbilanz ohne Fremden- verkehr? Der Schwerpunkt für diesen Wirtschaftsfaktor ist der Alpenraum. Wieviel Anziehungskraft müßte aber diese Landschaft verlieren, wenn in ihren Tälern außer einigen Hotels und vielleicht einer Einkaufszentrale nur noch ein paar überdimensionale Guts- höfe den Gast erwarten. Der Sog auf den Strom der Erholungssuchenden kommt nicht nur von den landschaft- lichen Vorzügen unserer Bergwelt, son- dern auch in hohem Maß von der Vielgestaltigkeit ihrer Dörfer, ihrer Un- terkünfte sowie dem freundschaftlichen Kontakt mit ihrer Bevölkerung. Kein Mensch hier bildet sich ein,
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