Kitzbüheler Anzeiger

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Seite 2 Kitzbüheler Anzeiger Samstag, 18. Juli 1970 In den letzten Tagen feierte man zahlreich zum 25. Male das Ende des 2. Weltkrieges und stellte dabei die Er- lebnisse in Ländern und Städten jener Zeit ins Blickfeld. Man hat doch Ein- vierteljahrhundert nicht gerne von dem Unheil, dem Unfrieden jener Begebnis- se gesprochen. Kommen doch mit die- ser Erinnerung viele bittere Erlebnisse wieder an die Oberfläche. Nun ließ ich mich doch überzeugen, daß es für die Jugend von Wert sei, auch diesen Teil unserer Heimatgeschichte festzuhalten, um daraus Lehren zu ziehen. Nach dem 1. Weltkrieg begann der Kampf der politischen Parteien um die Macht im Staate. Radikale plünder- ten, raubten, legten Brände. Da die Staatsmacht zum Teil versagte, schu- fen sich die Parteien selbst bewaffnete Verbände: Bürgerwehr, Heimatwehr, Schutzbund, Sturmscharen. Anfang der dreißiger Jahre vom Deutschen Reich importiert, auch noch die Braunhem- den der Nationalsozialisten. 1927 der Justizpalastbrand in Wien, 1932 der Putschversuch der steyrischen Heimat- wehren, 1934 Aufstand des Schutzbun- des, im Juli 1934 noch der Kanzler- mord und Kämpfe der Nazi waren die Folgen. 1938, am 12. März, folgte die Macht- übernahme durch die Nazi und die Ein- gliederung ins deutsche Reich als Gau Ostmark. Jedesmal Tote bei diesen Bürgerkriegen und im Gefolge Einker- kerungen der Unterlegenen. Teils als Sühne oder auch als Geiseln. So wurden auch im März 1938 im Bezirk Kitzbühel mehr als drei Dutzend Männer in sogenannte Schutzhaft ge- nommen und im Gefangenhaus zu Kitz- bühel eingesperrt. Diese Haft wurde strenger gehalten, als jene für Schwer- verbrecher in Untersuchungshaft. Trotz- dem, als am 10. April 1938 Hitler in Innsbruck Aufenthalt hatte, auf seiner Reise zu Mussolini, wurden alle Wehr- verbände zum Empfang beordert, so auch unsere Bewacher. An diesem Ta- ge lockerte der österreichische Gefan- genenaufseher die strenge Absperrung. Wir trafen uns im großen Gemein- schaftsraum und konnten die Lage be- sprechen. Uns war klar, daß dieses Regime nicht 1000 Jahre dauert. Es wurden Pläne gemacht, in deren Ver- lauf ich beauftragt wurde, im gegebe- nen Zeitpunkt eine Widerstandsbewe- gung aufzurichten, um nach dem zu erwartenden Chaos in der engeren Hei- mat gleich zum Rechten zu sehen. Zum Schutze der Familien, der Arbeitsplätze und der Werte. 1943 nach dem Unglück bei Stalin- grad wußte ich, nun ist es Zeit. Von 1938 an hatte ich Verbot, mich in Kitz- bühel aufzuhalten, wie man sagte, we- gen der politischen Unverläßlichkeit im Sinne des Dritten Reiches. Erst mit Intervention konnte ich erreichen, daß meine Familie nicht auch mit in die Verbannung geschickt wurde. Nach Jahresfrist wurde mir toleriert, für höchstens jeweils drei Tage meine Fa- milie in Kitzbühel zu besuchen. Von München aus, wo ich mein Domizil hatte. Bei einem solchen Besuch sagte ich verstohlen zu Oberwachmann Brun- ner auf der Straße, er soll zu mir kom- men. Brunner verstand sofort, als hät- te er darauf gewartet, was ich wollte. Kaum eine Viertelstunde später be- trat er das Geschäft und verlangte mich dienstlich zu sprechen. Allein in der Wohnung erklärte er mir, daß er schon eine solche Anrede erwartet habe. Auch Freunde von ihm erhofften sich meine Initiative. Hiezu muß ich feststellen, daß diese Kreise um Brunner keine Kenntnis hatten von jener Abmachung im Gefangenenhaus im April 1938. Wir waren uns bald einig im Aufstellen einer Organisation, die beim zu erwar- tenden Zusammenbruch des Dritten Reiches bereits in der Lage ist, Maro- deure im Zaume zu halten und so Le- ben und Gut zu schützen. Des Risikos bewußt, für sich selbst und die Familie (Sippenhaftung) wurde strengstens vereinbart, jeder in Handschlag genom- men: darf nur seinen Vornamen ken- nen. Keine Mitteilung an Frauen, denn bei Verrat müßte zur Schonung vieler Leben schärfstens durchgegriffen wer- den. Außerdem war es strenge unter- sagt, schriftliche Aufzeichnungen zu machen und Mitteilungen zu verschik- ken. Die Organisation wuchs überraschend schnell. Bald hatten wir 8 stellvertre- tende Kommandanten, von denen am Anfang auch jeder nur seinen Vorder- mann kannte, der sofort die Organisa- tion in die Hand zu nehmen hatte, wenn einer ausfallen sollte. Schwierig war eine Weiterplanung, denn der Krieg ging fort und immer wieder mußten auch Leute von uns einrücken. Es gelang die Zusammen- arbeit mit den Nachbarorten, so daß wir bald in den meisten Orten de Kreises verläßliche Leute hatten. Eben- so bekamen wir Verbindung mit gle:- ehen Gruppen in Kufstein, Wörg, Schwaz und Innsbruck. Bei unserem System lag allerdings die Verantwor- tung bei mir allein, denn keiner der Nachfolgenden sollte mehr wissen, als unbedingt nötig, um bei peinlicher Be- fragung nur wenig verraten zu können. Alle Verhandlungen mußte ich füh- ren, als stünden über mir noch Obere, um eben das Geheimnis zu wahren, daß ich der Leiter sei. Ab September 1944 setzten sich Sol- daten der deutschen Wehrmacht in im- mer steigendem Maße in unseren Ber- gen ab. Da war es unsere Aufgabe, die- se zu betreuen, daß eben diese Deser- teure nicht Marodeure werden. Le- bensmittel waren doch so knapp auf Karten bemessen. Doch bald waren die Bauern gerne Lieferanten, die Ge- fahr erkennend, doch nicht wenige auch aus österreichischer Gesinnung. Aber auch Geschäfte und Betriebe spendeten. Wo hätten wir sonst Mehlsäcke und Zuckerkisten her? Besonders hervor- heben möchte ich viele Arbeiter, die selbst kaum die Schüssel voll hatten, und doch einzelne Brotlaibe, Speck oder ein Stückchen Käse gaben. Alle diese Patrioten solle man in ein gol- denes Buch eintragen. Denn es war doch sehr selbstlos, wenn ein Bauer ein Schaf, eine Ziege, oder, was auch vorkam, einen Stier schenkte, wo doch in jener Zeit für solche Waren im Schwarzhandel ein zehnfacher Preis zu erzielen war. Einer unserer Männer, von Beruf Zimmermann, hatte im Wald eine Schlächterei errichtet, denn es mußte alles in solchen Stücken verteilt werden, wie es für die einzelnen Grup- pen nötig war. Als diese Betreuung be- gann, waren es keine 50 Mann, auf ein Dutzend Almen aufgeteilt. Die letzte Standesmeldung von Ende April war weit über 700 Fahnenflüchtige und au- ßerdem gegen 1500 zivile Widerständ- 1er. Der Transport der Lebensmittel durf- te nur in den späten Nachtstunden bis in den Morgen hinein durchgeführt werden. Denn in dieser Zeit waren die gefährlichen Gegner müde von den Durchhaltefeiern. Tagsüber sollte kei- ner seine Hütte verlassen. In der zwei- ten Aprilhälfte handelten zwei Männer gegen diesen Auftrag, wollten die Un- terkunft gegen eine höher gelegene wechseln. Was war die Folge: sie wur- den von einer SS-Patrouille gesehen, es wurde geschossen, einer war tot, der andere schwer verletzt. Gottlob hatten wir zur Hilfe für den zweiten genug Aerzte unserer Gesinnung, so daß es ohne Aufsehen abging. Der Aufstieg zu den Almen war im Winter schwierig, denn es sollten kei- ne Spuren hinterlassen werden. Enorm war die Leistung der Proviantmeister und Lebensmittelträger. Mancher war mehrere Nächte hintereinander im Ein- satz. Im April 1945 wurde der Schnee auch hoch oben immer weniger, so daß ein Abwandern auf Hochläger, Holz- fällerhütten sowie Höhlen im Wald gegraben, in Betracht gezogen werden mußten, um vor Entdeckung sicher zu sein. Als die Bringung und Aufbringung schon schier über unsere Kräfte ging, bekamen wir Hilfe von einer Seite, die wir nicht erwartet hatten. Manche Mut- Vor 25 Jahren im Landkreis Kitzbühel Auf vielseitiges Verlangen - von M a x W e r n e r sen.
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