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Samstag, 18. Juli 1970 Kitzbttheler Anzeiger Seite 3 ter hatte einen Sohn, die Schwester einen Bruder, die Braut den Bräuti- gam in den Bergen. Das war Hilfe, wie diese Frauen Lebensmittel aufbrach- ten und bis an den Ort brachten. Da- bei waren Frauen damals als Trägerin- nen weniger auffällig. Zudem sich diese auch um die Häuslichkeit in den Män- nerwirtschaften kümmerten. Aber es hatte auch den Nachteil, denn es wur- de immer mehr publik, was sich in den Bergen tut. Mitte März 1945 er- hielt ich zum erstenmal die Nachricht, für mich und noch zwei wäre ein Haft- befehl beantragt. Darauf ging mein Fluchtweg bis Anfang Mai nicht zu En- de. Vom 30. April bis zum Morgen des 1. Mai wütete ein Schneesturm. Ich war in einem Haus im Bichlach, als ich die Meldung erhielt, in einem Gast- lokal hätte eine größere Anzahl SS- Männer eine Wette abgeschlossen, 30 Flaschen Sekt, daß man mich fangen würde. Wegen des Schneegestöbers konnte ich nicht bergwärts, alle Spu- ren wären zu gut sichtbar gewesen. Also lief ich die Straße des Brixen- tales entlang und wie oft mußte ich in Deckung gehen, wenn ich ein Motor- rad hörte. Am Morgen erst war ich nach 30 km Marsch in einem verläß- lichen Bauernhaus in Sicherheit. Die Verfolgung und mein Flüchten nahm meine Frau hin, als Folge der Erlebnisse von 1938. Doch so um Mitte April passierte folgendes. Mein treuer und so braver Knecht Pauli, die Ver- läßlichkeit selber, wenn er nicht Wein bekam. So war er in einer Nacht nicht auf seinem Posten, als ein Proviant- meister kam. Damals hatte ich aus- nahmsweise einiges bei mir eingela- gert. Der Proviantmeister konnte nicht mehr warten, weckte meine Frau und verlangte die Schlüssel zu dem Raum. Obwohl meine Frau dem biederen Handwerker voll vertraute, ging sie doch mit. Sah, daß der Mann sich be- stimmte Pakete heraussuchte und mit- nahm. Ich kam zu jener Zeit immer erst in den Morgenstunden und dann nur auf kurz heim. Bis heute habe ich den sorgenvollen Blick nicht vergessen, als sie mich fragte, was da los sei. Mitte März 1945 gab es etwas Ent- scheidendes. Um 6 Uhr früh kam der Oberlehrer Wieser zu mir. Ein Ver- wandter aus Ellmau habe ihn besucht und verlangt, er solle Fühlung aufneh- men mit dem Leiter der Widerstands- gruppe, da dieser ehest nach Ellmau kommen soll, um Verbindung aufzu- nehmen mit einer Gruppe Fahnen- fflichtiger, die seit Herbst im Wald vergraben leben. Diese haben rot-weiß- rote Fahnen ausgelegt, sobald alliierte Flugzeuge die Alm überflogen haben. Nun seien vor einigen Tagen Fall- schirmspringer der Feinde Deutsch- lands abgesprungen. Diese haben Kenntnis vom Bestehen der Organisa- tion. Sie wußten aber nicht den Na- men des Leiters, wollen aber raschest Verbindung haben. Nun er, Wieser, sei unwissend; so ist er zu Markl Rupp gekommen, dieser hat ihn schließlich zu Brunner gebracht und Brunner gab ihm meinen Namen. Nach Beratung vereinbarten wir, auf getrennten We- gen mit Fahrrädern spät abends nach Ellmau zu fahren. Wieser kam und kam nicht. Er hatte in der Dunkelheit in Apfeldorf einen SS-Mann angefahren. Ich aber konnte auch nicht in das ver- einbarte Bauernhaus, weil dort erst der Handwerker, der auf Stör arbeite- te, weggehen sollte. Endlich so gegen Mitternacht klappte es. Der Bauer führte uns und den Ortsgendarm, der auch für die Guppe Eilmau Verbin- dung aufnahm. Eine naßkalte März- nacht, es regnete und war stockfinster. Es ging in Richtung Hartkaser. Am Berg vor einem Gehöft erscholl der Ruf: „Halt! Losungswort!" Schon sa- hen wir den Gewehrlauf auf uns ge- richtet. Dann kam die Gestalt, einen Lodenmantel umhängend, auf dem Kopf einen Spitzhut und bärtiges Ge- sicht. Wieser sagte nachher, dieses Bild sollte man malen können, es war doch wie ein Räuber aus dem Mittel- alter gezeichnet wurde. Nach einem längeren Marsch und mehreren solchen Anhalten kamen wir zu einer alten Bauernmühle. Außer den Einheimi- schen alles gleich verwegen aussehende Gestalten. Man denke, ein halbes Jahr den Winter in Höhlen hausend. Es wa- ren zuerst zwei Fallschirmspringer und zuletzt deren acht anwesend. Vorge- stellt wurde nur mit dem Taufnamen. Später habe ich erfahren, daß der Jo- sef Belgier, der Stephan Engländer war. Schreibnamen haben wir nie er- fahren. Erzählen brauchten wir nicht viel, sie wußten Bescheid über fast alle Amtsträger der Partei. Ihr Haupt- anliegen war, was wir brauchen, um durchzuhalten. Waffen lehnte ich ab, zur Einzelverteidigung hatte jeder eine und an Kampf denken wir nicht. Wir wollen erhalten und schützen. Spreng- mittel kamen auch nicht in Frage, denn wir wollen auch nicht unsere Heimat zerstören. Wohl aber Lebensmittel und das war im gebrauchten Ausmaß nicht möglich. Wohl aber können wir Geld haben, ob Mark, Pfund oder Dollar. Ich entschied mich in der Hauptsache für Mark, denn die anderen Zahlungs- mittel könnten wegen des Auffliegens gefährlich sein. Diese Abteilung hatte ein Funkgerät; die Stromerzeugung er- folgte durch Handbetrieb. Man sagte mir, daß man meine Planung und Ein- stellung weitergeben wird und ich Be- scheid erhalte. Am nächsten Tag brach- te mir ein Bauer aus Ellmau einen Packen Geld, ungezählt, mit der Wei- sung, mit der Betreuung der Deser- teure weiterzumachen, ebenso hat man es gutgeheißen, Leben und Gut zu schützen. Ab Mitte April mußte ich meine Be- fehlsstelle in Kitzbühel an Oberlehrer Wieser abgeben, da es mir auf Grund der Verfolgung oft nicht möglich war, in die Stadt zu kommen. Was Wieser an Unerschrockenheit geleistet hat auf- zuzählen, würde einen Band füllen. Er hat auch den Plan gemacht, daß ein zum Tode verurteilter Soldat auf der Ueberstellung nach Innsbruck aus dem Zug entkommen konnte. Er war auch mittätig an der Befreiung des Land- rates und des Standortkommandanten von Kitzbühel. Diese wurden nach St. Johann verbracht und von dort über persönliche Weisung von General Kes- selring nach Zell am See überstellt. Dies sind nur zwei Fälle von vielen sol- chen waghalsigen Unternehmungen. Der Standortälteste war schon seit Monaten mittätig in der Widerstands- bewegung. Ihm verdankte ich die Mit- teilung, daß ein Befehl da sei, eine Jugendgruppe sollte die ca. 120 Men- schen, in der Mehrzahl französische Zwangsarbeiter, auf der Schattberg- halde in Kitzbühel am nächsten Mor- gen erschießen. Waffen und Munition seien in der Klosterkirche gelagert. Noch in der Nacht wurden von uns diese Waffen und Patronen in den Burg- stalihof gebracht und das Lager am Schattberg gesichert. Doch durch die entstandene Confusion unterblieb jede Aktion. Auch die Schwarze Brücke war zur Sprengung geladen. Ich war mit- tätig, als wir den ob unseres Auftre- tens verdutzten Pionieren die Karren mit den Sprengmitteln in die hoch- gehende Ache stürzten. Der Landrat schickte mir einen Ver- trauensmann. Er bitte nicht für sich, aber für seine Familie ersucht er um Schutz. Es war ja schon knapp vor dem Zusammenbruch des dritten Rei- ches. Wieso und ob dies die Ursache der Verhaftung war, ich weiß es nicht, auch nicht, wie dies so bald zur Kennt- nis der obersten Heeresleitung kam. Daß der Landrat schon sei Februar 1945 Kenntnis hatte, daß ich der Be- zirksleiter der Widerstandsbewegung war, fand ich in seinem Schreibtisch an Rapporten, als ich das Amt über- nommen hatte. Der Bürgermeister von Kitzbühel ließ mir Ende April sagen, er sei bereit, mir sein Amt zu über- geben. Klar, daß ich nicht darauf rea- gierte. Die Disziplin meiner Mannen war gut. Nur konnten es manche nicht er- warten, zur Tat überzugehen. So mach- te sich ein Teil der Gruppe Süd selb- ständig auf den Marsch und wartete knapp vor der Stadt auf den Einmarsch. So ließ ich mich treiben und arbeitete in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai ei- nen Befehl aus zur Uebernahme der Funktionen und Sicherung der wich- tigsten Objekte. (Das erste Schriftstück liegt im Origninal noch auf!). Doch der Bote wurde vor der Stadt abge- fangen, da ein Bataillon SS in der Nacht eingerückt war. Ich konnte mich noch am selben Nachmittag vom Geist
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