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Seite 16 Kitzbüheler Anzeiger Samstag, 21. November 1970 Die Funktionseinheit Ski - Bindung - Schuh Von Dr. Anseim Vogel, Vortrag, gehalten auf dem Gmundner Seminar am 14. und 15. September 1970 1. Fortsetzung So ist dieser Muskelschutz bei Ermü- dung oder beim überraschenden Sturz aus dem Stand ganz oder teilweise aus- geschaltet. Damit ist nur noch die Fe- stigkeit des (ungeschützten) Knochens vorhanden. Zur Bindungseinstellung geht man demnach nicht vom günstig- sten, sondern vom ungünstigsten Fall, dem ungeschützten Knochen, aus. Bruchmessungen an 120 menschlichen Schienbeinknochen haben ergeben, daß die Bruchwerte eindeutig vom Durch- messer des Schienbeinkopfes abhän- gen. Sowohl die Biegefestigkeit (Fron- talsturz) als auch die Verdrehfestig- keit (Drehsturz) des Schienbeinkno- chens nimmt bei Menschen über 45 Jah- ren deutlich ab (nur noch 60 0/0 bei über 55jährigen). Die seitlichen Kräf- te an der Schuhspitze, die zu einem Drehbruch führen, liegen bei 17- bis 45jährigen zwischen 20 und 50 kp. Die entsprechenden vertikalen Kräfte an der Ferse, die beim Biegebruch des Unterschenkels auftreten, liegen zwi- schen 80 und 140 kp. Einstellen von Sicherheitsbindungen Eine funktionsfähige Sicherheitsbin- dung kann nur dann erfolgreich vor Verletzungen schützen, wenn ihre Aus- lösekräfte in seitlicher und vertikaler Richtung nach der individuellen Ver- letzbarkeit des Skifahrers eingestellt sind. Da sich die Auslösekräfte durch Reibung erhöhen können und wegen der Verletzungen auf Grund kombi- nierter (Drehung und Biegung) Bela- stungen muß die Einstellung mit genü- gend großem Sicherheitsabstand unter dem Bruchwert erfolgen. Sie muß je- doch noch die für normales Skifahren erforderlichen Festhaltekräfte aufwei- sen. Die Einstelltabelle des lAS geht vom individuellen Bruchwert des Schienbeins des jeweiligen Fahrers aus, der durch eine Messung des Unter- schenkeldurchmessers am Schienbein- kopf bestimmt wird. Ihre Werte sind mit ausreichendem Sicherheitsabstand zu diesem Bruchwert versehen und be- rücksichtigen die erforderlichen Fest- haltekräfte. Eine Sicherheitsbindung ist erst dann funktionsfähig, wenn sie auf dem Ski befestigt ist und mit dem eingepaßten Schuh die sogenannte B i n d u n g s - e i n h e j t bildet. Diese Montage muß von geschulten Kräften im Sportfach- geschäft vorgenommen werden, und erst anschließend ist eine Funktions- prüfung der Sicherheitsbindung über- haupt möglich. Jede Bindung kann und muß also erst nach der Montage auf den Wert eingestellt werden, der für den jeweiligen Skifahrer aus der Ta- belle hervorgeht. Diese Einstellung kann keinesfalls allein auf Grund der Angaben der Hersteller über die Aus- lösekräfte (in kp) ihrer Bindungen vor- genommen werden, da die wirklichen Werte von der Montage, dem Einfluß der Fersenbindung auf den Vorder- backen und vom Schuh abhängen. Le- diglich bei einigen justierten Fersen- bindungen kann - richtige Montage vorausgesetzt - deren Ueberprüfung unterbleiben, so daß nur der zugehöri- ge Vorderbacken gemessen werden muß. Die auf Grund der Herstelleranga- ben ganz grob vorgenommene Einstel- lung einer Sicherheitsbindung bedarf der Ueberprüfung und notfalls Korrek- tur mit Hilfe eines Bindungsprüfgerä- tes. Nur mit einem Prüfgerät können auch Fehler bei der Montage und un- geeignete Schuhe festgestellt werden. Hinweise für die Einstellung von Si- cherheitsbindungen nach der individu- ellen Knochenbruchlast geben die Er- läuterungen zur Anwendung der lAS- Tabelle. DER SKISCHUH Aus kräftigem Leder mit Zwienaht, dem Bergschuh verwandt, dienten sie einst als zweckmäßige winterliche Fuß- bekleidung. An der eckigen Form, mit der sie in die starren Backen der Bin- dung paßten, erkannte man sie ein- deutig als Skischuhe. Je nach Fahrstil und Mode waren sie kurz wie Halb- schuhe oder lang wie Knobelbecher und ebenso wie Ski und Bindung wur- den sie immer stabiler und teurer. Längst sind sie so zum Gehen völlig ungeeignet, und es erscheint sinnvoll, diese Entwicklung einmal kritisch zu überprüfen. Fahrverhalten Exaktes Fahren und die Uebertra- gung der beträchtlichen Fahrkräfte er- fordern hohe Einspannkräfte im Schuhoberteil. Diese müssen, um schmerzhafte Druckstellen und Ueber- belastung des Schuhmaterials zu ver- meiden, jeweils möglichst über größere Flächen verteilt werden. So hohe Kräf- te können nur ungenügend durch Schnürung aufgebracht werden, so daß heute Schnallen die beste Lösung dar- stellen. Sie bieten vor allem die Möglichkeit, die Einspannkräfte an verschiedenen Stellen unterschiedlich groß zu ma- chen und so eine besonders günstige Anpassung an den Fuß vorzunehmen. Deshalb sind Schnallen nicht nur für den sportlichen Fahrer die beste Lö- sung. Die Kraft pro Schnalle beträgt bei Fahrern schärferer Richtung im Mittel 30 kp. Dies bedeutet aber, daß nu' das beste Leder unter den widri- gen Witterungsbedingungen der Ski- praxis diesen Anforderungen gewach- sen ist. Aus diesem Grund werden für gehobene Ansprüche zunehmend Kunst- stoffe und zwar sowohl Duromere wie Elastomere verwendet. FDlgende Eigenschaften hat - grob umrissen - heute der Skischuh des ambitionierten Läufers: steif in den Seitenteilen, die den Knöchel umschlie- ßen, hochbelastbar im hinteren Teil, so daß der Skifahrer die Möglichkeit hat, in Rücklage auszuharren und sich gegebenenfalls nach vorn zu ziehen. Dem Sprunggelenk sollte nach vorn ei- ne ausreichende Bewegung gegen eine unter Umständen progressive Forde- rung möglich sein. Eine weitere Mög- lichkeit, die starke Beschränkung der Sprungbeweglichkeit auszugleichen, liegt in einer gewissen Elastizität der Fersenbindung. Sicherheit Das Umschließen des Knöchels schützt diesen weitgehnd vor Verletzungen, ist jedoch nicht der einzige Einfluß des Schuhs auf die Sicherheit des Fahrers; denn bei fast allen Sicherheitsbindun- gen ist der Schuh von entscheidendem Einfluß auf die Funktion. Die Auslöse- kräfte der Vorderbacken hängen von Form und Zustand der Sohle ab. Durch schnabelnde verformte Sohlen können die Auslösewerte auf ein Viel- faches ansteigen, so daß die Bindun- gen keine Sicherheit mehr bieten. Heu- te werden in steigender Zahl Schuhe angeboten, die den Vorschriften des Normentwurfes entsprechen. Solche Schuhe haben formstabile Sohlen (z. B. mit Holz- oder Hartplastikkern) aus Kunststoff oder kunststoffumspritzt, die so geformt sind, daß die Auslö- sung nach beiden Seiten bei der glei- chen Kraft erfolgen kann. Ihre Rei- bung gegen Teflon und gegen die Me- tallteile der Bindung ist gering. U n g e- schützte Ledersohlen dagegen können durch Feuchtigkeitsaufnahme bzw. -entzug Längenänderungen bis 3 Prozent aufweisen. Sie sind so für S i- cherheitsbindungenunbrauch- bar. Skischuhe mit normgemäßen Sohlen sind zum Gehen nicht mehr geeignet. Bedauerlicherweise sind wegen der Funktion der Sicherheitsbindungen sol- che Sohlen auch und vor allem für die Schuhe all der Gelegenheitsskifahrer erforderlich, die mit einfachen, rela- tiv weichen, auch zum Laufen geeigne- ten Schuhen weit besser bedient wä- ren, Das gleiche gilt für die Skischuhe der Kinder, deren hoher Anteil an den Skiverletzten dringend bessere Bindun- gen und dafür geeignete Schuhe erfor- derlich macht. An den Skibergst.e.iger, dessen Schuhsohle unten abgerundet oder mit Sprengung versehen und grif- fig sein müssen, darf man in diesem Zusammenhang gar nicht denken. Fortsetzung folgt!
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