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Seite 4 1(itzbüheler Anzeiger Samstag, 19. Dezember 1970 den vermutlichen Ausganges eines bei Gericht anhängigen Strafverfahrens oder den Wert eines Beweismittels für ein solches Verfahren, vor Fällung des Urteiles I. Instanz in Druckschriften ein Vergehen dar, das mit 1-3 Mona- ten Arrest bestraft wird Es geht hier nun im konkreten weni- ger um die Subsumption der kritisier- ten Berichterstattung unter dieses Presseinhalstdelikt, weil ja hier gar nicht erst Erörterungen über einen allfälligen Ausgang eines Verfahrens gemacht werden, sondern weil durch den Artikel und seine Ueberschrift die Beteiligten und namentlich Genannten schlechthin zu Räubern und Verbre- chern gestempelt werden. Eine derartige Berichterstattung geht also von vornherein schon viel weiter, als es das Tatbestandsbild des zitierten Lasser'schen Artikels Nr. VIII verlangt, denn es kommt gar nicht erst zum Abwarten der Einleitung von Vorerhebungen und gerichtlichen Vor- untersuchungen gegen die Verdächtigen Rechtsbrecher und zur Auseinander- setzung der Presse mit diesen Verfah- rensergebnissen, weil ja die Verdäch- tigen bestenfalls erst in Verwahrungs- haft genommen werden konnten und eine hinreichende Erhebung zum Zeit- punkt des Abdruckes des angekreide- ten Berichtes überhaupt noch nicht vorliegen konnte, da der Bericht am darauffolgenden Tage der Tat schon in der Zeitung abgedruckt erschien und praktisch für die Umwelt schwarz auf weiß die Genannten zu Kapitalverbre- chern erklärte. Es soll nun hier nicht lange pole- misiert werden, welches Unheil derart verantwortungslose Berichterstattung anzurichten vermag, denn diese ist im hier zur Vorlage dienenden Beispiels- falle bereits geschehen. Der Ruf ist verloren, denn die Zeitung „lügt nicht", auch wenn man die Verdächtigen kurz nach der Tat wieder auf freien Fuß setzte. Die Umwelt zerbricht sich kaum den Kopf, wieso das sein kann, weil sie sich um rechtlich komplizierte und diffizile Vorgänge des Strafprozesses nicht bekümmert, sondern nur mehr das vor Augen hat, was ihr die Presse oktruierte und was in der unauslösch- lichen Anschauung gipfelte: die beiden sind Räuber. Auch daß die Resoziierung eines einmal derart in Verdacht Gera- tenen praktisch gesehen äußerst schwierig ist, braucht nicht erwähnt zu werden. Die Kleinlichkeit der Mitbürger geht sogar so weit, daß ein derartig Ver- folgter hart darum kämpfen muß, in hilfsbereiten Organisationen und Ver- einen, denen er schon vor der Tat an- gehört hat, weiter zu verbleiben (wie z. B. bei der Oesterr. Gesellschaft des Roten Kreuzes u. a. m.) Diese Entgeg- nung ist viel eher darum bemüht, die leichte, ja leichtfertige Feder der Pres- seberichterstatter für die Zukunft zu rügen, um ihnen den ethischen Wert ihrer Arbeit vor Augen zu führen, daß sie in einem solchen Fall viel mehr behutsame Sorgfalt an den Tag legen mögen, um so der Gesellschaft und den einzelnen wirklich mit der Macht ihres Mediums zu helfen. Der Vorschlag geht dahin, nicht blindlings unerwiesene Tatsachen und Tatschilderungen zu übernehmen, zu behaupten und abzudrucken und vor allem keine Subsumption eines Sach- verhaltes unter ein strafgesetzlich de- liktmäßiges Tatbild vorzunehmen - also die vornehme Geistesarbeit des Gerichtes durch voreilige und vorrasche „schriftliche Lynchjustiz" vorwegzuneh- men - ‚sondern sich nur au! den Tat- sachenbericht zu beschränken, den sie mit gutem Gewissen, so wie ein Zeuge vor Gericht, aus eigener Wahrnehmung - wie etwa der Reporter eines Staats- empfanges seinen Bericht mit Licht- bildern belegt - verantworten kann. Kann die Presse einen so geforderten Tatsachenbericht nicht bringen, dann hätte sie die heilige Pflicht, schon in der grammatikalischen und sprachli- chen Formulierung die Information für die Mitwelt so zu gestalten, daß klar zum Ausdruck kommt, daß es sich hier nur um einen Verdacht handle, dem die Möglichkeit jederzeitiger Ent- kräftigung innewohne. Die Presse hat nämlich nicht nur die Empörung der lesenden Menge zu sta- cheln, sondern mit gleicher Konsequenz und gleichem Einsatz das Recht des im Augenblick Verdächtigen zu wah- ren und damit einen der höchsten Grundsätze der Justiz zu wahren, näm- lich - et altera pars auditur - auch der andere Teil muß gehört werden, bevor man sich ein Urteil zumißt. Die- ser Forderung wurde zumindest in dem hier konkret beanstandeten Be- richt in keiner Weise Genüge getan. Woher bezieht nun die Presse ihre so raschen, unüberlegten und jähen „Tatsachenberichte"? Die Antwort lautet: „Von den Si- cherheitsorganen." Auch für diese Stellen der Rechts- pflege wäre es ratsam, wenn sie zu- nächst ihre ersten Erhebungen irnd Dossiers nur dem Untersuchungsrich- ter und nicht auch der Presse zur Ver- fügung stellten, denn rechtlich liegt der Fall so, daß schon gar nicht die Oeffentlichkeit, ja nicht einmal der Verteidiger eines verdächtigen Rechts- brechers im Stadium der Vorerhebun- gen und Voruntersuchungen unbe- schränkte Akteneinsicht hat. Der Un- tersuchungsrichter kann diese wohl teils gewähren, für gewisse Beweis- stücke auch, allerdings mit einer ent- sprechenden Begründung, verweigern. Es ist darum für das Rechtsempfin- den unverständlich, daß zum absoluten Nachteil einzelner Verdächtiger von den Sicherheitsorganen (und zwar schon am Folgetag der Tat) der Presse offenbar das gesamte Erhebungsmate- rial und somit die gesamte, bisher feststellbare Sachverhalts- und Tat- schilderung zum Abdruck für die brei- te Masse zur Verfügung gestellt wird. Auch eine Interessenabwägung (je- ner der Oeffentlichkeit mit jenen des Rechtsverletzers) muß unbedingt zu- gunsten des letzteren eine Verneinung dieser Vorgänge bringen; denn die Allgemeinheit hat wohl ein Recht auf Information, aber auf richtige! In unserem Fall sind jedoch die ein- zelnen Rechtsverletzer für die Allge- meinheit Räuber geblieben, obwohl sie wegen Raubes gar nicht erst von der Staatsanwaltschaft verfolgt wurden und nicht wegen eines Verbrechens, sondern einer Uebertretung des Rauf- handels angeklagt und auch verurteilt wurden. Die Sicherheitsorgane hätten daher auch hier als erste Informations- quelle eine ethisch hohe Aufgabe zu erfüllen, die tendenziöse Weitergabe von Informationen an die Presse eher zu verweigern, um Verdächtige in ih- ren Rechten nicht so schwer zu ver- letzen, wie es hier geschah! Zurückkommend auf unseren konkre- ten Beispielsfall soll abschließend noch aufgeführt werden, welchen wahren Verlauf der oben geschilderte „Raub" nahm: Die Verdächtigen wurden am 10. No- vember 1969 in Haft genommen und mehr als drei Monate später, genau drei Monate und sechs Tage, also am 16. Feber 1970, aus der Haft zur Haupt- verhandlung vorgeführt, nachdem die Staatsanwaltschaft am 5. Feber 1970 Strafantrag nur wegen Uebertretung des Raufhandels gestellt hat. Dieser Uebertretung wurden die Verdächti- gen dann auch schuldig gesprochen. Das Leumundszeugnis des Beschul- digten Wörgötter war einwandfrei, sein Strafregisterauszug ohne Makel. Er war bis zu diesem Tage völlig unbe- scholten. Zurück bleiben aber drei Mo- nate und sechs Tage bitterer Unter- suchungshaft, für die ihn niemand ent- schädigt. Denken wir dabei nicht nur an den Verdienstentgang und die rein materiellen, sondern vor allem an die immateriellen Schäden, an den Kampf um Rehabilitation in der Heimatge- meinde, den Arbeitsplatz u. a. m. Wäre aber nicht schon in der meist- gelesenen Tageszeitung Tirols am Fol- getag der Tat von einem R au b ge- schrieben worden, sondern von, den Tatsachen entsprechend, Raufereien, wie sie hier zu Lande öfter bei alko- holerhitzten Streithähnen vorkommen, wer weiß, ob dann nicht die Unter- suchungshaft, die drei qualvolle Mona- te dauerte, und für die es keinen Er- satz gibt, unterblieben wäre! Denn auch der Untersuchungsrichter, der den
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