Kitzbüheler Anzeiger

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Seite 12 Kitzbüheler Anzeiger Samstag, 26. Februar 1972 Jahrhunderts an die 150 Chistusdarstel- Kitzbuhel und Sterzing als Theuterstädte spieljahre. Das ist auch für das theater- Als Kirche und Wirtshaus noch kulturelle Zentren waren besessene Tirol ein Rekord, bei dem kein inderer Snielnrt. in Nord- Süd- in uer Zeitscnrii „Südtirol in Wort uhU .iict" vom . August i(i scnrieo unser btauLoucnauLor Dr. lNoroert hoizl (Llenz) im ±-i.inoilck auf cue ver- senwisterungsteier beider Städte. „lch kann cten Leser, der in Sachen vernossenes ineaber 1em .acnrnaxm ist, berunigen. icn nabe namncn nicht vor, hier ein paar HistoriKer mit der „bisher nocn unbeKal:mten" Tatsacne zu entzücien, daß es zwiscnen der iN ora- ulla uatiroler Staat besonaere Bezienungen gegeben hatte. Denn die gau es mein, auier aaß hier wie dort uiesernen Leute mit derselben Hart- naclugKeit aen Boden beruiiicn durch- wühlten; auber daß die mcnt beruf- hcnen Schauspieler beider Orte jeweils einmal in aer d.*escmcilte aufs groblich- ste entgleisten und von den Empimdil- cnen heute unter die Rubru. „Das schickt sich nicht" einzuordnen waren. Während die „Kitzbichler" bei ihren PassionsspeltakeJn auf dem blutigen seKtor unter dem Deckmantel der Nachfolge Christi ausfällig wurden, wuraen es die Sterzinger unter peinli- cher Vorwegnahme einer vielzitierten Welle unserer Tage auf sexuellem Ge- biet - nach dem Motto, einmal im Jahre, „ze tasnacht" natürlich, ist all das interessant, was unter der Bett- decke zwischen dem Männchen und seinem Weibchen geschieht. Eine Ver- wandtschaft zwischen Kitzbühel und Sterzing besteht neben viel Blut und theatralischem Sex in der Tatsache, daß in beiden Orten so viel gespielt wurde wie in keiner anderen Tiroler Stadt und daß die Spielwütigen erst dann Ruhe gaben, als ihnen die Behör- den keine mehr gaben. Weiters stammen aus Sterzing und Kitzbühel die beiden prominentesten Malerregisseure des Landes: aus Ster- zing der theatralische Tausendsassa Vigl Raber, der mittelalterliche Maler, den die Nachwelt als den rührigsten Volksspielproduzenten und Vorläufer der Theaterverleger in Erinnerung hat, und aus Kitzbühel Simon Benedikt Faistenberger, den die Kunstgeschichte gerade heuer wieder als größten Ba- rockmaler des Nordtiroler Unterlandes feiert, um berauscht von seinen herr- lichen Fresken seine theatralische Ak- tivität, die wie ein roter Faden sein ge- samtes Schaffen durchzieht, eher unter den Tisch fallen zu lassen. Beginnen wir mit der Stadt der Fai- stenberger, also mit dem Blut und nicht mit dem „Sex" der Fasnacht. „Das Blut spritzte zur Ehre Gottes" lautet dort eine Ueberschrift. Das ist gewiß ein bißchen reißerisch, trifft aber genau den Kern der Sache. Natürlich ging es dabei nicht um Menschenopfer wie am Teocalli, dem altmexikanischen Götter- tempel, sondern um ein mehr oder we- niger freiwilliges Auspeitschen der ei- genen Person. So spritze in der Alten und in der Neuen Welt das Blut zur Ehre Gottes recht heftig, nur daß man in der Alten überlebte und sich den Schmerz selbst zufügte. Aelmlich düster wie heute nur noch in Spanien zogen in der Barockzeit Bructerschaftsmitglieder in schwarzen Kutten mit Kreuzen und Fackeln, mit Fahnen und Tragbühnen durch die Gas- sen. Bis 1686 geschah das sogar zur Nachtzeit! Aber dann war die Angst vor dem Feuer doch stärker als die Freude an der gruseligen Passions- szene. Bußprozessionen stellten die ge- samte Heilsgeschichte dar. Dabei kam es zum Kuriosum, daß Kitzbühel und das benachbarte St. Johann bis zu 6 Chistusdarsteller auf einmal benötig- ten, weil der Leidensmann in verschie- denen Stationen auftrat. Heute müs- sen die bayrisch-tirolischen Spieldörfer einen guten Christus mit der Lupe su- chen und manchmal sogar gut hono- rieren. In Kitzbühel dagegen mußte das Los entscheiden, weil der Andrang so groß war. Außerdem mußte man be- zahlen, um eine solche Rolle überhaupt zu erhalten. Bereits 1735 wurde dieses Markten mit Christusrollen „Ihro Hochfürstli- chen Gnaden", dem Bischof von Chiem- see, zu bunt, und er verbot es. Fünf Jahre später wurde es den murrender. Kitzbühelern zu bunt und sie erlaubten es, hielten wieder ihre Spielprozessio- nen ab und „vermarkten" fröhlich drei Christusrollen, später vier und schließ- lich sechs und füllten damit ein wenig die „Bruderschaftskasse". Das Effekt- volle an diesen theatralischen Bußpro- zessionen war nicht so sehr das Mit- schleppen von riesigen roh gezimmer- ten Kreuzen, sondern das Geißeln. Und wie kräftig das Blut in Kitzbühel spritz- te, beweisen laufende Rechnungen für das Anstreichen weißgekalkter Wände, die nach Ostern über und über besu- delt waren. Ein besonders eifriger Kitz- büheler schaffte sich ein Geißel mit Sperin, also den Metallteilen, aus Silber an. Der Schmerz blieb vermutlich der- selbe wie bei Eisen, aber die Repräsen- tation war gestiegen. Und auf die ist es den Kitzbühelern bis zum heutigen Tag noch immer angekommen. lxi Kitzbühel lassen sich von 1518, wo „an Unser frauentag all notorf zu dem spill gemacht" wurde, bis Ende des 18. Feuernotruf Tel. 122 nur für Kitzbühel Komm. Tel. 25 53 Wohnung 2161 Büro Stellv. Tel. 24 60 Wohnung 29 92 Büro Notruf Gendarmerie Tel. 133 Rettung (Rotes Kreuz) Tel. 144 il oder Osttirol mitreden kann, nicht ein- mal Sterzing, das bei dieser Lektüre aber nicht in seiner Theaterehre ge- kränkt sein soll, denn es besitzt zwar weniger Zahlen, dafür aber das um- fangreichste deutsche Spielarchiv aus dem Spätmittelalter. In Kitzbühel war wirklich die ganze Stadt Bühne! Dabei darf man nicht vergessen, daß einst das Theater ja nicht irgendein Spiel- chen so am Rande war, auch nicht eine kulturelle Leistung unter vielen wie heute, sondern das Massenmedium schlechthin, in dem alle Energien, die für uns in Film, Fernsehen, Funk und Presse verstreut sind, konzentriert wa- ren. Ein Medium, dessen sich der Mächtige, damals die Kirche, sehr ge- zielt und nebenbei bemerkt auch sehr geschickt bediente. Ursprünglich hat man in Kitzbühel so wie in Sterzing in der Kirche selbst gespielt. Aber schon bald ist auch ein Spiel vor der Kirche belegt. So heißt es 1519: „Ein pun zu machen wegen der spill auf dem freit- hof". Im Zeitalter der Bürgerrenaissonce spielten die Kitzbüheler auf dem Platz vor dem Rathaus und schließlich im Rathaus selbst. Nicht umsonst hat ja Max Weinhardt verbittert über den Salzburger Schnürlregen bemerkt, daß man nördlich von Verona Freilichtspie- le lieber bleiben lassen solle. Schon zu Ostern 1545 sahen die Kitzbüheler ein Jedermann-Spiel: vom jungen Gsöl- len, der sich bekehrt hat, heißt es. 420 Jahre später hat Kitzbühel wieder ei- nen Jedermann aufgeführt, das war 1924, das Werk Hofmannsthals, aller- dings im bäuerlichen Kostüm. Im 16. Jahrhundert inszenierten die Latein- schulmeister gelehrsame Stücke „in der Stat auf dem Platz" und „auf dem Rathaus". Aber im 17. Jahrhundert ka- men die Dominikaner, sahen, daß die Kitzbüheler samt ihren „Comedien" etwa dem frommen „Spill vom gedul- digen Job", und obwohl 1623 „aus dem Jochberg heraus aufn Rathaus ain Spill von den Zehen Alteren gehalten wor- den", diese Kitzbüheler gar nicht so richtig fromm waren, ja schon gefähr- lich weit nach Deutschland hinaussa- hen, wo ein gewisser „Munich" Luther alles durcheinandergewürfelt hatte. Und als die Dominikaner das alles sa- hen, hieß es auch für die Spiele: Nun wieder Marsch zurück in Kirchennähe! Mit den geistlichen Spielen am Fried- hof dürfte es zusammenhängen, daß am Rande dieses Friedhofes, zwischen den beiden Kirchen, dem Volksschau- pieler das erste Spielhaus Tirols errich- tet wurde, das er nicht mehr mit wel- schen Komödianten teilen mußte. Das war 1707. Hier wurden Passion und phantastische Ordensdramen aufge- führt.
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