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Seite 6 Kitzbüheter Anzeiger Samstag, 27. Oktober 1973 stialischer Weise getötet wurde, Ich selbst überschritt den Sutlej nochmals weiter oben über eine Holzbrücke und wendete mich nordwärts über den Bud- bud-La-Paß. Einige Tage später trafen Harrer und Kopp wieder mit mir zusam- men und wir wanderten nun in Richtung lndu weiter. Nach wochenlangen Märschen erreich- ten wir am 8. August Gyabnak, den Haupt- sitz der dortigen Verwaltung. Hier wur- den wir festgehalten. Nach einigen Tagen erschien ein Bote, der uns aufforderte, nach Tradün zu kommen, wo zwei hohe Beamte aus Lhasa uns erwarteten. Am 12. August er- reichten wir Tradün und nach langwieri- gen Verhandlungen mit den Beamten stimmten diese zu, unser Gesuch um Auf- enthaltsgenehmigung in Tibet an ihre Re- gierung zu senden. Diese war wegen der Neutralität Tibets erforderlich. Des Wartens müde, machten Harrer und ich im November (1944) einen Ver- such, ostwärts zu wandern. Aber schon in der ersten Freinacht wurde unsere Flucht von Wölfen vereitelt, welche un- ser Lager angriffen und zwei unserer Packschafe töteten und auffraßen. Bei unserer Rückkehr nach Tradün verabschiedete sich Kopp von uns, da er sich entschlossen hatte, nach Nepal abzureisen. Einige Tage nachher er- hielten wir den Besuch einer höchst feier- lichen Abordnung. Diese teilte uns mit, daß Lhasa endlich unseren „Layming" bis Kyirong geschickt hat, und wir be- gannen diese Reise am 17. Dezember 1944 mit Reitpferden und Begleitern. Aber erst am 25. Jänner erreichten wir Kyirong. Der Name bedeutet „Stadt des Glücks" und wir fanden, es war kein schlechter Name, weder nach Lage, noch Klima, Schönheit und Harmonie. Unser Aufenthalt hier dauerte zehn Monate. Wir erforschten den Bezirk gründlich. Zuerst war unsere Bewegungsfreiheit auf innerhalb weniger Meilen von Kyi ron beschränkt, und wir verwendeten den größten Teil unserer Zeit mit Skifahren auf Birkenski, welche uns ein dortiger Tischler machte. Aber im Juni 1945 wurde uns mitgeteilt, daß wir am neunten tibe- tanischen Monat (Oktober) fortkämen, und wir erhielten nun mehr Bewegungs- freiheit. Unter anderen Plätzen besuchten wir den Landdistrikt, wo die Butter in gro- ßen Mengen, in fünf Fuß hohen Butter- fässern erzeugt wird, wobei je vier Mann in Schichten an einem Butterfaß arbeite- ten. Nahezu alle iunsere Erkundigungen dienten der Planung eines Weges für die vorgesehene Flucht nach Lhasa. Tatsächlich stahlen wir uns am 8. No- vember davon, bahnten uns nachts einen Weg stromaufwärts des Trisuli Ganga. Lange Märsche führten uns nach Trak- chen, wo wir das großartige Panorama der Pungrong-Kette mit den Gosainthan und Lapchi Kang skizzierten. Von Menk- hap Wen steuerten wir dann nach Nor- den, eine Richtung, welche wir für etwa 150 Meilen beibehilten. In dem kleinen Oertchen Zang Gewu machten wir freund- liche Bekanntschaft mit den Bewohnern. Unter ihnen war ein naher Verwandter des verstorbenen Sirdar Narsang, welcher auf dem Rückwege von Paul Bauers zweiten Kanchenjunga Expedition starb. Mit Hilfe seiner guten Speisekammer er- gänzten wir unsere Lebensmittelreser- ven und die Ausrüstung und wechselten unseren mürrischen Pungrong Yak gegen ein großes, starkes Tier aus. Wir durften es nicht wagen, hier nach dem Weg nach Lhasa zu fragen, aber wir hatten den Rand unserer Karten, die wir im Kriegs- gefangenenlager Dhera Dun anfertigten, erreicht. Als wir diese Karte anfertigten, hätten wir niemals geträumt, daß wir so weit nach Norden kommen würden. Wir verließen Gewu am 2. Dezember und mit unserem neuen Yak, der wie ein Zug lief, bestiegen wir den Drong-La- Paß. Von dort waren es 34 gräuliche Tage bis zum Guring-La-Paß, achtig Meilen von Lhasa entfernt. Das schöne Wetter brach und arktisches setzte ein mit Schneefäl- len und starken Nordwinden. Die Tages- durchschnittstemperaturen waren zuletzt 36 Grad Fahrenheit und Harrer erlitt Er- frierungen. Es wurde uns gesagt, in Rich- tung Osten wären viele Pässe, aber keine Khampas (Räuber), während nach Nor- den viele Räuber, aber keine Pässe sind. Und als wir nach Norden zogen, fanden wir, daß dies wahr ist. Da wir natürlich nicht bewaffnet waren, hatten wir einige Male ein knappes Entweichen. Vorn Dam-La-Paß sahen wir erstmals den Nyenchhenthanglha-Gipfel, eine der mächtigsten Landmarken des tibetani- schen Hochlandes, und in Lhölam wurde uns noch unser stattlicher Yak gestohlen. Am 4. Jänner 1946 überschritten wir den Goring-La-Paß, wo wir einen von den westlichen Goldfeldern herführenden Weg benutzten und stiegen zur Ebene, auf der Lhasa liegt, hinab. Hier sagten wir dem endlosen und ungastlichen Land, dem Changthan Njinje mepa, dem gna- denlosen, wie es die tibetanische Legen- de nennt, Lebewohl. Von ihm haben wir viele Erinnerungen fremder Abenteuer, und Freundlichkeit von ruhigen Bewoh- nern, mitgebracht.. Am 15. Jänner 1946, 21 Monate nach dem Verlassen von Dhera Dun, kamen wir in Lhasa an. Unsere Schafmäntel in Fetzen, beinahe barfuß, mit einer Gold- tola in meine Lumpen genäht, ein und eine halbe Rupie in unseren Taschen und all unsere Habe auf einem Esel." Hier schließt der Reisebericht Auf- schnaiters. Dem Bericht ist ein Nachsatz von seinem englischen Freunde, Oberst- leutnant H. W. Tobin, der in den dreißi- ger Jahren öfters in Kitzbühel war, an seine Mutter, nun verehlicht mit dem Wirt der Bahnhofrestauration Eduard Hu- ber in St. Johann, beigegeben: „Ich vermute, daß Sie nun wissen wol- len, wie es den beiden Wanderern seit deren Ankunft in der heiligen Stadt vom Tibet, ergeht. Die Gastfreundschaft, wel- che diese auf dem über 2000 Meilen lan- gen Reiseweg fanden, hielt in vollem Maße an. Sie wurden verpflegt, geklei- det und betreut, und durch den britischen politischen Vertreter in Sikkim, bei dem ich sechs Monate nach deren Flucht nachfragte, kam ich mit Peter in Ver- bindung. Harrer war viele Wochen lang im britischen Missionsspital in Behand- lung. Aufschnaiter hatte zuerst einen Po- sten als Gärtner (Obermali) in einem der großen Klöster, einige Meilen außerhalb von Lhasa. Dann Wurde er mit dem Bau des ersten Kraftwerkes des Landes be- auftragt. Er teilte mir mit, diese Arbeit behage ihm sehr und er gedenke nicht so bald nach Europa zurückzukehren. Er wohne im Hause des Tsarong-Shape, einem einflußreichen und mächtigen Manne des Dalai Lama". Aus einem Brief Aufschnaiters an sei- nen Schulfreund Ernst Reisch in Kitz- bühel entnehmen wir weiters: „Ich bin vom 23. Dezember 1947 nun für einige Monate in der Stadt, um einen Plan von Lhasa aufzunehmen. Ich bin jetzt mit einem Dekret des Regenten bei der Re- gierung angestellt, Die Arbeiten nach der Art und mit der Intensität westlicher Länder ist hier et- was Ungewöhnliches. Wenn es mir nur nach Geldverdienen ginge, dann könnte ich es erheblich leichter haben, denn das ist hier nicht schwer. Wir haben auch die Möglichkeit, uns mit Forschungsarbeiten zu beschäftigen. Sven H e d i n schrieb schon mehrmals höchst interessiert und fragte an, ob er etwas für uns tun könne. Ich arbeitete mit großer Sorgfalt und Mühe an einem Artikel für das „Hima- layen-Journal', für die ich unterwegs dauernd Kompaßskizzen, mit vier großen Kartenblättern, gemacht hatte. Leider scheint das Paket mit dem Artikel ver- loren gegangen zu sein; vielleicht infolge des Durcheinanders in Indien. Ich bin auch sehr an landwirtschaft- lichen Dingen interessiert. Am wichtig- sten ist hier die Düngungsfrage, da der Mist zum großen Teil verheizt wird. Wenn Du mir wieder schreibst, teile mir bitte mit, wieviel der Ertrag für Weizen und vor allem Gerste auf den Feldern im Tal und die Berglagen ist, im Durchschnitt der Ernte in Kitzbühel oder St. Johann. Vielleicht kannst Du mir auch einmal eine Walde-Postkarte schicken. Wie geht es Hermann, Gretl und Walter. Herzliche Grüße Euer alter Peter Aufschnaiter". Durch seine Tätigkeit als Regierungs- beamter Tibets verlor Peter Aufschnaiter die österreichische Staatsbürgerschaft. Er bekam diese erst durch ein Dekret der Tiroler Landesregierung vom 24. Juli 1972 wieder zurück. Die wissenschaftliche Arbeit von Pe- ter Aufschnaiter liegt nun im Mittelpunkt des Interesses. Das Manuskript befindet sich in seinem Nachlaß, der nun von sei- ner Schwester, Frau Therese Podesser, verwaltet wird. Im Jahre 1964 gelang Peter Aufschnai- ter, der damals als Experte der Landwirt-
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