Archiv Viewer
Ausgabe im Vollbild öffnen
Zurück zur Übersicht
Samstag, 15. Dezember 1973 Kitzbüheler Anzeiger Seite 17 denen unserer Mitbürger Vorwürfe zu machen, die das Heil unseres Staates in einer anderen radikalen Richtung such- ten. Der überwiegende Teil von ihnen wollte nichts anderes, als um jeden Preis das Elend beseitigt wissen und Arbeit und Brot. Ein dun«--des Kapitel unserer Geschichte, vielleicht, das dun- kelste. rollte ab. Der zweite Weltkrieg endete in Blut und Tränen und die grausige Bilanz waren Hunderttausen- de von Gefallenen, Getöteten, Kriegs- invaliden, Flüchtlingen und Hinterblie- benen. Die Städte und Arbeitsstätten waren im Bomben- und Granatenhagel zer- stört worden und das Land von frem- den Truppen besetzt. Doch in dieser Zeit, in der Zeit der allergrößten Not, haben Eure Eltern den Fehler der dreißiger Jahre nicht wiederholt. Sie haben sich, unbescha- det ihrer Weltanschauung, zusammen- gefunden und das Gemeinsame über das Trennende gestellt. Und das Wun- der geschah: Die Oesterreicher hatten zum erstenmal ein Staatsbewußtsein! Und sie haben in den letzten Jahr- zehnten, anfangs mit karger Ernährung und unter größten persönlichen Opfern und Entbehrungen, die zerstörten Städ- te wieder aufgebaut und die Arbeitsstät- ten wieder errichtet. - Sie haben die Wirtschaft angekurbelt und die Hände wahrlich nicht in den Schoß gelegt. Un- ser Dank des Fleißes und der Tüchtig- keit unseres Volkes haben wir alle ei- nen Wohlstand erreicht, wie es ihn in diesem Lande nöch nie gegeben hat Liebe Jungbürgerinnen und Jung- bürger! Diesen Wohlstand haben wir nicht allein geschaffen, um uns selber daran zu sättigen, sondern um ihn Euch zu übergeben. Ihr Jungen seid doch schließlich unsere Zukunft und Ihr sollt es einmal besser haben, als wir. Nun soll das aber nicht heißen, daß Ihr etwa Euer Leben genau so gestalten -- Denkt zu Weihnachten an Walter Reder den schwerverwundeten Österrei- cher, der heute noch unschuldig in italienischer Kriegsgefangenschaft auf der Festung Gaeta festgehalten wird. Entzündet für ihn eine Kerze. müßt, wie es Eure Eltern getan haben. Die Welt wandelt sich und die Jugend hat immer neue Ideen und Meinungen und auch Ihr habt das Recht, das Le- ben nach Eurem Geschmack zu gestal- ten. Wir Aelteren haben Euch also ein Fundament, ja einen Rohbau für Euer Leben errichtet. Baut dieses Haus fer- tig und richtet es nach Eurem Ge- schmack ein. Auf dem soliden Funda- ment Eurer Väter sollt Ihr also nach Eurer Facon leben. Ergreift Besitz von diesem Gebäude, das wir Euch geschaffen haben, baut es weiter, aber laßt es nicht verfallen und rüttelt nicht am Fundament, das ist unser besonderer Wunsch! „Erwerbt es, um es zu besitzen." Doch wenn ich Sie, meine jungen Da-. men und Herren, so anschaue, so ist mir um Eure und um die Zukunft un- seres Staates nicht bange. Die heutige Jugend ist nicht besser und nicht schlech- ter als wir in unserer Jugend waren. Auch wir haben manchmal gegen die Aelteren rebelliert. Auch die heutige Jugend ist zum überwiegenden Teil sparsam, flerßig und strebsam. Ein paar Außenseiter hat es zu allen Zeiten gegeben. Und eines darf ich Ihnen versichern: Für dein größten Teil der älteren Ge- neration sind lange Haare und schmucke Bärte bei den jungen Herren und haut- enge Bluejeans und ein modernes make up bei den jungen Damen keineswegs ein Hinweis auf einen schlechteren Charakter. Der dritte Wunsch: Hütet die Flamme der Freiheit. Sie ist das höchste Gut des Menschen. Setzt nie in Eurem Leben Handlungen, die sie gefährden könnten. Daß ich heute zu Ihnen so offen spre- chen kann und daß Sie offen und ge- fahrlos reden und kritisieren können, über was Sie wollen, ist nicht so selbst- verständlich, wie Sie vielleicht glauben. Die ältere Generation weiß, was es heißt, nicht frei zu sein. Und ein Leben ist nicht lebenswert, in einem Staate, der sich das Recht an- maßt, Bürger, die ein kritisches Wort gegen die Obrigkeit wagen, hinter Ker- kermauern zu bringen oder zu ermor- den, wie Sie heute noch warneiide Bei- spiele selbst in unserem zivilisierten Europa sehen können. Und glauben Sie mir bitte eines: Bei allen Mängeln einer Demokratie ist sie dennoch die für den Menschen erträglichste Staatsform. Und wenn Sie ab und zu auch aus Verärge- rung über Mißstände im Staate den Ruf nach dem „starken Mann" hören, dann beherzigen Sie eines: Den Begriff der milden Diktatur gibt es nicht! Hü- tet also die Freiheit, die wir Euch Jun- gen zu treuen Händen übergeben. Die Freiheit ist leicht verloren, aber es ist unsagbar schwer, sie wieder zu gewin- nen. - Der vierte Wunsch: Bei allem Zusam- menrücken der europäischen Völker, bei aller Nüchternheit des modernen Men- schen, bei allem Fortschritt und bei al- ler sachlichen Einstellung zu den Din- gen des Lebens: Bewahren Sie sich ei- nen Schuß Heimatliebe. Wohin Sie auch immer das Schicksal verschlagen mag, denken Sie immer daran und sind Sie stolz darauf, daß Sie Oesterreicher, daß Sie Tiroler, aber besonders daß Sie Bürger unserer lieben Stadt Kitzbühel sind, die ich als den schönsten Edelstein in der Krone des Tiroler Adlers bezeichnen möchte. Und sollten Sie von harten Schicksals- schlägen verfolgt werden und in Not sein, so beherzigen Sie bitte: In der Heimat ist auch ein hartes Schicksal leichter zu ertragen als in der Fremde und in Ihrer Vaterstadt wird Ihnen am ehesten Hilfe zuteil. Und mit dem Wunsche, Ihre schöne Heimat nie zu verleugnen oder zu ver- gessen, darf ich mich von Ihnen mit ei- nein Zitat Schillers verabschieden: „Ans Vaterland, ans treue, schließ Dich an und halt es fest mit Deinem ganzen Herzen; dort sind die starken Wurzeln Deiner Kraft." Nach der Aufführung der Stadtmusik „Aufschwung" von Hans Haase-Alten-- dorf, einem Werk mit großem Einsatz und gekonnt vorgetragen, überreichte Bgm. Hermann Reisch allen anwesen- den Jungbürgerinnen und Jungbürgern das Tiroler Jungbürgerbuch. Die Worte eines Jungbürgers sprach Toni Lienhardt. Er dankte dem Bür- germeister im Namen aller für die Ein- ladung, für das Jungbürgerbuch und sprach das Gelöbnis, das von den Jung- bürgerinnen und Jungbürgern nachge- sprochen achge sprochen wurde. Gelöbnis der Jungbürger Ich gelobe, meinem Vaterland Oesterreich, meinem Heimatland Tirol und meiner Heimatgemeinde Kitzbühel die Treue zu halten. Ich gelobe, meine Rechte als Bürger eines demokratischen Staates zu wahren, meine staatsbürgerlichen Pflichten zu erfüllen und meinen Mitmenschen in Not beizustehen. Hierauf führte die Stadtmusik die Ti- roler Landeshymne und die Bundeshym- ne auf. Abschließend sprach der Bürger- meister den Jungbürgerinnen und den Jungbürgern im eigenen Namen und im Namen, der Stadt Kitzbühel die Glückwünsche für das ganze Leben aus. Die Feier war sehr erhebend. Eine flott wirkende Organisation sorgte für den zügigen Ablauf, so daß auch noch für den „Frühschoppen" und ein gesel- liges Beisammensein Zeit übrig blieb.
< Page 17 | Page 19 >
< Page 17 | Page 19 >