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„Kitzbühel mit der Schling" wurde diese Aufnahme eines Wiener Photographen aus der Zeit von zirka 1874 genannt. Und mit der „Schlinge" meinte man die Eisen- bahnlinie (Original im Bildarchiv des Heimatmuseums Kitzbühel, gestiftet von Dr. Josef Gampl, seinerzeit Inhaber von Anteilscheinen der Kitzbüheler Horn- gesellschaft, welche 1874 / 75 das „Alpenhaus" erbaute. Sacnstag, 11. Mai 1974 Kitzbüheler Anzeiger Seite 7 100 Jahre Giselabahn Worgl — Sonifelden ei> Von Oberschulrat in Ruhe Ludwig P ü r St 1, Oberndorf (t 21. November 1970) Vom Jahre 1867 an brachen die Peti- t onen um den Bau einer Eisenbahn von Salzburg nach Wörgl nicht ab, bis es 1870 so weit war, daß der gegründeten <aiserin-Eli'sabeth-Bahngesellschaft" die Konzession dazu erteilt und daraufhin der später geadelte K. Freiherr von Schwarz mit der Bauführung betraut wurde. Indessen zog sich aber der Bau- beginn noch hin, da die Trassenführung ii unserer Gegend Schwierigkeiten be- reitete, als auch die Linienführung Vor- stellungen und Gegenvorstellungen von Seiten der Gemeinden abgewogen wer- den mußten. Ursprünglich sollte die Bahn von St. ohann über Söll gebaut werden, was mit geringeren Schwierigkeiten verbun- den gewesen wäre. Dagegen erhoben die Kitzbüheler Einsprache und schick- ten eine dreiköpfige Deputation (Bür- gemeister Josef Pirchl, Reither Wirt Egid Jöchl und ?) zum Kaiser, die auch Erfolg hatte, nur machte der Uebergang vom Leukental in das Brixental neue :echnische Planungen notwendig. So er- wog man vorerst, die Bahn von Obern- 1orf durch das Bichlach nach Gundha- 3ing zu bauen, wo der Bahnhof für Kitz- oühel gedacht war, wogegen die Kitz- 3üheler neuerdings Stellung bezogen, so daß schließlich ein Projekt zur Um- fahrung unserer Stadt ausgearbeitet und auch beschlossen wurde. Dieselben Schwierigkeiten traten auch im Brixental auf. Gelände und Einsprü- che der Talbewohner erforderten drei Projekte. Die erste Trasse war von Wörgl über Söll nach St. Johann geplant. Die zweite über die Höhen von Itter iund Mölling nach Brixen und Kitzbühel. Um die Ausführung dieser Trasse be- mühte sich ganz besonders der damalige Gemeindevorsteher von Itter, Johann A g e r von Oberlaimng, während sich Hopfgarten ganz teilnahmslos, zum Groß- teil sogar ablehnend, zeigte und das üb- rige Tal von der Eisenbahn überhaupt nichts wissen wollte, was auf die Hal- tung des Dekans Josef S c h o b e r von Brixen zurückzuführen ist. Wäre die zwei- te Trasse zur Ausführung gekommen, so würde die Bahn über einen ähnlichen Bogen wie jetzt durch die Windau, über Luech-Mühltal nach Itter geführt haben, und von dort dem Salvenberg entlang. Hopfgarten hätte den Bahnhof hoch oben „im Lehen" bekommen. Techni- sche Schwierigkeiten verhinderten die Ausführung dieser Trasse. Der Durchfah- rung des Leukentales standen wieder strategische Erwägungen entgegen. Der österreichischen Generalität steckten damals die preußischen Schläge von 1866 in den Gliedern. Sie wollte dem „Feind" nicht schon hinter dem ersten Grenzgebirge eine Eisenbahn hinlegen und wußte sie erst hinter dem zweiten sicher. So kam das Brixental durch die dritte Trasse zu seiner Eisenbahn, deren es heute so froh ist. Der im scharfen Bogen liegende Leid- eggtunnel im Windautale ist deshalb be- merkenswert, weil bei seiner Errichtung zum erstenmale ein Bauvorgang ange- wendet wurde, bei dem schwere Lang- hölzer (Kronbalken) den Druck des Ge- birges aufzunehmen hatten; seither ist dieser Bauvorgang als „österreichisches Tunnelbausystem" bei den meisten spä- teren österreichischen Tunnelbauten, als am Arlberg und auch bei vielen ausländi- schen Tunnelherstellungen mit bestem Erfolge angewendet worden (Tiroler Hei- matblätter 9/1935 und 1/1924 von Georg Opperer). So konnte 1873 mit dem Bau begon- nen werden, der natürlich ein ungewohn- tes Bild mit sich brachte. Ein vielspra- chiges Arbeiterheer machte den Bewoh- nern und noch viel mehr den aufgestell- ten Gendarmerieposten in Eigentums- delikten, Raufexzessen, Brandstiftung und dergleichen zu schaffen. (Die Gen- darmerieposten sind auch nach dem Bahnbau geblieben bzw. in das nächst- gelegene Pfarrdorf verlegt worden.) Am 1. August 1875 wurde die Eisen- bahnlinie Salzburg—Wörgl unter der Be- zeichnung „Giselabahn" dem Verkehr übergeben. Die feierliche Eröffnung nahm Kaiser Franz Josef 1. selbst vor. Doch kurz vor Vollendung des schwie- rigsten Bauabschnittes Westendorf— Hopfgarten erfolgte der Einsturz des Itter-Tunnels, dem am 7. Juli 1884 der Ingenieur Knöpfelmacher und zwölf Ar- beiter zum Opfer fielen. In die Bauzeit fiel auch die große Ueberschwemmung des Marktes Hopfgarten (1873), deren Aufräumungsarbeiten größtenteils die Bauunternehmung durchführte. Der Bahnbau brachte auch eine an- dere Einführung im Bezirk, den C h r i s t- b a u m. Einzelne Ingenieurfamilien feier- ten den Christabend unter dem Lichter- baum, der auch bei geladenen Gästen Gefallen fand. Als 1875 in Kitzbühel gar ein Schulchristbaum für arme Kinder ver- anstaltet wurde, fiel zum Aergernis und auch zum Leidwesen vieler die Abwesen- heit der Geistlichkeit und der Barmherzi- gen Schulschwestern auf. Im Jahre 1876 veranstalteten die Feuerwehr und der Musikverein in St. Johann eine öffent- liche Christbaumfeier mit Tombola, an welcher durch Jahre festgehalten wurde. Auch in Hopfgarten fand der Christbaum zu dieser Zeit Eingang, wie er im Laufe der nächsten Jahrzehnte in vielen Fami- lien freundliche Aufnahme fand. Die Giselabahn doppelgleisig Die politische Schwüle zu Anfang des 20. Jahrhunderts machte es erforderlich, daß auch die Giselabahn ein zweites Geleise bekommen sollte. Diese strate- gische Maßnahme wurde 1912 in Angriff genommen und knapp vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges beendet. (Anmerkung der Redaktion: Vom 2. Jänner 1873 bis 2. Jänner 1876 war das ehemalige Haus der Bezirksstelle Kitz- bühel der Tiroler Handelskammer (Haus Dr. Engel, früher auch Klosterhäusl ge- nannt), das 1973 abgebrochen wurde, Sitz der „Eisenbahn-Baugesellschaft, Sektion Kitzbühe!'. Der damalige Haus- besitzer Rupert Beyhamrrter verlangte als jährlichen Metzins für die Benüt- zung des 1. Stockwerkes 300 Gulden).
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