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Samstag, 15. März 1975 Kitzbüheler Anzeiger Seite 5 Kulturreferat der Stadt Kitzbühel Pause J. Brahms: Fantasien op. 116 (1-3) R. Schumann: Fantasie C-Dur, op. 17 L. v. Beethoven: Sonate cis-Moll, op. 27-2 J. S. Bach: Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll, BWV 903 Programmänderung vorbehalten! Kartenvorverkauf in der Geschäftsstelle des Fremdenverkehrsverbandes Kitzbü- hei, Hinterstadt. Telefon 2155 und 2272. Eintritt 5 65.— inkl. MW-St. Zum Abendprogramm: Fantasien sind mögliche Welten, die sich noch nicht geformt haben, die erst Gestalt annehmen müssen. Phantasti- sches ist durchaus realisierbar, so man- ches sogenannt Reale hingegen trügeri- scher Schein. Auch in der Musik berüh- ren solche Töne Randbezirke menschli.- cher Erlebnismöglichkeit. - Sie sollten nachempfunden werden mit aller Kraft und Bereitschaft unseres geistig-seeli- schen Fassungsvermögens zur Erweite- rung des Ichs, ehe der Zwang erstarrter Formen uns den Atem nimmt. Zu neuen Ufern branden solche Wellen. Jörg DEMUS Es wird, so glauben wir, selten ein Programm gestaltet werden, in welchem persönliche Neigung und Verwandt- schaft von Seele und Geist des nachge- stalteten Künstlers so sehr verbunden erscheinen mit dem Kunstwerk, wie die Welt dieser Klavier-Fantasien und Jörg Demus. Das will sagen, daß die Hörge- meinde ein auch beim Range dieses ex- zellenten Meisters des Klaviers unge- wöhnliches Gelingen erwarten darf. Johannes Brahms (1833-1897) Fantasien op. 116 Nr. 1 - Capriccio d-Moll: Presto energico Nr. 2 - Intermezzo a-Moll: Andante Nr. 3 - Capriccio g-Moll: Allegro passion. Diese Werkwahl erscheint wenig glück- lich. Ausbrüche dunkler Leidenschaft belasten den Hörer, ohne ihm auch nur einen einzigen Ausweg zu zeigen, ge- schweige denn Erlösung zu bringen. - Das ist schon die Stimmung, die das er- ste Capriccio erfüllt, nirgends Harmo- nie, kein Klang, der Musik wird. Auch im 9-Moll Capriccio das bohrende Un- behagen, die schwer lastenden Schluß- akkorde. Wenigstens im Intermezzo erhellt sich nach dem Mittelsatz der Himmel, nach- dem man der müden Liedweise zu Be- ginn keine Wendung mehr zugetraut hat. Robert Schumann (1810-1856) Fantasie C-Dur, op. 17 Durchaus phantastisch und leiden- schaftlich vorzutragen, mäßig, durchaus energisch, langsam, getragen, durch- wegs leise gehalten. Aus einer Zeit, die Schumann an die Grenze des Wahnsinns bringt, stammt die große Fantasie op. 17, die in ihrem Schmerz, ihrem Verzicht und ihrer Hoff- nung zu den schönsten Werken der ge- samten Klavierliteratur zählt. Schumann schreibt an seine Braut Clara Wieck: „Es ist ein einziger Liebesschrei nach Dir .. . Der erste Satz ist mein Passio- niertestes, was ich je gemacht - eine tiefe Klage um Dich." Der lange Schrei, mit dem die Phan- tasie beginnt, ist eine der hinreißend- sten Melodien der Romantik. Ein neues Thema folgt: ist es die Traumgestalt Cia- ras? Der zweite Teil dieses Satzes ist vielleicht noch romantischer. Ein ruhe- loses Heimweh erhebt sich aus anfäng- licher Zärtlichkeit und Stille zu majestä- tischer Größe. Dann kehrt die erste Epi- sode wieder. - Ein kurzes Adagio be- schließt diesen Satz von symphonischen Ausmaßen, in der traumhaften Stim- mung einer langsam verblassenden Vi- sion. Der zweite Satz ist ein Triumph- marsch. Das grandiose, heroische Thema schlägt mit seiner unerbittlichen Gleich- förmigkeit den Hörer in Bann, zer- sprengt am Ende alle Fesseln, um ins Nichts zu zerfließen. Der Schlußsatz ist in eine friedlich und heiter in sich ruhende Lichtwelt ge- taucht, welche vom Strahl einer lang- sam ihre fallenden Rhythmen entfalten- den Melodie durchquert wird. Die Stim- mung wird herzhafter, verhaltene Erre- gung ertönt und hebt sich im Wechsel mit der vorherigen Klangwelt zu be- herrschender Eindringlichkeit. Nach ei- nem letzten heiteren Aufschwung löst sie sich auf in immaterielle Klänge. Ludwig van Beethoven (1770-1827) Sonate cis-Moll, op. 27, Nr. 2 (Sonata quasi una fantasia - Mond- scheinsonate) Adagio sostenuto - Allegretto - Presto agitato Diese Klavier-Fantasie gehört zu den meistgespielten Werken des Tondichters. Ein romantischer Mondschein ist wohl nicht darin, weit eher eine feierliche To.- tenklage. Der ungewöhnliche Beginn mit den schwermütigen Adagio-Harmonien, mit dem darüberschwebenden, von hoff- nungsloser Melancholie erfüllten Gesang hat noch heute eine verzaubernde Wir- kung. Die Stimmung ist dicht und ein- heitlich über den ganzen Satz hin wirk- sam. Beethoven gibt selbst die Anwei- sung, das ganze Stück auf die zarteste Weise - „delicatissiamente" - zu spie- len. - Trotzdem darf das Tempo nicht verschleppt werden. Das liebliche Bild des kurzen Allegret- tos ist wie ein tröstender Sonnenstrahl vor dem Gewitter, das sich im Schluß- satz auf echt beethovensche Weise ent- lädt. Der Schmerz aus dem ersten Satz hat sich nicht aufgelöst, er hat sich auf- gestaut. Der Dammbruch erfolgt unver- meidlich und bewirkt ein Rasen der Ge- fühle, jedoch im Innern des Menschen, daher piano. Der Schmerz muß verströ- men, bis die milde Stimmung des Adagio wieder aufzutauchen scheint. Die Kraft kehrt wieder im Impetus der stürmi- schen Schlußakkorde. Johann Sebastian Bach (1685-1750) Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll, BWV 903 Toccata - Choral - Rezitativ - Coda und Fuge Die außerordentliche Bedeutung gerade dieses Werkes besteht in der bei Bach überraschenden, glühenden Mitteilung besonderer Intimität, ein Offenbaren des innersten Wesens des Komponisten, der sonst nur als königlicher Vermittler ob- jektiver Ordnungen in Erscheinung tritt. Die Fantasie hebt an mit einer Toc- cata, die noch nach festen Formen sucht, ein Irren im Chaos. Dann sind sie da, die Akkorde, im Choral. Immer schwe- rer deutbar werden Klang und Inhalt der freien musikalischen Rede (Rezita- tiv), die sich steigert zu ausdrucksge- waltigem Monolog über Harmonien ho- her Abkunft. In der Coda verebbt die expressive Spannung in dunkler Resig- nation, der nur ein leises, tröstendes Lä- cheln zur Seite steht. Die nun folgende Fuge ist erdennäher. Kräftige harmonische Akzente, innere Spannung und äußerst konzertante Af- fekte werden wirksam. Trotzdem sei bei Josefitag, 19. März 1975, 20 Uhr: Jörg Demus spielt „Fantasien für Klavier"
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