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Samstag, 9. Oktober 1976 Kitzbilheler Anzeiger Seite 21 Gerichte traten die Einundzwanzigjäh- rigen erstmals in den Kreis des Things und bildeten, einander die Hände rei- chend eine Kette als Sinnbild der un- unterbrochenen Geschlechterfolge im Leben eines Volkes. Und wie ist es heute? Die Formen ha- ben sich wohl grundlegend geändert, aber der tiefe und eigentliche Sinn der Jungbürgerfeier ähnelt den längst ver- gangenen Uebungen und blieb trotz des Wandels der Zeiten derselbe: Die Jugend unserer Stadt, unserer Heimat und unseres Vaterlandes tritt in die vollen Rechte und in die ganzen Pflichten eines Bürgers ein und dies soll in der Jungbürgerfeier sinnvoll und beziehungsreich zum Ausdruck ge- bracht werden. Nun, meine lieben jungen Mitbürge- rinnen und Mitbürger, Ihnen ist es ja schon durch das Wahlrecht und die Wahlpflicht deutlich genug bewußt ge- worden, daß Rechte und Pflichten eine unabdingbare und unzertrennbare Ein- heit bilden. Wer Rechte hat, besitzt auch Pflichten. Das ist eine Wahrheit, die sich zu allen Zeiten bestätigt hat, heute aber da und dort nicht zur Kennt- nis genommen werden will. Sie sind in das sogenannte Zeitalter der Jugend hineingeboren worden, in eine Zeit, in der die Jugend immer mehr in die Schranken tritt, um die Geschicke der Gesellschaft zu formen. Sie leben in einer Zeit, in die die Jugend mit Recht ihre Rechte fordert. Die Tage der patri- archalischen Autorität sind endgültig vorbei. Das ist auch gut so. Der junge Mensch fühlt sich mündig und er will über sich selbst bestimmen und über andere mitbestimmen. Unsere moderne Gesellschaft verlangt dies, denn der junge Mensch wird schon früh der har- ten Wirklichkeit des heutigen Lebens gegenübergestellt und hat sich darin nach Kräften zu bewegen. Doch die Kehrseite der Medaille, wenn ich so sagen darf, ist die: Wer mehr Rechte will, sie auch erlangt und besitzt, der muß ganz selbstverständlich auch mehr Pflichten übernehmen und größere Verantwortung tragen. Sonst geht das Gleichgewicht in der Gesellschaft ver- loren, bersten die Grundfeste der Ge- meinschaft und stürzen die Säulen der gewachsenen Ordnung ein. Wir, die ältere Generation, bringen Ihnen, meine lieben jungen Freunde, das größte Verständnis für eure Anlie- gen, für euer Denken, Wollen und Han- deln entgegen. So sollte es wenigstens sein. Ihr wollt euch eine neue Welt in einer neuen Zeit bauen. Sie soll eure Züge tragen. Gut so. Recht so. Denn euer jugendlicher Sturm und Drang wird so manches Morsche, das längst überständig und faul ist, hinwegfegen. Denkt aber daran, daß Ihr dann auch Baumeister eines neuen Gemeinschafts- gefüges und einer neuen Gemeinschafts- ordnung sein müßt. Vergeßt aber auch nicht, daß trotz aller Veränderungen, die unsere technisierte, automatisierte elektronisierte Welt zwangsläufig mit sich bringt, noch immer stets gültige Werte übrig bleiben, die aus der Ver- gangenheit in die Zukunft getragen wer- den müssen. Keine Gesellschaft, kein Volk, kein Staat kann sich leisten, ein- zig und allein zukunftsorientiert zu sein. Immer muß die Vergangenheit mit dabei sein, um die Entwicklung harmonisch verlaufen zu lassen und natürlich vor- anzutreiben. Die Geschichte eurer schönen Ge- meinde, die vielfältig und vielgestaltig zu euch spricht, die ruhmreiche Vergan- genheit des Landes Tirol, die österrei- chische Idee und der Gedanke Europas sind harte Wirklichkeiten, die den Ge- staltungswillen stark mitbeeinflussen. Sie sind und sollen keine Hindernisse auf dem Marsch in das Morgen der neu- en Zeit sein, wohl aber Mahnzeichen, den Weg nicht zu verfehlen. Und noch etwas, meine lieben, jun- gen Mitbürgerinnen und Mitbürger. 'Man sagt wohl, daß das Alter kein Verdienst ist, daher auch keine Ansprüche steilen könne. Das ist richtig. Und dennoch hat das Alter etwas voraus, was Ihr nicht haben könnt: Das ist die Erfahrung, ohne die sich der Mensch, ob er will oder nicht, zwangsläufig den Kopf wund stößt. Da höre ich schon den Einwand, was nützt uns die Erfahrung anderer, nur die eigene bringt einen weiter. Und trotzdem muß ich sagen, schiebt die Er- fahrung des Alters nicht mit einem mit- leidigen Lächeln beiseite, denn es wäre nur euer Schaden. Die ältere Generation hin wiederum möge bedenken, daß sie auch einmal jung war und daß es das Recht und der Vorzug der Jugend ist, mit stürmischem Elan den Lauf der Welt in die Bahnen zu lenken, die der Geisteshaltung der modernen Zeit entsprechen. Unsere jun- ge Generation nicht ernst zu nehmen, ist der größte Fehler, den die ältere Generation machen kann. Es gibt ein physikalisches Gesetz: Das Gesetz der Spannung. Daraus entsteht, wie Ihr wißt, Energie, Kraft. So ist es auch in der Gesellschaft und in der Ge- meinschaft einer Gemeinde, eines Lan- des. Diese natürliche Spannung zwi- schen Jugend und Alter erzeugt die Kraft, bewirkt die Energie, um die gro- ßen und kleinen Fragen eurer Gemein- de, eurer Heimat Tirol, eures Vaterlan- des Oesterreich zu lösen und den For- derungen der modernen Zeit gerecht zu werden. Wir alle, ob jung oder alt, wer- den die Hände voll zu tun haben, in der modernen Gesellschaft mit ihren harten und unbarmherzigen Bedingungen be- stehen zu können. Viel wird auf uns zu- kommen, was wir heute erst erahnen, was jedoch Tatsache werden wird. Da bedarf es des ganzen Menschen mit der Fülle seiner Fähigkeiten, mit der Kraft seiner Gedanken und mit der Verant- wortung eines Tun und Handelns, das losgelöst ist von den Vorstellungen, die bisher vielleicht genügten. Da braucht es den ungestümen Mut der Jugend und die abwägende Bedächtigkeit des Alters, um das Leben in der sich rasch fortent- wickelnden Zeit zu meistern. Nur so wird das Haus gebaut werden können, in dem Ihr leben wollt: Ein Haus mit starken Mauern, die gefügt sind von den Quadern der Freiheit und der Demokratie. Ein Haus mit einem großen Tor, durch das die Ideen der neuen Zeit ungehindert ein- und aus- gehen können. Ein Haus mit weiten Fenstern, die einen Blick auf alles Schöne, Gute und Edle gewähren. Ein Haus mit Räumen, in denen es sich als Mensch menschlich leben läßt. Ein Haus mit einem Dach, das alles zusammen- hält, was Heimat und Welt bedeutet. Für den Geist, der in diesem Hause lebt, werdet aber Ihr, meine lieben jun- gen Freunde, verantwortlich sein. Es wird eure Züge tragen, denn Ihr werdet noch werken und wirken, wenn die äl- tere Generation schon längst das Tag- werk beendet hat. Dann aber wird wiederum eine Zeit kommen, in der eine neue Generation von euch Rechenschaft fordert, ob Ihr das Gut der Väter bewährt, den Schatz der Heimat behütet, das Erbe, das euch überkommen ist, gut verwaltet und eure Zeit, für die Ihr ganz allein verantwort- lich wart, recht gestaltet habt. Und ich wünsche Euch, daß Eure Söhne und Töchter von Euch sagen können: Ihr habt Euch um Going, Tirol, Öster- reich und Europa verdient gemacht. Den Abschluß der Jungbürgerfeier bildete die Aufführung der Tiroler Landeshymne durch die Bundesmusik- kapelle Going unter Kapellmeister Flo- rian W er 1 b e r g e r. Im gemütlichen Teil gab vorerst die Musikkapelle ein Konzert, bei. welchem Altkapellmeister und Ehrenbürger Alois Ho f er den Ti- roler Adlermarsch dirigierte. Für Stimmung und Tanzfreude sorg- ten dann die Hollenauerbuam (Gebrü- der Vorhofer und Johann Koidl von Oberhollenau bzw. Unterhollenau am Goinger Astberg). (Weitere Berichte folgen.) BRIXEN IM THALE - Altenausflug. Die Mitglieder des Tiroler Rentner- und Pensionistenbunds sowie die alten, einsamen Bürger haben auf Einladung der OeVP, des OeAAB und der Frauenbewegung am 26. Sep- tember einen Ausflug nach Zell am See gemacht. Die Freude und Begeisterung war groß und der Zeller See für viele noch unbekannt. Die Kaffeejause hat ebenfalls zur guten Stimmung beigetra- gen wie die Musik. Obfrau Maria Schroll hat sich über das Entgegenkommen der Organisatoren sehr gefreut und dankt im eigenen Namen sowie im Namen der alten Mitbürger.
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