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W E L T-- r- L Seite io Kitzbüheler Anzeiger Samstag, 22. Jänner 1977 Norbert Wallner zeichnete Schaffens- freude und in diesem Sinne unruhiges Blut aus. Er war tätig und war im gan- zen Land unterwegs, um seine zahlrei- chen Freunde in der Volksmusik aufzu- suchen, zu ermuntern und zu betreuen. Er war ein sehr geselliger Mensch voll natürlicher Fröhlichkeit, der sich im Un- terland besonders wohifühite. Es ist ihm gelungen, Reichtum zu erwerben oder die verdiente Ehrung für sein Lebens- werk zu erhalten, aber allen, die ihm begegnen durften, werden die Erinne- rung an einen bedeutenden Man:., den Zurückhaltung, Bescheidenheit und Ein- satzbereitschaft kennzeichneten, bewah- ren. - Norbert Waliners wissenschaftliches Werk begann in den dreißiger Jahren. Damals zogen die jungen Lehrer Nor- bert Wallner und Adalbert Koch lange Zeit Wochenende für Wochenende ins hintere Alpbachtal, um bei der Familie Großmoser in Inneralpbach alte Volks- lieder aufzuzeichnen. Sie brachten über 250 Lieder und Musikstücke heim, die vermutlich auf diese Weise vor der Ver- gessenheit bewahrt blieben. In den fünfziger Jahren gelang Wall- ner eine „geistige Flurbereinigung". Er wandte sich wieder der Forschungstätig- keit zu und nahm neben dem Beruf das Hochschulstudium in den Fächern Volks- kunde und Musikwissenschaft auf. Er mußte sich nun auf ein Gebiet beschrän- ken und erforschte die deutschen Ma- rienlieder der Enneberger Ladiner. Im Jahre 1964 wurde die Arbeit abgeschlos- sen, mit 57 Jahren erhielt Dr. Norbert Wallner die Doktorwürde. Bezeichnend für ihn und seine schlichte Art, daß die Promotionsfeier auf der Oberlandhütte im Spertental stattfand. Zeitlebens war Wallner ein Bergfreund und Bergsteiger. Erst wenige Wochen vor seinem Tode wurde er für 50 Jahre Mitgliedschaft beim 0 esterreichischen Alpenverein aus- gezeichnet. Der Verlag A. Schendl in Wien brach- te als Band 1 der Schriften zur Volks- musik (264 Seiten, 103 Notenbeispiele) ‚Deutsche Marienlieder der Enneberger Ladiner". Dr. Wallner behandelte das um 1800 im Enneberg gebräuchliche geist- liche Singgut. Unter den Quellen ver- dienten zehn Texth an;dschrtften, die zwi- schen 1770 und 1850 entstanden waren, besonderes Augenmerk. Sie geben Ein- blick in den vorwiegend deutschsprachi- gen Kircheniiedschatz dieser ladinischen Talschaft, der in engstem Zusammen- hang mit der gleichaltrigen Ueherlief e- rung der benachbarten deutschtiroli- sehen Gebiete steht. Die Handschriften enthalten über 600 deutsche Lieder, dar- unter 207 Marjenlieder als reichbelegte- ste Inhaltsgruppe. Die Liedtexte geben Einblick in das religiöse Brauchtum, in die motivische Prägung des Glaubens- gutes und in die überraschend enge Mo- tivverwandtschaft mit den Ausdrucksbe- reichen des volkstümlichen Gebetes, des geistlichen Volksschauspieles und der volksnahen Bildkunst. Das Liedgut steht in zum Teil dichten und weitverbreiteten Verbreitungszusammenhängen, etwa die Wallfahrtslieder mit dem Flugblattlied- gut, das im 18. Jahrhundert vor allem von oberösterreichischen und nieder- österreichischen Druckereien auf den Markt gebracht wurde. Ein weiterer Fragenkreis geht von der Zuordnung entsprechender Singweisen zu den Liedtexten der Enneberger Hand- schriften aus. Neben der spärlichen Me- lodienüberlieferung des Tales lassen sich anderwärtige Melodienquellen mit Er- folg auswerten, wo Uebereinstimmung mit dem gegebenen Textbestand im Wortlaut oder doch in auffälligen metri- schen Merkmalen besteht. Die 207 Ma- rienlieder mit ihren quellentreu wieder- gegebenen Texten und den 103 Weisen aus Enneberg und dem übrigen Tirol wie aus dem Nachbarraum von Bayern bis zur Steiermark wurden von Wallner erstmals publiziert. In seiner Reichhal- tigkeit ist der Band nicht nur eine erst- klassige Quelle für den Volkskundler, Germanisten, Muinda.rtforscher und Theo- logen, sondern auch eine A.rhe.itsunter- lage für die Pflege des geistlichen Liedes in Jugend-, Sing- und Spielgruppen, zu- mal eine nicht geringe Anzahl der Lie- der gerade heute wieder unmittelbar an- spricht. Dr. Wallner hat nicht nur im Aipbach- tal und später in Enneberg geforscht, er bearbeitete durch Jahre die einschlägige Literatur des Domarchivs in Brixen am Eisack. Eine Fülle von Liedgut ist durch Norbert Wallner erhalten geblieben. Er hat das Zachäuslied aus Zirl bewahrt (veröffentlicht in den Schlernschriften) Karwochenlie'dgut gesammelt und Oel- bergsingen erneuert, daneben zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten veröffent- licht - zuletzt in der Tiroler Kulturzeit- Schrift „Das Fenster" über „Volksgesang in Tirol" (Nummer 19 vom Herbst 1976 - und eine Fülle unveröffentlichten Ma- terials hinterlassen. Norbert Wallner war ein Gelehrter der Volksmusik, aber er hat sich nicht in sein so bedeutendes Volksliedarchiv zu- rückgezogen, sondern ist hinaus ins Land und hat mit vorsichtiger Hand eine große Zahl von Volksgesangsgruppen in allen Landesteilen geführt und dank sei- ner pädagogischen Fähigkeiten mit dem längst vergessenen Liedgut ausgestattet. Mit der Einführung des Tiroler Advent- si:ngens gab er der volkstümlichen Kul- turszene Innsbrucks neue Impulse, die bald im Land ausstrahlten und zu einer Vielzahl von achtenswerten Veranstal- tungen führten. Dr. Wallner war Mitar- beiter und Juror beim Alpenländischen Volksmusikwettbew.erb. Der Rundfunk schätzte seine Mitarbeit, dabei trat Dr. Wallner sowohl beim ORF als auch bei RAI-Bozen hervor. - Er war auch hier nicht nur der wissenschaftliche Berater und Informator, sondern etwa in der Sendung „Land und Leut'" ein volks- musikalischer Plauderer, dem man glau- ben konnte, was er über das Volkslied sagte, weil er es in Jahrzehnten kennen- gelernt hatte und selbst erforschen konnte. Die letzte von ihm mitgestaltete Rundfunksendung wurde erst nach Wall- ners plötzlichem Todausgestrahlt. Denn obwohl seine Familie und seine Freunde wußten, daß er .schwerkrank war, gab Norbert dies nicht zu und blieb rastlos tätig. Auch noch vor Weihnachten war er bei seinen Singgruppen in allen Lan- desteilen. Die jahrzehntelange Beschäftigung mit dem geistlichen Liedgut seiner Tiroler Heimat führte Norbert Wallner am Ende eines erfüllten Lebens in die Gemein- sch.aft der Gläubigen. Zu wenig bekannt ist Wailners Tätig- keit als Verfasser von Liederbüchern. Er gab u. a. die „kleinen Tiroler Sinblät- ter" heraus, und im Jahre 1975 erschien das Buch „Ist wohl eine schöne Zeit" mit Liedern aus Oesterreich, es war die Frucht der Zusammenarbeit mit Prof. Cäsar Bresgen und Hellsberg. Bekannt ist Waliners Büchlein „Um Mitternacht tuat's tagn" mit Weihnachtsliedern. Dem Liederkomponisten Norbert Wall- ner wurde das Glück zuteil, daß manche seiner Schöpfungen als Volkslieder an- erkannt wurden. Sein wohl bedeutend- stes Werk ist ein Weihnachtslied, dessen Titel zum geflügelten Wort wurde: „Das ist die stillste Zeit im Jahr, immer wenn es Weihnacht wird." Karl Heinrich Wag- gerl bat Wallner um die Erlaubnis, die erste Zeile des Gedichtes für ein Weih- nachtsbuch verwenden zu können. Das Lied ist während der Internierung im Lager Glasenbach entstanden und wurde erstmals vom dortigen Lagerchor auf ge- führt. Das schlichte Lied ist zu einem der wichtigsten Weihnachtslieder geworden. Immer, wenn es Weihnacht wird, wird dieses Lied von Norbert Wallner und seinem bedeutenden Werk als Kenner, Pfleger und Förderer der Tiroler Volks- musik berichten. Im besonderen wird dies im Bezirk Kitbühel der Fall sein. in dem er entscheidende Abschnitte sei- nes Lebensweges verbracht bat, wo mit ihm in froher IKemeradscbefl -en und und einen Lebre: vell ecnisehlicher Güte erleben durften. Nnrbert Walinr hat sich damit ein bleibe erna Dmal geschaffen, als es denen vergönnt al, dc nach Macht oder Ruhm strebten. h. w.
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