Kitzbüheler Anzeiger

Archiv Viewer

Ausgabe im Vollbild öffnen
Zurück zur Übersicht
Samstag, 9. Dezember 1978 Kitzbüheler Anzeiger Seite 7 den Kostbarkeiten der Baukunst im Oberland. Viele Grundholden in Otz zinsten dem Kloster Frauenchiemsee. Zu dem von Thaurdruck hergestellten Buch kann man Verleger, Schriftleiter und Mitarbei- Brauchtum - Grundlage der alpenländischen Kultur von Landeshauptmannstellvertreter Prof. Dr. Fritz Prior Am 30. November 1978 wurde im Dekanat- saal in St. Johann in Tirol das Seminarpro- gramm des Bildungswerkes der Hanns-Steidl- Stiftung eröffnet. Nach der Begrüßung durch Direktor Christoph Röder erteilte der Semi- narleiter Friedrich-Karl Freiherr von Solema- cher-Antweiler, München, unserem Landes- hauptmannstellvertreter Professor Dr. Fritz Prior das Wort zum ersten Vortrag über das Thema: Brauchtum - Grundlage der alpenländischen Kultur Die Kultur des Alpenraumes zeichnet sich in all ihren Bereichen durch eine besondere Vielschichtigkeit und Vielfalt aus. Das hat zu allerst geographische Ursachen. Der Alpenbo- gen als Barriere zwischen Nord und Süd wirkte praktisch als Filter im Jahrtausende alten Wirt- schafts- und Kulturaustausch zwischen dem mediteranen und dem mittel- und nordeuro- päischen Raum. Das Vorland der Alpen im Norden wie im Süden, dazu noch die Längstal- furchen ließen die Völkerströme, die von Ost nach Mittel- und Westeuropa drangen, die Alpen entlangziehen. In den Seitentälern der Alpen verfingen sich Volksgruppen und über- dauerten hier Jahrhunderte fernab der Kriegs- wirren, die die Alpen entlang brandeten. Das zeitliche Nacheinander kultureller und wirt- schaftlicher Strömungen blieb in den Alpen als ein räumliches Neben- und Miteinander erhal- ten. So etwa muß man die Schweiz einen Viel- völkerstaat bezeichnen: Franzosen, Deut- sche, Italiener und Rätoromanen leben auf kleinem Raum miteinander. Jedes dieser Völ- ker hat seine Eigenart bis heute bewahrt und hat sich doch in regem Kulturaustausch gegen- seitig befruchtet. Das alte Tirol zwischen Kuf- stein und Ala vereinte unter einem Dach Italie- ner, Ladiner und Deutsche. Der Osten Oster- reichs, überwiegend deutsch, sieht sich noch heute mit ungarischem und slavischem Kul- turgut konfrontiert. Viele Völker- viele Kultu- ren und doch zusammengeschmolzen im Alpenbereich zu einer ungeheuer vielfältigen und dennoch in vielem gemeinsamen alpen- ländischen Kultur. Der gemeinsame Nenner dieser alpenländischen Kultur setzt sich aus mehreren Elementen zusammen. Die wirt- schaftliche Grundlage für das Leben in den Alpen war trotz klimatischer Unterschiede ehemals die gleiche: Viehzucht und Graswirt- schaft seit Jahrtausenden - nicht zufällig ha- ben die Alpen und die Almen dieselbe Wort- wurzel - ab dem Hochmittelalter auch noch Bergbau und Waldwirtschaft, extensive Nut- zung weitester Bereiche des Berglandes, dün- ter beglückwünschen. Insbesondere würde man in unserer schnellebigen Zeit anderen aufstrebenden Fremdenverkehrsgemeinden eine derartige Dokumentation wünschen. H. W. ne Besiedlung in Dörfern, Weilern im ganzen Alpenraum. Bis in die jüngste Zeit herauf war die Volkskultur der Alpen ländlich-bäuerlich dominiert, waren es kleine Gemeinschaften, denen sich der einzelne ein- und unterzuord- nen hatte. Welcher Gegensatz etwa zum Kul- turkreis der Griechen und Römer, in dem die städtische Siedlung die Gemeinschaftsform bestimmte. Der Stadtstaat des klassischen Altertums ist Ausdruck dieser Gesellschafts- form. Das Sich-Einfügen in große unüber- schaubare und unüberprübare Gemeinwesen lag dem Alpenländer nie besonders. Im Tiroler Oberland herrscht noch heute die Auffassung des „Salt regiere" - Selbstregierens. Der zu Unrecht vielgeschmähte Schweizer Kantönli- geist und der von den österreichischen Bun- desländern immer wieder gegenüber Wien unterstrichene Föderalismus sind noch heute ein Ausdruck dieser Geisteshaltung. Das Leben in den relativ kleinen bäuerli- chen Gemeinschaften formte und förderte bei aller geistigen Gemeinsamkeit der Vieh- zucht treibenden Alpenbewohner eine sehr vielfältige injeder Talschaft eigenständige For- mensprache, die sich in den volkskulturellen Erscheinungen, wenn auch in weiten Berei- chen nur mehr in den Museen, bis heute erhal- ten hat. Lassen Sie mich hier etwas weiter ausgrei- fen, bevor ich auf den Kern des Referates, das alpenländische Brauchtum zu sprechen korn- rnc.l)ie Zeugnisse der Sachkultur der Vergan- genheit, soweit sie uns seit dem Mittelalter überliefert sind, sprechen in den ersten Jahr- hunderten noch eine gemeinsame und nur für das Alpenland typische Sprache. Das über zwei Drittel des Jahres rauhe Klima in den Alpen hat beispielweise zur Entwicklung der Stube geführt. Die Erfindung des Ofens,jenes Wärmespenders, der von außen geheizt den Raum erwärmt, ohne ihn mit beißendem Rauch zu erfüllen, hat zu einer gegenüber dem slavischen und südeuropäischen Raum sehr deutlichen Hebung des Wohnkomforts ge- führt, um den uns die südlichen Nachbarn be- neideten. Welcher Fortschritt gegenüber dem unbequemen Wohnen rund um die offene, rauchende Feuerstelle! Man kann es ruhig sa- gen: Die Stube ist eine alpenländische und nur für den Alpenraum typische Einrichtung. Auch beim Mobiliargibt es solche Urtypen, die für den Alpenraum kennzeichnend sind. Ich denke da an die Truhe, jenen primitiven lie- genden Kasten, ehemals aus einem Holzstück gefertigt, später aus dicken gehackten Brettern gezimmert und noch später in feiner Arbeitge- fügt über und über reich beschnitzt und noch später bemalt. Jede Talschaft, also jede Ge- meinschaft entwickelte aus der gemeinsamen Urform ihre eigenen Sonderformen, was sich besonders im Zierat widerspiegelt. Beispiels- weise dominiert im Westen Tirols und in der rätoromanischen Schweiz das geschnitzte Mö- bel, das bemalte Möbel erreichte im Unterinn- tal, im Wipptal und in weiten Teilen Südtirols besondere Beliebtheit. Im Raum Kitzbühel, Pinzgau wiederum entstanden reiche ge- schnitzte Truhen und Kästen. Hier muß aber doch etwas festgestellt werden, was auch ifir die folgenden Ausführungen in vollem Umfang gilt. Bei aller Eigenständigkeit alpiner Volkskultur sind die Einflüsse von außen, be- sonders vom oberitalienischen Raum und vom süddeutschen Raum her nicht zu überse- hen. Der rege Handel, der sich quer über die Alpen zwischen Nord- und Süd über Jahrtau- sende und besonders verstärkt durch die Gründung des römisch-deutschen Kaiserrei- ches abspielte, führte nicht nur bedeutende Künstler in die Alpen, sondern brachte auch in breitem Umfang bisher fremde Kultur in die Alpen. Hier freilich wurden diese Strömungen aufgenommen und zu eigenständiger Kultur umgearbeitet. Sitten und Bräuche - diese Verhaltensfor- men des Gemeinschaftslebens - sind in noch weit höherem Maße Ausdruck der Geisteswelt einer Gemeinschaft, als ihre Sachkultur, gar, wenn die Sprache wesentliches Element dLs Brauches ist. Allerdings sei hier bemerkt, daß eine große Zahl von Bräuchen ohne Sprache auskommt. Dann ist ihre Deutung besonders problematisch. Soviel steht fest: Eine große Zahl an vergangenem und noch lebendem alpenländischem Brauchtum steht dominant mit der von den Jahreszeiten abhängigen Landwirtschaft im Zusammenhang. Hier seien als Beispiele das Blochziehen, Grasaus- läuten, Almauffahrt- und Abfahrt und Aper- schnalzen genannt. Alle die genannten Bräu- che kommen praktisch ohne Sprache aus, ihre Symbole sind aber recht verständlich. Viel problematischer ist es schon, jene zahlreichen Bräuche zu deuten, die jahreszeitlich gebun- den mit vorchristlichen Elementen durchwirkt sind, wie beispielsweise die Fas- nachtsbräuche. Seit langem erstarrte Brauch- formen haben kultische Symbole der Vorge- schichte bis heute bewahrt, allerdings so sinn- entleert, daß der Brauchtumsträger sie nicht mehr bewußt, sondern einfach der Tradition folgend ausführt. Die geographische Verbrei- tung dieser Bräuche - sie finden sich injeweils leicht gewandelter Form im ganzen Alpen- raum - spricht aber wieder für die Gemein- samkeit des alpenländischen Kulturraumes. Jüngeres christliches Brauchtum hat freilich diese Spuren vorgeschichtlicher Kultur über- deckt. Das Bürgertum des Mittelalters mit sei- nen vielen religiösen Schauspielen und die Neuzeit besonders im Barock mit der Freude an äußerem Glanz haben nicht nur dem alpen- ländischen Brauch ihren Stempel aufgedrückt. Der Niedergang alpenländischen Brauch- tums in der zweite Hälfte des 19. Jhdts. war allerdings so augenscheinlich, daß berühmte Kulturgeschichtler die letzte Stunde derartiger Bräuche mit Sicherheit kommen sahen. So stellt Ludwig von Hörmann in seinem Werk „Tiroler Volksleben" den Niedergang des Volkslebens fest, „der sich seit der Mitte des 19. Jhdts. durch das Eindringen der neuzeitlichen Kultur in die abgeschlossenen Täler Tirols mit unheimlicher Schnelligkeit vollzog." Und Hörmann bekennt dann, daß es sich wohl lohnt, „dieses Vorbild für die Mit- und Nach- Bildungswerk Hanns- Seidel- Stiftung in St. Johann
< Page 6 | Page 8 >
 
Kontakt
Tel.: +43 (0) 5356 6976
Fax: +43 (0) 5356 6976 22
E-Mail: info@kitzanzeiger.at
Virtuelle Tour
Rundblick - Virtual Reality
Werbung
 
Zurück Aktuelle Gemeinde Archiv Suchen