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Hilde Goldschmidt mit Werken bei ihrer Ausstellung 1977 im Landesmuseum Ferdi- nandeum, Innsbruck. Alpenbild Habermüller, Innsbruck. Samstag, 16. August 1980 Kitzhiiheler Anzeiger Seite 9 Professor Hilde Goldschmidt zum Gedenken Am 7. August starb die Malerin Hilde Goldschmidt im 83. Lebensjahr. Erst we- nige Tage vorher war sie von ihrem Lieb- lingsaufenthalt im Alter, von der Insel Gozo, nach Kitzbühel heimgekehrt und noch voller Pläne und Ziele. Innerhalb weniger Tage erlosch ihr Leben. Am 9. August wurde die sterbliche Hülle von Prof. Hilde Goldschmidt in Kitzbühel zu Grabe getragen. Ihre Verwandten und Freunde nahmen in einer schlichten Trau- erfeier von ihr Abschied. Für die Stadtge- meinde Kitzbühel nahm Stadtrat Dir. Pe- ter Brandstätter daran teil, der Kulturre- ferent war wegen eines Auslandsaufent- haltes abwesend. Das Kulturreferat der Tiroler Landesregierung ließ am Grabe ei- nen Kranz niederlegen. Am Grabe sprach namens der Freunde von Prof. Hilde Goldschmidt Florian Un- terrainer Worte der Erinnerung und des Dankes. Seine Ansprache war das persön- liche Abschiednehmen der vielen Kitzbü- heler Freunde von Hilde Goldschmidt. Wir folgen den Ausführungen: Es ist das eingetreten, worauf wir ge- faßt sein mußten. Doch will es niemand wahrhaben und man wünscht, daß ein großer und wertvoller Mensch immer da sein könnte. Wer das Glück hatte, Hilde Gold- schmidt zu kennen, mit ihr zu arbeiten, mit ihr Feste zu feiern in fröhlicher Run- de, ihr im vertraulichen Gespräch die See- le auszuschütten, der hatte das starke Empfinden: Das ist ein Mensch, der zu- hört, der einem nicht gleichgültig begeg- net. »Immer wieder und wieder versuchen, ist der Weg des Lebens« schrieb Hilde Goldschmidt am 8. August 1950 - fast genau 30 Jahre vor ihrem Todestag - in das Tagebuch. Daraus spricht der un- beugsame Wille und der Mut, zu ihrem Leben als Künstlerin und Mensch zu fin- den. Dieser Weg ist ihr nicht leicht ge- macht worden. Als jüngste Tochter des wohlhabenden Kaufmanns Adolf Goldschmidt in Leip- zig 1897 geboren, wuchs sie in einem El- ternhaus auf, das mit intensivem Leben und mit Kultur erfüllt war. Viele Jahre später schreibt sie an einen Freund von der wunderbaren Atmosphäre dieser Ju- gendjahre, die angefüllt waren voller Mu- sik in der großen Erwartung auf dem Weg ins Leben: »Ich bin dankbar dafür, daß ich in dieser starken Woge von Liebe und Enthusiasmus aufgewachsen bin, von der frühen Zeit meiner Schultage an bis spät in die Jahre des Malens. Mein Leben ent- faltete sich wie ein Baum, wie ein Garten. Und die Brücke zwischen der Schulzeit und dem späteren Leben, das war Marik, ein junger Maler.« Wie Hilde Goldschmidt selbst ihr Le- ben lang »Brücken« gebaut hat und Aus- gangspunkt schöner, edler Freundschaf- ten war - Hilde war nie verheiratet und doch der Mittelpunkt einer großen Fami- lie, die ihre Verwandten und Freunde bil- den - so hatte sie ihrerseit das Glück, Menschen zu begegnen, die sie geformt haben. In der Zeit ihrer Studien in Leipzig und Dresden begegnet sie den Malern Oskar Kokoschka und Friedrich Karl Gotsch, sie trifft Mary Wigmann und lernt bei ihr Tanzen und findet Freunde in ihnen. Spä- ter begegnet sie Kurt Schwitters, der sie des öfteren bei ihrer Arbeit im Lake Di- strikt in England besuchte, der von 1942 bis 1950 ihr Aufenthalt war. Denn obwohl ihr Leben von Jugend an gesichert schien, so mußte auch Hilde Goldschmidt erfahren, wie unbarmherzig die Machthaber des Dritten Reiches Men- schenwürde und -rechte mit Füßen traten. Sie war gezwungen, mit ihrer Mutter alles zu verlassen und in die Emigration nach England zu gehen, nachdem sie kurz zu- vor als ersten Zufluchtsort ein kleines Haus, »die Kaffeemühle«, wie sie es gerne nannte, in Kitzbühel erworben hatte. Bittere Jahre und der Kampf um das tägli- che Überleben trafen auch Hilde Gold- schmidt. Trotzdem findet sie zurück in ih- rer Arbeit, zu ihrer Malerei. Es entsteht das erste Bild, von dem sie sagte, daß es geschehen, nicht nur gemalt worden war, das also durch mehr als nur ein visuelles Ereignis hervorgerufen worden ist. Die Bilder aus der Zeit am Lake Distrikt sind ein bedeutender Abschnitt im Schaffen Hilde Goldschmidts. Die Mutter, die sie sehr geliebt hat, hat in diesen Jahren mit der Tochter mitgelebt und Verständnis ge- habt. Als die Mutter starb, suchte Hilde Goldschmidt wieder, wie schon oft zuvor, Zuflucht in der Malerei und ihre künstle- rische Arbeit auf diesen Schicksalsschlag ist das ergreifende Selbstbildnis »Mour- fing«, Trauer, das 1949 entstanden ist. Jahre später schrieb Hilde Goldschmidt in ihr Tagebuch: » . . . ich bin plötzlich al- lein, ich kann mich nur ins Malen retten.« Da ist Hilde Goldschmidt schon wieder nach Kitzbühel zurückgekehrt, wo sie endgültig ihr Zuhause fürs Leben findet. Wieder in ihrem lieben Haus am Rain, ist sie jedoch gezwungen, um ihren Lebens- unterhalt zu verdienen, Zimmer zu ver- mieten, was sie zunächst verwirrt und un- sicher macht. Im Tagebuch finden wir: »Ich versäume die Zeit, und meine Tage vergehen mit den kleinlichen Arbeiten zum Verdienen. Die Haltung muß wach bleiben, die innere, mit der Richtung auf das Wesentliche. Ich vergeude meine Kraft und auf einmal zeigt es sich an: Die Jugend ist vorbei und man muß haushal- ten. Und da erst recht muß man wachsam sein, um die Kräfte und die kostbare Zeit für das eine zu nutzen, das dem Leben Sinn gibt. Meinem Leben, das ich so ge- wählt habe - oder besser, etwas in mir, das mich hat diesen Weg gehen lassen. Ich darf nicht auf halber Strecke abweichen.« Damals ist Hilde Goldschmidt bereits weit über fünfzig Jahre alt. Sie entschei- det sich endgültig, als freie Malerin zu ar- beiten. Eine in frühen Jahre vorgezeich- nete Spur wird für sie jetzt zu einem deut- lich sichtbaren Weg. Hilde Goldschmidt findet im Alter ihre Erfüllung in harter Arbeit in ihrer Kunst, mit Reisen nach Venedig, Israel, Gozo, mit Ausstellungen in Österreich, Deutsch- land und England, mit der Arbeit zum Buch, das über sie erscheint, mit dem Werkverzeichnis, das anläßlich einer Doktorarbeit gemacht wird, mit der Ver- leihung des Professorentitels durch den Bundespräsidenten wird ihr später Erfolg wie die Anerkennung ihrer Arbeit noch verstärkt. Unsere Hilde lacht nicht mehr. Wir nehmen an ihrem Grab Abschied und su- chen einen neuen Anfang. Wie Hilde Goldschmidt erkannt hat, daß Kunst kei-
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