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Samstag. 23. August 1980 Kitzbüheler Anzeiger Seite 7 Voltigieren - eine Sportart, die immer mehr junge Freunde gewinnt Tiroler Meisterschaft in der Reitanlage Mauring, Kitzbühel Durch die einzige Goldmedaille, welche Österreich bei den Olympischen Spielen durch Sissy Theurer gewonnen hat, ist die breite Öffentlichkeit wiederum auf den Reitsport in aller Deutlichkeit aufmerk- sam gemacht worden. Reiten besteht aber nicht nur aus Dres- sur und Springen, besonders bekannt ge- worden durch den Paradereiter Hugo Si- mon, sondern es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, sich mit dem Spiel- und Sportkameraden »Pferd« zu beschäf- tigen. Eine Sportart, die sich sowohl mit Tur- nen als auch mit dem Pferd beschäftigt, ist das Voltigieren! Seit Jahrhunderten schon wird am le- derbezogenen, hölzernen »Pferd« volti- giert, in der Turnhalle. Das Turnen auf dem lebenden Pferd war zwar 1920 olym- pische Disziplin in Antwerpen, fand aber nicht den Anklang in der Öffentlichkeit, um sich im olympischen Programm zu halten. In letzter Zeit haben sich jedoch die Lebensumstände für viele sehr geän- dert und für viele Kinder, besonders in der Großstadt, ist Voltigieren der einzige Kontakt zum Lebewesen Pferd. Modernes Voltigieren ist Gymnastik am galoppierenden Pferd, das auf einem Zirkel von 15 Meter Durchmesser an der Longe des Lehrers im Kreise läuft. Die Kinder laufen einzeln zu ihm hin, sprin- gen auf und vollführen eine Anzahl an- mutiger Übungen auf seinem breiten Rücken. Voltigieren ist in erster Linie Mann- schaftswettkampf. Eine Gruppe von Ju- gendlichen, im Wettkampf 8 + 1 Ersatz- mann, beteiligt sich an der Ausführung verschiedener Übungen. Durch Einzel- und Partnerübungen bietet sich eine gro- ße Anzahl von Varianten, welche die Ka- meradschaft und den Mut des einzelnen fördern und stärken. Diese Sportart kann nur im Zusammenwirken der Gruppe mit dem Pferd und dem Longenführer zu ei- nem Erfolg führen. Je besser dieses Zu- sammenspiel klappt, je größer das Ver- trauen aller Beteiligten zueinander ist, de- sto größer wird der Erfolg der ganzen Gruppe sein. Der Voltigierer muß seine Bewegungen dem Pferd anpassen und gleichzeitig auf seine Partner eingehen. Außerdem lernt der Jugendliche den Umgang mit dem Pferd, da dieses sich nicht wie ein totes, starres Turngerät am Ende der Stunde in die Ecke stellen läßt. Neben dem Gruppenwettkampf kom- men in ‚den letzten Jahren immer mehr das Einzelvoltigieren und der 3-Phasen- wettkampf zur Durchführung. Beim Einzelvoltigieren sind die 6 vorge- schriebenen Pflichtübungen und eine frei zusammengestellte Kür von höchstens ei- ner Minute Dauer zu zeigen. Der Voltigie- rer darf während dieser Vorführungen die Verbindung mit dem Pferd nicht aufge- ben, es sind jedoch Bodensprünge er- laubt. Der 3-Phasenwettkampf ist eine relativ junge Variante des Voltigierens und be- steht aus: Bodenturnen, Turnen auf dem Holz-(Blech)Pferd und der Ausfüh- rung der Pflichtfiguren im Galopp. Die Bodenübungen sollen von einer Art sein, daß sie auch auf dem Pferd gezeigt werden können oder welche besser dem Körper zum Voltigieren hin entwickeln. Wiederholte und strikt rhythmische Übungen gehören nicht in das Programm. Das Programm soll beinhalten ein gutes Verhältnis von statischen bzw. Streck- übungen und beweglicheren (dynami- schen) Übungen (lebhaft, kräftig, beweg- lich, mit Tempo). In einem Rasenviereck von 15 x 15 ist während der Vorführungs- dauer von 75 sec. jede Variante möglich. Die Vorführung ist mit Musikbegleitung. Auch die Übungen auf dem Holzpferd sollen von einer Art sein, daß sie, auf ei- nem Pferd gezeigt werden können. Bo- densprünge sind erlaubt, jedoch darf der Kontakt mit dem Übungsgerät nicht ver- loren gehen. Dauer der Vorführung 75 sec. mit Musikbegleitung. Die 6 Pflichtfiguren sind: Grundsitz, Fahne, Mühle, Flanke, Stehen und Sche- re. Diese Übungen werden im Galopp aus- geführt, statische Übungen sind 4 Ga- loppsprünge durchzuhalten. Die erste Pflichtübung ist der Grund- sitz. Der Voltigierer sitzt locker und gera- de auf dem Pferd, beide Arme nach der Seite etwa in Augenhöhe weggestreckt mit den Handflächen nach unten. Bei der Fahne liegt der linke Unter- schenkel unter einem Winkel von ca. 45 Grad quer zum Pferderücken, der linke Oberschenkel ist fast senkrecht, die linke Hand und das rechte Bein sind ausge- streckt, sodaß Fuß- und Fingerspitze auf gleicher Höhe sind. Mit der rechten Hand hält sich der Voltigierer am Griff des Vol- tigiergurtes fest. Bei erhobenem Kopf ent- steht eine leicht gebogene, federnde Linie von den Fingerspitzen bis zur Fußspitze. Die Mühle ist eine Linkswendung um 360 Grad auf dem Pferderücken. Das Überschlagen der Beine soll so hoch und gestreckt wie möglich mit erhobenem Kopf erfolgen, in gleichmäßigem, flüßi- gem Bewegungsablauf ohne Verzögerung. Im Innen- und Außensitz sollen die Beine geschlossen anliegen. Die Flanke beginnt aus dem Grundsitz mit einer hohen Wende zum Innensitz, die Beine sind hierbei gestreckt und geschlos- sen. Erneut wird mit geschlossenen Bei- nen Schwung geholt und dann erfolgt der Absprung hoch über den Pferderücken hinweg nach außen, nach rechts, den Vol- tigiert wird gründsätzlich auf der linken Hand. Das Stehen ist die »Zitterübung« aller angehenden Voltigierer, denn 4 Galopp- sprünge muß der Voltigierer frei, mit fe- dernden Knien und seitlich ausgestreckten Armen, auf dem Pferderücken stehen. Die Schere ähnelt im Aufbau der Flan- ke, nur daß dann über dem Pferdrücken die Beine gekreuzt werden, der Voltigierer sitzt also dann mit dem Gesicht nach hin- ten. Nach erneutem Schwungholen und Kreuzen der Beine über dem Pferdrücken ist der Voltigierer wieder im Grundsitz. Am Sonntag, den 7. September 1980, ab 9 Uhr kommt in der Reitanlage Mau- ring am Sonnberg im Rahmen eines natio- nalen Voltigierturnieres die Tiroler Lan- desmeisterschaft in allen drei Sparten des Voltigierens zur Austragung. Neben allen Tiroler Gruppen werden Gruppen und Einzelvoltigierer aus fast al- len Bundesländern erwartet. Der »Reitclub Kitzbühel« möchte mit seiner Veranstaltung einen Beitrag zur Ju- gendförderung leisten und die Anregung geben, ob Voltigieren nicht auch als Schulsport geeignet ist, wie es das Pony- reiten z.B. in vielen Schulen Frankreichs ist. Auf jeden Fall wäre es eine Möglich- keiti die Jugend wieder jenem Lebewesen näher zu bringen, welches Jahrtausende lang die Geschicke unseres Kontinents maßgeblich beeinflußt hat.
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