Kitzbüheler Anzeiger

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Alma Holgersen (+ 18. Februar 1976 in Kitzbü hei). Foto: Dornauer, Alpbach Samstag. 7. März 1981 Kitzbüheler Anzeiger Seite 41 Der Lago di Como empfing mich feu- rigblau. Und die hellen Kalkfelsen glän- zen wie Perlmutter. Sie schlossen alles Dunkle aus. Was sollte mir auch gesche- hen mit jenem Schlüssel in der Tasche für das Haus in Montagnola? Passieren konnte freilich noch vieles - wenn Her- mann Hesse unsichtbar blieb! Das kleine Haus, in dem ich für einige Tage wohnen sollte, stand neben dem Heim des Dich- ters. Der Wagen surrte eine Bergstraße empor, er gebärdete sich nicht lärmend - so schien es. Und da stand das hellrote Haus, die mattgrünen Flügeltüren geschlossen. Al- tersweise sah es auf mich herab, stumm und entrückt. An den Gittern drängten sich blaue Trauben, ganz ohne Glanzlich- ter. Hinter den Säulen gab es lila-verbli- chenes Mauerwerk. Die drei Töne: ein ab- geschabtes Lila, verblichenes Grün, dunk- les Rosa vereinten sich in entrückter Hei- terkeit. Die Süße der Trauben lag mir auf der Zunge, bevor ich die Trauben noch pflückte. Die Süße der Jugend, die nie verlorengehen kann - wenn man sie hü- tet, brannte mir auf den Lippen Nein, wir wurden nicht ganz und gar vertrieben aus den himmlischen Gärten! Hört man nicht die Wasser rauschen? Früchte wuchsen ei- nem in den Mund, das rosa Haus atmete nicht Verlassenheit. Es gab nur die Stille. Durch Lorbeerbüsche - sie sahen aus wie lackiert - schimmerten helle Mau- ern, der Wohnsitz Hermann Hesses. Gab es hier Steppenwölfe? Nein, es gab keine, die hatten sich verkrochen - oder hau- sten sie verborgen in den Tiefen des Gar- tens? Es war so still, so seltsam still, geht vielleicht Knuip vorbei - das Ränzel auf dem Rücken? Er lacht, der kennt die Hast nicht, die Verlorenheit ins Dunkel. Den großen Zettel am Tor konnte man nicht übersehen: Bitte keine Besuche. Der Wind fuhr durchs Gras, das etwas verbli- chen war. Aber dort, wo die hohen Lor- beerbüsche standen, klirrte es, summte und rauschte es. Zurück ins rosa Haus. Es roch nicht mehr nach Verlassenheit und schwermüti- ger Verlorenheit. Sonnenstreifen betaste- ten das stumpfe lila der Mauern. Die alten Möbel mit den rohen Strohlehnen funkel- ten, sie drängten ans Licht. Die Uhr stand still, es gab sie ja auch nicht, die Zeit. Sie hatte sich in die Erde verkrochen. Dort schlief sie sich aus. Bitte keine Besuche! Ich hätt's ja auch nicht gewagt. Nur se- hen wollte ich ihn! Hinter den Lorbeerbü- schen brannten alle Schattierungen von hellem bis zum dunklen Rot. Seine Rosen. Riesige Vögel - die Zypressen - säum- n den schmalen Autoweg. Feierliche Kühle, ja, abweisende Kühle ging von ih- nen aus. Nein, sie würden nicht ihr dunk- les Gefieder entfalten und fortfliegen. Vielleicht umstellten sie das Haus, das konnte man von hier aus nicht sehen, Schätze zu hüten, kostbare Wörter, die sich einmal freimachen würden, jetzt noch von Mauern umgeben, diese vielen dunklen und goldenen Wörter! Menschen zu finden und in ihnen ein Feuer zu ent- zünden! Feuer, das nicht tötet, nicht er- lischt. Sie suchen auch Mörder heim - aber die werden nichts begreifen. Wie im- mer schreiten sie dahin, das Echsengesicht verzerrt, lauern sie nach Beute. Was sind da Rosen - und Wörter, die ins Herz zie- len? Leise öffneten sich die verblaßten grü- nen Türen, sanfte Schwermut lastet jetzt zur Zeit der Dämmerung in dem Haus. Durch die lackierten Blätter der Lorbeer- büsche strich der Wind. Er machte sich nicht wichtig, er wollte nur da sein, mit den letzten Sommerblumen spielen. Im Nebenhaus ist es still. Kein Auto fährt vor, niemand tritt aus der Tür. Und doch ist es voll geheimnisvollen Lebens, das rauscht und summt, und klirrt wie Glas. Nun begannen die Grillen zu zirpen. Das lockige dürre Gras und die hohen Rispenhalme schützen sie vor jedem An- griff. Metallisch klang ihr Gefiedel, den- noch nicht hart und scharf. Die Nacht erschien mir lang. Halb- schlaf umfing mich, intensives, dunkles Violett durchdrang die Mauern. Mühelos erschien mir, beim Fenster hinauszuflie- gen, den Nebengarten, in dieser milden Stille zu betrachten. Ja, da war eine Lücke bei den Lorbeerbüschen, man brauchte nur die Flügel zusammenzuklap- pen und durchzuschlüpfen. Die Rosen dufteten nicht. An ihren Blättern hing der Tau und zog sie zu Boden. Gladiolen brü- steten sich auf hohen steifen Stengeln, sie wollten nicht in den Himmel eindringen, es genügte ihnen den Garten zu über- blicken, hochmütig und leidenschaftslos. Was fingen da die winzigen rosa Blüten an, die helle Steine überwucherten? Der schwarz- und gelbgefleckte Salamander, der bewegungslos verharrte, in seiner gan- zen schillernden Pracht, atmete hastig, als hätte er eben einen hohen Berg erklom- men. Vermochte ich die Hecke zu überflie- gen? Nein, wieder kroch ich durch die Lücke, kichernd, daß ich sie entdeckt, denn morgen konnte sie mir behilflich sein, alles zu sehen Ich fand kein Stückchen Zucker im Haus, der Kaffee schmeckte einfach greu- lich, und die Trauben eher bitter. Diesmal war niemand gekommen, sie zu pflücken, darum verschenkten sie sich an den Som- mer. Innig war der Zaun mit prunkvollen Vogelbeerbüschen vermischt. Zichorien- kraut zitterte im aufspringendem Wind. Eine Quelle? Dünn bahnte sich das Wasser seinen Weg, überhüpfte Augen- trost und Sauerampfer. Plötzlich blendete etwas: eine Schere, eine blitzblaue Gärtnerschürze, ein grell- gelber Strohhut, der durch Lücken Schat- ten auf das asketisch-magere Antlitz eines Mannes warf, über die kühne Adlernase, den Mund und das Kinn, er streifte die Ärmel auf, sehnige Arme eines Handwer- kers waren das. Er war es: Hermann Hesse! Ich machte mich klein, ich kroch ganz in mich zusammen, mein Herz klopfte vernehmlich, viel zu vernehmlich. Augen- blicke lang legte ich das Gesicht ins feuch- te Gras, das jetzt, am Morgen, keck und gerade dastand. Ich wünschte, mir kein Gespräch mit ihm. Er schnitt welke Rosen ab und warf sie in einen Korb. Jetzt kehrte er mir den Rücken zu und ich sah nur noch seine ab- geschabte, sandfarbene Hose, die ihn um- schlotterte. Plötzlich drehte er sich um und sagte mit tiefer, ein wenig brüchiger Stimme: »Sie können herauskommen!« Nun, ich kroch auf allen vieren durch die Lücke, und mir schien, als raste die Alma Holgersen: Begegnung mit Hermann Hesse
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