Kitzbüheler Anzeiger

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Seite 26 Kitzbüheler Anzeiger Samstag, 18. Juli 1981 kindern alles, was sie auch im Leben brauchen konnten. Besonders in Deutsch und Rechnen waren diese Kinder schon kleine Meister. Mein Vater war ein begab- ter Zeichner und Maler und die Schulkin- der haben über die Methoce des Anschau- ungsunterrichtes wesentlich leichter ge- lernt. Immer wieder ging mein Vater zu den Bauern, nm ihre Probierre kennen zu lernen. Er wollte ihnen heLen unc Rat ge- ben. Und bald war abends die Schulklasse mit den scion ausgeschulten Bauern voll; denn sie wollten alles lernen, was sie am Bauernhof benötigten. Jeden Sonntag ging mein Vater zu Fuß nach Kircidorf, um beim Gottesdienst Geige oder Orgel zu spielen. Dem damali- gen Bürgermeister Urban Nothegger half er nach der Messe im Gemeindeamt aus. Der Oberlehrer war ihm ein unentbehrli- cher Helfer geworden, ehrenamtlich ohne Bezahlung. Mein Vater verdiente damals so wenig, daß er sich kaum ein Essen im nahen Wirtshof leisten koniiie. Alles was er für die Bauern neben dem Scinulbetrieb tat, war unentgeltlich. Seine Srhule und die Fortbildung der Bauern waren ihm zur Lebensaufgabe geworden, es befriedigte ihn und machte ihn frnh. Doch um ganz glücklich zu sein, fehlte ihm eine Partne- rin. Und nn spielte :hrn das Schicksal ei- ne wunderbare Frau zu. Bei einer Feier in Kirchdorf sah er zum erstenmal Emma Aigner, Tocl-itr des Urban Nothegger, Bauer und Wirt zu Habach und der Em- marenzia Aigner, Tochter c.es Prostbau- ern in Weng. Es war Liebe auf den ersten Blick. Im Tagebuch meiner Mut-er las ich einst die Verse: »Ich hab D:ch gesehn, ich hatte Dich lieb, ich müßte vergehn, wenn ich ohne Dich blieb!« Als im Jahre 1914 der erste Weltkrieg ausbrach, mußte mein Vater e:nrücken. Er kam zu den Einjährig-Freiwilligen in Innsbruck. Inzwischen hatte die Volks- schule Erpfendorf eine zweite Klasse und der Schulbetrieb wurde mit einer Lehrerin und einem Aushilfslehrer weiter geführt. In der Kaserne in Innsbruck wartete das Bataillon meines Vaters auf den Abtrans- port an den Passubio. Doch wieder griff das Schicksal in das Leben des jungen Lehrers ein. Ein Telegramm seines Vaters »Mutter gestorben, komme sofort heim«, riß ihn wie aus allen Wolken. Was war ge- schehen? Mutter war doch beim letzten Ferienaufenthalt noch so gesund? Zu Hause erfuhr er, daß seine Mutter am Heimweg von der Feldarbeit von einem Gewitter überrascht wurde. Sie suchte Schutz unter einer Eiche, da schlug der Blitz ein und traf Mutter tödlich. Ist die Mutter für den Sohn in den Tod gegan- gen? Denn von all den Kriegskameraden, die damals in der Schlacht am Passubio kämpften, kehrte kein einziger in die Hei- mat zurück. Der Schmerz über den Verlust seiner geliebten Mutter zerbrach ihm fast das Herz. Doch das Leben ging weiter und mein Vater mußte noch als Reserve- Offizier in Innsbruck bleiben. Man schrieb das Jahr 1916. Sein Trost blieb seine Braut und ein Jahr später, als mein Vater wieder in den Schuldienst zurückkehren durfte, heirate- te er in Absam in Tirol seine geliebte Em- ma. Im Oktober des Jahres 1918 kam das erste Kind Emmy zur Welt. Das Kriegsen- de mit all den schweren Sorgen um die Fa- milie war für meine Eltern eine harte Prü- fung. Doch Schule, Musik und Gesang halfen über all das Nachkriegselend hin- weg. Im Februar 1920 erblickte ich das Licht der Welt. Im November 1921 wurde mei- ne Schwester Gisela geboren. Mein Groß- vater in Böhmen starb im September 1923 und mein Vater fuhr nach Gratzen, um zum Begräbnis zu gehen und den Nachlaß der Eltern zu übernehmen. Es war das letzte Mal, daß mein Vater in seiner Hei- mat war. Nie mehr in seinem Leben sah er den schönen Böhmerwald wieder. Er be- dauerte dies sehr, obwohl er wahrschein- lich bitter enttäuscht gewesen wäre, denn sein Heimathaus kam an einen tschechi- schen Bauern und alle Verwandten und Bekannten zogen als Deutsche aus der Tschechoslowakei aus, um in Osterreich oder in Deutschland eine neue Heimat zu finden. Schicksal aller Volksdeutschen in Europa! Während der Abwesenheit meines Va- ters kam meine jüngste Schwester Erika auf die Welt. Als mein Vater heimkehrte, sagte er zu seiner Jüngsten immer »Bubi«. Er hat sich so sehnlichst einen Sohn ge- wünscht. Mein Vater war so sehr verwachsen mit seiner Schule und den Bauern, daß ihm Erpfendorf eine zweite Heimat wurde. Ei- ne ausgezeichnete Lehrerin und Helferin war ihm Vera Budik und deren Schwester Asta. Meine Mutter hatte eine herrliche Sopranstimme und spielte sehr gut Gitar- re und Cello. Mein Vater mit seinem so- noren Baß und seinem Geigen- und Har- moniumspiel erfreute jung und alt. Es wurde viel gesungen und musiziert im Lehrerhaus und die Dorfbewohner mach- ten mit, so gut sie konnten. Als mein Vater den Bauernkindern das erste Mal die Geheimnisse der Natur im Mikroskop vorführte, wurde es ganz still in der Klasse. Alle wollten sie einen Blick in dieses Wunderwerk tun. Wie herrlich war es in der Schule! Mein Vater hatte ei- ne wunderbare Gabe, den Kindern spie- lend das Wesentliche beizubringen. Ne- ben der Schule gab es noch Arbeit im Schulgarten. Viele Versuche wurden durchgeführt und oft war Vater in den Fe- rien in der Fachschule Rotholz, um die Neuerungen in der Landwirtschaft später den Bauern zu vermitteln. Viele Obstbäu- me stehen heute noch in den Gärten der Bauern, die damals mein Vater setzte. Beerensträucher und Gemüse wurden an- gepflanzt. Sachgemäß wurde gelernt, wie man Getreide mißt, wie man Heustöcke berechnet, wie man Holz vermißt. Alles das lernten die Kinder in Vaters Schule. Es war wirklich eine Schule fürs Leben. Schwer wurde ihm daher der Abschied von Erpfendorf. Im Jahre 1927 wurde mein Vater als Oberlehrer nach Westen- dorf versetzt. Er verließ die Stätte seines ersten großen Erfolges mit wehem Her- zen. Westendorf war für mein Vater ein Ort von ständigen Aufregungen. Ein Sitten- skandal, ausgelöst von seinem Hilfsleh- rer, erschütterte das ganze Dorf. Es schie- den sich die Geister. Jene, die zu meinem Vater hielten und jene, die auf Seiten des Lehrers standen. Die Sache kam bis zum Gericht. Und jetzt bewährte sich meine Mutter als treue Gattin und Mitstreiterin. Ihre Edelmut, ihre hohe Intelligenz, ihre kämpferische Natur sowie ihr fröhliches Wesen halfen meinem Vater aus tiefen Depressionen. Sie war die stille Heldin in der Familie. Mein Vater verdankt zum er- heblichen Teil seine Karriere und seine Er- folge meiner Mutter. Ohne sie wäre er oft gescheitert und hätte die Flinte ins Korn geworfen. Meine Mutter hatte eine gute Menschenkenntnis und konnte mit ge- schickter Hand und einem gesunden Hausverstand die Dinge ins rechte Lot setzen. Nach drei Jahren harter Kämpfe in We- stendorf entschied sich mein Vater für die Versetzung nach Langkampfen. Ein Jahr später wurde er nach Schwaz und im Jah- re 1932 endlich nach Innsbruck versetzt. Mein Vater wurde Direktor der Schule in Amras und sein Wunsch, die vier Töchter studieren zu lassen, ging nun in Erfül- lung. Wir wohnten anfänglich in einer Stadtwohnung, doch der Mietzins war so hoch, daß meine Eltern sich entschlossen ein Haus zu bauen. Mit dem Erbteil des Großvaters aus Böhmen und einem klei- nen Kredit wagten meine Eltern den Hausbau. In Amras, inmitten von schö- nen Villen und prachtvollen Wiesen, kaufte mein Vater ein Grundstück. Im Jahre 1936 bezogen wir ein im Tiroler Stil erbautes Einfamilienhaus, das nun für viele Jahre Heimstätte und Zuflucht wur-
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