Kitzbüheler Anzeiger

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Samstag, 7. November 1981 Kitzbüheler Anzeiger Seite 31 Das Vortragskreuz der Kirche in Reith 1. Fortsetzung Es fallt auf, daß bei den Inschriften der vier Evangelisten das große S als Anfangs- buchstabe des Wortes »Sanctus« eine ver- kehrt gegebene Schlingenform zeigt. Ebenso auffällig ist es, daß an Stelle des J bei Johannes und beide Male auf der In- schrifttafel oberhalb des Gekreuzigten sich ein Y befindet. Die Buchstaben der Inschrifttafel wiederholen sich in Kreisen, welche den Dreipässen auf der Rückseite eingezeichnet sind. Dabei fällt es auf, daß der zweite und letzte Buchstabe derselben nicht, wie es ihre Art erfordern würde, senkrecht, sondern horizontal angebracht sind. Hat der ländliche Künstler ihre Form bloß nach einem Vorbild gearbeitet, wobei er ihre Bedeutung nicht einmal er- faßt hatte? Das interessanteste an diesem Kreuz ist jedoch eine in der Mitte des Längs- und Querbalkens rückwärts angebrachte Emailplatte, die einen Durchmesser von 65 Millimeter hat. Sie zeigt das Brustbild Christi, das aus dem blauen Emailgrund ausgespart ist. Der Kopf ist jugendlich, ohne Bart, imperatorenhaft. Es umgibt ihn ein kreisförmiger schmaler Goldrei- fen, der durch drei verschieden breite Ste- ge mit dem Haupt verbunden ist. Die Zwi- schenfläche zwischen Kopf und Reifen war einst, wie letzte Reste noch erkennen lassen, von Emailfluß in den drei Farben Rot, Dunkelblau und Hellblau, die mein- anderflossen, ausgefüllt. Christus hält die Rechte segnend und gebietend in die Hö- he. Er trägt ein tunikaähnliches Unter- kleid, das sich um den Körper eng anlegt und bis zur Halsgrube hinaufreicht. Auf dem obersten Brustteil und auf der linken Körperseite zeigt sich eine aus kleinen, senkrecht stehenden Rhomben gebildete Gravierung, die beinahe schuppenartig wirkt und vielleicht einen Panzer andeu- ten könnte. Über dem ausgestreckten lin- ken Arm hängt in reichlichen Falten ein togaähnlicher Überwurf herab. Hinter dem linken Arm steigt eine schmale Linie empor, die sich zuoberst zuspitzt. Soll das eine Lanze sein? Rechts vom Haupte des Erlösers findet sich groß und deutlich der griechische Buchstabe alpha-A, dem links vom Haup- te ein scherenförmiges Gebilde entspricht, das wohl ein griechisches omega-O bedeu- ten soll. Beide Buchstaben tragen nach oben hin eine kleine züngelnde Flamme. Der Künstler scheint diese Buchstaben nur unverstanden einer von ihm gesehe- nen Zeichnung nachgebildet zu haben. Die ganze Haltung des Erlösers und die in einer züngelnden Flamme endende Form der beiden Buchstaben findet sich auch auf einer Emailplatte eines Buchdeckels im Museum Cluny in Paris, die um 1200 in Lomoges entstanden ist. (Bossert, Ge- schichte des Kunstgewerbes, Bd. V, 1932.) Der Grund der runden Platte ist, soweit er nicht von der Heilandsfigur, den Buch- staben und ein paar Zugaben, wie Him- melskörper, belegt ist, von einem bläuli- chen Email gefüllt. Es ist nicht Zellen- schmelz, sondern der ältere Gruben- schmelz, der dank der Zähflüssigkeit der dünnflüssigen des ersteren, mehrere Emailfarben ohne trennende Stege neben- einander anzubringen gestattet. Deutlich sieht man dies noch im vorliegenden Fall in einem runden Fleck unterhalb des seg- nenden rechten Armes sowie in Resten im Heiligenschein. Die Halbfigur des Erlö- sers erhebt sich über die Erde, die durch wellenförmig begrenzte und mit grünem Email ausgefüllte Flächen symbolisiert wird. Die Platte ist alter Rotguß, 55 Gramm schwer, 1 Zentimeter dicht und trägt an ihrer obersten Stelle eine kleine, 8 Millimeter lange Gravierung, die ein in zwei Spitzen auslaufendes Oval zeigt, das von der unteren Spitze bis zu zwei Drittel der Innenfläche noch eine kleine Wellenli- nie aufweist. Soll diese kleine Eingravie- rung eine alte Punze oder soviel wie ein Meisterzeichen bedeuten? Die ganze Darstellung der Emailplatte ähnelt bekannten Arbeiten aus der Zeit um 1200. So zeigt die sogenannte Bern- wardpatene aus dem Welfenschatz, die auch dieser Periode angehört, Christus mit ebenso ausgebreiteten Armen, wenn- gleich der Ausdruck der Figur etwas jün- ger erscheint. Noch stärker ist die Ähnlichkeit des Kreuzes von Reith mit einer Darstellung auf dem sogenannten Tragaltar des Eil- bertus von Köln aus den sechziger Jahren des 12. Jahrhundert, gleichfalls im Wel- fenschatz. Der von der linken Schulter fallende Mantel der Abbildung des Apo- stels Johannes fällt fast ganz gleich bei Christus auf dem Reither Kreuz. Diesem Tragaltar (Welfenschatz in Köln) werden Beziehungen zur Maas- kunst zugesprochen, also der Gegend von Trier—Aachen, und nicht etwa von Bur- gund und Limoges. Die Emailplatte von Reith ist also wohl ebenfalls rheinisch- moselländischer Herkunft. Rein kunstge- schichtlich beurteilt, dürfte sie der Zeit um 1200 zuzusprechen sein. Sie kann aber auch einige Jahrzehnte älter sein. Derlei Kunsterzeugnisse wurden auch damals weithin gehandelt. Das Kreuz ist freilich bedeutend jünger als die Emailplatte und die jetzige Montie- rung derselben ist noch jünger. Diese dürfte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gemacht worden sein. Sie ist als Deckplatte einer Kapsel durch rundherum angebrachte und umgebogene Greifer festgehalten. Bei ihrer früheren Verwendung war sie, wie vier sich gegen- überstehende Löcher zeigen, in ganz an- derer Weise befestigt gewesen, möglicher- weise auf einem anderen Kreuz oder auf einem Buchdeckel. Die Kapsel wählte man aus volkskundlich-religiösen Absich- ten. Sie enthält in zwei ganz feine Seiden- tüchlein gewickelte lehmartig zusammen- gebackene graue Erdklümpchen mit ei- nem kleinen Knochensplitter und einem Benedictuspfennig. Die Farbe der Tüch- lein glich einem alten grünlich-bräun- lichen Moos. Sie waren mit einer kaum fingerbreiten schwarzen Spitze eingefaßt. Man hat den Kapselinhalt jedenfalls als ein besonderes Heiligtum verehrt und als Schutz verwenden wollen. Vermutlich wa- ren die Erdklümpchen Reste von Reliqui- en, die vielleicht aus einem eröffneten Al- targrab stammten. Man hat das Kreuz in früherer Zeit zweifelsohne bei Feldbitt- gängen vorangetragen. Die Benedictus- medaille war ein geprägtes, dünnes Mes- singplättchen in einer Form, wie sie an- fangs des 17. Jahrhunderts gebräuchlich war, nämlich unregelmäßig achteckig. Die Vorderseite hatte das Bild des Or- densstifters aufgeprägt und trug die Be- schriftung: Crux Sancti Beatris Benedicti. Die Rückseite jedoch zeigt die bekannten Buchstaben dieses Segens. Zu der aus kunsthistorischen Erwägun- gen sich ergebenden Datierung der Email- platte des Reither Vortragskreuzes in das letzte Viertel des 12. Jahrhunderts paßt auch ganz ausgezeichnet alles Übrige, was wir über die kirchlichen Verhältnisse die- ses Ortes in bezug auf die Entstehung der Seelsorge daselbst wissen. Das Gebiet wird übrigens 976 schon als Ruite genannt (Salzburger Urkundenbuch 1, Seite 180). Wenng 'h es dann erst 1330 urkundlich als Filiale von St. Johann genannt wird, so hindert unter Beachtung geschichtlicher Umstände nichts daran, bereits für eine viel frühere Zeit das Beste- hen einer Kirche in Reith anzunehmen. So berichtet die chiemseeische Diözesanvisi- tation vom 12. Juni 1673, daß laut einer in der Kirche angebrachten Tafel diese am 5. Juni 1188 geweiht worden sei (»Eccle- Die Vorderseite des Reither Vortragskreu- zes. 1 t t
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