Kitzbüheler Anzeiger

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Die Vrwüstu'ig in vielen Gemeinden ist enorm. Planvolle, langfristige Hufe ist erfor- derlich. Samstag. 14. Februar 198 1 Kitihüheler Arieiger Seite I tärfahrzeugen verstopft. Es ist, als ob man ein Städtchen der Größenordnung von Zams in Hochgallmigg erbaut hätte. Der alte Ortskern - malerisch gelegen, vor Jahrhunderten auf einer Geländekup- pe erbaut - steht nicht mehr. Ein Bild des Grauens. Die Steinhäuser, einst anein- andergeschachtelt, sind nun ein einziger Schuttkegel, ein einziger Gerölihaufen. Dachbalken ragen grotesk gegen den Himmel. Die schmalen Gäßchen, unpas- sierbar und lebensgefährlich, denn jeden Tag bebt die Erde erneut. Die tatsächlich Betroffenen sind zum Erbarmen. Der VW-Bus der Landecker Rettung steht an der Spitze des ca. 40 Fahrzeuge umfassenden Konvois. Die Hundestaffel sichert sofort ab. Es regnet wieder. Ich beobachte drei Mädchen mit Mund- schutz, die mit einem Baukipper Plastik- säcke, wahrscheinlich mit ausgegrabener Habe gefüllt, zu einem Platz fahren, wo das Zeug desinfiziert und verbrannt wird. Viel Jugend in Stiefeln und Gummizeug. Sie können nicht alle von hier sein - Sol- daten auf einem LKW aufgesessen - mit Mundschutz. Man sucht noch immer nach Vermißten. Ein Einwohner erzählt, er habe zwei Kinder verloren, ein anderer hat seine Frau noch nicht gefunden, ein alter Mann nennt mich Commandante und drückt mir die Hand. Plötzlich ein neuer Blickfang. Die Madonnenstatue aus der zerstörten Kirche wird gerade vorbei- getragen. Eine kleine Prozession umringt sie, die Leute Verstummen. Ich begreife. Die Überlebenden klauben immer noch mit bloßen Händen in den Trümmern nach verschütteten Angehörigen. Zahlen über Tote, Verwundete und Vermißte ma- chen die Runde. Von einem älteren Mann erfahren wir über einen Deutschen, daß er von 15 Familienmitgliedern der einzige Überlebende ist. Die Menschen sind noch von der Kata- strophe gezeichnet. Sie stehen tatenlos vor den Trümmern ihrer Habe. Teilweise sind die zerstörten Häuser von den darüber lie- genden Nachbarhäusern völlig verschüt- tet. Offene Särge, halb mit Wasser vom langen Regen gefüllt, stehen herum. Die total oder größtenteils zerstörten Häuser sind Zeugen einer furchtbaren Naturge- walt. Ihre offenen Fronten gähnen den Besucher an. Für uns ist das Umkehren in diesem verstopften Ort nun das größte Problem. Die Fernlastfahrer vollbringen Unglaubli- ches. Einige Leute wollen unsere Wagen öffnen, um so an die Ladung heranzu- kommen. Die Hunde sind rasch zur Stel- le. Nach einiger Aufregung verlassen wir den Ort wieder. 7.15 Uhr, Sammelpunkt ist eine Autobahnraststätte Richtung Sa- lerno. Es ist jetzt 18 Uhr Sonntag abend und wir haben noch die ganze Ladung bei uns. Die Einsatzleitung beschließt, alles in Salerno in einem Kloster der Kapuziner abzugeben. Wir fahren nach Salerno, der ganze Verkehr steht still. Der Salat ist nun komplett. Die Italiener hupen, schreien und schlagen mit der Faust an unser Füh- rerhaus. Straßenpolizisten wachsen über- all aus denn Boden, ihre Trillerpfeifen kreischen pausenlos. Das hat es wohl noch nicht gegeben, ein österreichischer Hilfskonvoi in der Altstadt von Salernc. Auch die Fußgänger stehen staunend, gruppieren s:ch und reden heftig gestiku- lierend. Es ge:ingt, die Lardecker Autos als erste in den Hof des Klosters hiueinzu- zwängen. Die Seitenspiegel müssen zwar eingeklappt werden - aber die Situation ist unter Kontrolle. Nun darf man endlich abladen. Es ist bereits 20 Uhr 20. Am Hintereingang des Klosters hat sich ein Menschenauflauf gebildet. Immer mehr Menschen, vor allem Jugendliche ströuen herzu, als wären sie bestellt. Sie wollen of- fenbar behilflich sein, bilden eine doppel- te Entladekette und schon wandern Ma- tratzen und andere Hilfsgi-er blitzschnell in die weithlufigen Gänge und Hallen des Klosters. Das Treiben und das lärmende Durcheinander ist unbeschreiblich, aber man hat das Gefühl, willkommen zu sein, geschätzt zu sein, und palavert italienisch und deutsch. Ich gehe sicherheitshaloer zum Ajto zurück, als zwei Burschen auf mich zusteuern. Es entwickelt sich ein lan- geres Gespräch in grausamem Englisch: D:e zwei Studenten schämen sich f.ir die Ordnung und das Bandentum ihres Lan- des. Nach langen Verhandlungen wird das Entladen der Fahrzeuge abgebrochen. Eir.. Marschallo erklärt, seit drei Tagen gibt es ein Gesetz, daß alle Hilfsgüter an das Mi- lits.r zu übergeoen sind. Ein Carab:nieri- wagen geleitet uns aus dem Ort hinaus. Es ist jetzt 21.30 Uhr. Nach ca. 13 kmlancen wir über eine Nebenstraße in einem unde- finierbaren Hof, in dem der Schlamm ca. 25 cm tief is:. Der vorderste Fernzug ver- sinkt bis zur Achse. Die Fernfahrer dre- hen fast durch. Alles steht wieder st- 11. Das Tor wird verschlossen, drei bewaff- ne--. Sodaten bewachen es. Aus Rom dolmetscht man uns, daß man nicht hier, sondern in der Nähe in ei- ner Kaserne abladen könne, wenn mani heute noch wolle. Wir wollen, denn wir müssen nach Hause. Polizei fahrt voraus. Zwei Kilometer weiter ein beleuchtetes Fabrikstor. Es öffne: unii. schließt hinter uns hydraulisch. Dahintet bietet sich uns1 - seit 19 Stur-der- auf den Beinen - ein erfreulicher Anblick. Ein asphal:ierter Hof, gedeckte Lagerhallen einer Fabrik, sorgfältig gestaeLe Hilfsgtiter. Die 15 bis 20 Soldaten einer Sanitätsarmeeeinheit aus Florenz werden geweckt. Sie schlafen in einem Raum am Boden und sind rasch und ohne Murren zur Stel- le. Das Abladen geschieht in Rekordzeit. Sicherlich konnte das gesteckte Ziel der Tiroler Aktion nicht mit dieser Fahrt er- reicht werden. Dem planvollen Uberlegen an Ort und Stelle fclgte eine Ernüche- rung. Man nahm Material, das nicht 50- fort gebraucht wurde, wieder mit und wird es später dort oder anderswo einset- zen, wenn der zielgerichtete Einsatz gesi- chert erscheint. Was an Lebensmitteln nich: im Kata- strophengebiet gelassen wurde, ist zum großen Teil bereits verwertet worden und kam auf jeden Fall Menschen in Notsitua- tionen zugute. In enger Zusamnenarbeit mit der öster- reichischen Botchaft und mit dem Inter-' nationalen Roten Kreuz wird we:ter Hilfe geleistet. Die Bevölkerung wird zu weite- ren Aktionen aigerufen. Ein Ziel ist der Bau eines Kindergartens und eines Zweck- hauses durch Österreicher in dem Gebiet, das das Tiroler Rote Kreuz aufgesucht hat. Für die zuständigen Stellen auch in Tirol hat der Einsatz in Süditalien wertvolle Aufschlüsse gebracht. Es ist vor- weither leicht über fehlgeleitete Rettungsrnaßnah- men zu schimpfen, wenn man das Aus- maß der Katastrophe nicht kennt und die Hilfsmaßnahmen nicht nur im Sandka- * I1
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