Kitzbüheler Anzeiger

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Seite 8 Kitzbüheler Anzeiger Samstag, 23. Juli 1983 Touristische lhiumvorstellungen weichen harten Wirklichkeiten Betrachtungen zur Lage von FV-Dir. Dkfm. Dr. J. Ziepi - Kitzbühel Im Herbst 1982 hörte man von politi- scher Seite her noch viel vom wirtschaftli- chen Aufschwung. Damit war wohl der Wunsch nach einer neuen Konjunktur ge- meint, ein Wunsch der sich allerdings rasch im Nebel inkompetenter Meinungen auflöste. Was blieb ist die europaweite Besorgnis um die tatsächliche Lage der kontinentalen Wirtschaft. Und diese kann man im Wirtschaftsteil der deutschspra- chigen Fachpresse, vom Züricher- Anzeiger, über die Presse bis zur Frankfurter-Allgemeinen nachlesen, ohne die Financel-Times oder New-York-Times bemühen zu müssen. Seriöse Erhebungen eines schweizeri- schen Marktuntersuchungsinstituts erga- ben zwar eine »leichte Abschwächung der Rückgangsquoten« in der schweizerischen Industrieszene, aber zu großen Hoffnun- gen ist, wie das Institut sagt, trotz einer Verringerung der Negativkennzahlen, kein Anlaß. Und das stimmt aufs Haar wenn man im Züricher Anzeiger vom 20. Juni 1983 liest, daß die Auftragseingänge in der schweizerischen Industrie in den er- sten drei Monaten dieses Jahres, gegen- über der gleichen Vorjahrsperiode, um 7% abgenommen haben, die Inlandsauf- träge gegenüber dem Vorjahr um 4% zu- rückgegangen sind und die gesamte Indu- strieproduktion gegenüber dem Vorjahrs- quartal eine Einbuße von 9% erlitten hat. Und das in der soliden Schweiz. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt man fast täglich vom »noch langem Marsch durch das wirtschaftliche Tief«. Die Presse berichtete am 21. Juni 1983, daß die Wirtschaftsforscher pessimistisch sind und das Geld zu einer Konjunkturan- kurbelung fehlt. In dieser Lage, in der europäisch gese- hen, Großbritanien fast die einzige Aus- nahme darstellt, weil sich dieses Land auf dem Weg der sozialpolitischen und wirt- schaftlichen Konsolidierung befindet, soll nun in Osterreich eine gute Sommersaison und unter dem selbstfabrizierten Ange- botsdruck von fast eineinhalb Millionen Gästebetten, von denen viele noch nicht durchfinanziert, geschweige bezahlt sind, ein guter Preis aus dem Hemdsärmel ge- schüttelt werden. An ein solches Zauberstück kann doch nur ein kompletter Laie und wirtschafts- politisch Unbefleckter glauben, ein Mensch also, der nicht zur Kenntnis nimmt oder vielmehr nicht weiß, daß die Industriegesellschaft und die Freizeitge- sellschaft ein einziges Ganzes und nicht zwei voneinander unabhängige Teile einer Volkswirtschaft sind. Geht es der Industrie, dem Gewerbe, der Landwirtschaft gut, dann können Ar- beitgeber und Arbeitnehmer me'r Geld in den Urlaub investieren, geht es nicht gut, dann muß nicht nur mit Urlaubskürzun- gen, sondern auch mit Urlaubsstreichun- gen, dann muß nicht nur mit Konsuma- tionskürzungen, sondern mit Konsuma- tionsverzicht gerechnet werden. Das ist derzeit, was bereits die Bruttodevisenein- nahmen aus dem vergangenen Fremden- verkehrsjahr klar aussagen, der Fall. Die Einsparungsmaßnahmen stellen sich zuerst im Bereich des Sozialtourismus ein, in Einkommenszonen, die auf Wirt- schaftliche Schwankungen stärker anspre- chen. Osterreich ist aber ein Ferienland, das nach dem zweiten Weltkrieg, mit dem Sozialtourismus groß geworden ist. Daher werden beträchtliche Frequenz- und auch Einkommenseinbußen in unserem Lande nicht zu vermeiden sein, und zwar nicht nur im heurigen Sommer, sondern zumin- dest mittelfristig, das heißt ganzjährig auf mehrere Jahre gesehen. Ich meine damit, daß trotz einer Art Monopolstellung der Alpenbundesländer auch der Winter nicht mehr voll und von alleine laufen wird. Der Winterurlaub ist in bestimmten Tei- len unseres Landes bereits an der Grenze des Finanzierbaren angelangt. Ein Um- stand, der zur Vorsicht mahnt, denn Ab- wanderungen sind nicht mehr ausge- schlossen. Eine Schwerpunktwerbeaktion könnte noch unentschlossene Urlauber in Deutschland und Holland für die zweite Saisonhälfte mobilisieren. Auf lange Sicht aber kann mit Feuer- wehraktionen, so begrüßenswert und not- wendig sie in mancher Situation auch sind, die touristische Position Osterreichs genau so wenig gehalten werden, wie die der verstaatlichten Industrie. Auf lange Sicht gesehen muß nach Mit- teln und Wegen gesucht werden die Tief- gang haben. Dazu gehört eindeutig die bessere Dotierung der Werbehaushalte der OFVW und der Länderbudgets, um nicht nur die eroberten Marktanteile hal- ten, sondern vor allem neue Märkte auch in Übersee erschließen zu können, was ei- nem einzelnen Fremdenverkehrsort aus fi- nanziellen und organisatorischen Grün- den kaum möglich ist. Eine exakte, langfristige, im voraus in Szene gesetzte Koordinierung von derarti- gen in Planung befindlichen Vorstößen in transatlantische Bereiche, zwischen der Österreichischen Fremdenverkehrswer- bung und den Bundesländerkonzepten, würde oft die doppelte und dreifache Wucht und Dynamik erlangen, gewissen Leaderorten und Großräumen die Mög- lichkeit des Sichanhängens und Mitma- chens ermöglichen und gleichzeitig gutes Geld gespart werden können. Das ist nicht eine Erfindung von mir, sondern das Ergebnis von Fachgesprächen zwi- schen den Direktoren und Abteilungslei- tern der ÖFVW Zentrale, den OFVW Au- ßenstellenleitern und den Landesfremden- verkehrsdirektoren sowie Kur- und Frem- denverkehrsdirektoren Osterreichs, an- läßlich ihres jährlichen Erfahrungsaus- tausches, dessen Ergebnisse aus vielen Er- fahrungswerten zustande kommt. Gerade im Überseegeschäft und bei Verstößen auf Neuland könnte auch die Exportin- dustrie dem Tourismus vermehrt zur Seite stehen. Ein Kriterium, das von beiden Sei- ten nachhaltiger besprochen werden soll- te, weil für alle Gutes herauskommen kann. Die vermehrten Geldmittel dafür sind sicher weder im Bundesetat noch im Haushalt der Bundeshandelskammer bzw. der Bundesländer und denen der Länderkammern leicht oder überhaupt aufzubringen. Aber vielleicht könnte man eine befristete Umschichtung von Finan- zierungsmitteln des ERP-Fonds an die Osterreichische Fremdenverkehrswer- bung »zu Sonderaktionen« denken? Ich glaube, daß die Investition in eine massive Werbung für das Gastgeberland Oster- reich nützlicher wäre, als die Abstützung chronisch kranker Betriebe oder die Fi- nanzierung zusätzlicher Betten, die wir nicht brauchen, weil wir bereits landauf und landab zuviel davon haben und zwi- schen den bestehenden Häusern nur wie- der eine neue Preisdruckkonkurrenz ent- steht. Verweilen wir beim Fremdenverkehrs- gewerbe, dem Hauptträger der Fremden- verkehrswirtschaft. Es ist wohl nun auch in diesen Reihen die Zeit gekommen, in denen der Wirt auch Betriebswirt sein muß um durchzustehen. Nur gesunde Be- triebe werden die Umstellung von anor- malen Uberkonjunkturzeiten in ganz nor- male Zeiten überstehen. Ich behaupte, daß wir uns in Europa nicht in einer tiefen Rezession befinden, sondern in einer Pha- se des Gesundschrumpfens. Allerdings verwechseln Leute, die ohne große An- strengung bisher zum Erfolg gekommen sind, den Normalisierungsprozess mit ei- ner Katastrophe. Sie, die kranken Betrie- be, werden und können nicht überstehen, auch nicht wenn sie glauben über den Preisdruck nach unten durchzukommen. Diese Nichtbetriebswirte sind überdies ei- ne Gefahr für den leistungsfreudigen Be- trieb, der, um eine gute Leistung erbrin- gen zu können, auch eine entsprechenden Preis erzielen muß. Die Stunde der Wahrheit ist zwar mit Verzögerung, aber nun leider auch im Fremdenverkehrsgewerbe gekommen. Es hat so wie in der Industrie und im Gewer- be eine Sterben der finanzschwachen und leistungsschwachen Unternehmungen be- reits eingesetzt. Dieses Sterben wird wei- tergehen und eine Menge Unternehmer zur Einstellung ihrer Tätigkeit zwingen. Es ist bitter das sagen zu müßen, aber auch die Industrie und das Gewerbe ha- ben der Wahrheit ins Auge schauen mü- ßen. Man könnte aber diesen Bürgern, die teils aus Selbstverschulden und teils durch Fremdverschulden den unerbittlichen
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