Kitzbüheler Anzeiger

Archiv Viewer

Ausgabe im Vollbild öffnen
Zurück zur Übersicht
Von links: Thre/ F.tchs, lose! Fuchs d.Ä., Enkel Josef, Schwie.g.rtocflter Anna und Sohn Josef im Jihr 1961. Samstag, 13. August 1983 KitzhiiLeler Anzeiger Seite 31 noch ein paar Tage vor ihrem Tod bei ei- nem Kartensp.el mittun. Als die Schermermutter schließlich vor wenigen Tagen von Gott in die ewige Hei- mat gerufen wird, ging ihr noch ein Wunsch in.Erfülluig, denn sie starb im Woll-e man nach einem wertenden Sub- stantiv suchen, das in so ziemlich allen auf das »Wiener Streichquartett« bezoge- nen Kritiken steht, man würde gewiß auf das Wort »Homogenität« stoßen. Ta:- sächlich ist die Einheitlichkeit dieses Klangkörpers sowohl was die Spielweise, das Aufeinancerhören und -abstimmen, als auch was die Übereinstimmung, das klang1ihe Aufeinanderabgestimmtsein der Instrumente tet:ifft bei diesem En- semble besoncers auffällig und erstaun- lich. Solche Ausgewogenheit kommt na- türlich nicht von ungefähr: das Quartett besteht seit imme:hin 20 Jahren. Dieses registrieie Merkmal der Klang- einheitlichkeit zeigte sich bereits in den er- sten Takten des zu Beginn gespielten G-Dur-Streichquarte:ts op. 77/1 von Jo- seph Haydn. Was für lebensbejahenJe Musik! (Wie könnte es auch bei Haydn anders sein?) Kaum irgendwo eine Moll- trübung. Da ist alles lautere Freude; Ja flutet unablässig Sonnenlicht durch das unbegreiflich erderbundene Gemüt eines unbegreiflich frommen Musikers (fromm im Sinne des alten Wortes »fromb«) - ei- nes Künstlers, der noch in universaler Einheit mit Gott und der Welt stehen darf. Das Hauptthema des 1. Satzes geradezu volksliedhaft; klassisch-volkstümlich. Die hohen Streicher haben vorerst das Sagen. Werner Hink (1. Geige) - ein hervorra- gender Kammermusiker. Sein Ton hat et- Beisein lieber Angehöriger im Haus ihrer To•:hter Thres. Zur Vcllendung des 90. Lelensjal res fehlten der Schermerbäue- ri:i nur mehr we:1ige Wcclien. Viele Men- scten trauern um ciese herzensgute, müt- terlirhe Frau. Manfred Rupert was von Mittelstelhing zwischen volumi- nös und >schlank«. Aber man könnte ge- nauso Hubert Kroisamer (2. Geige, der als Innenstimme iir folgenden etwas im Hintergrund bleibt - ebenso wie der Bratscliist Klaus Peis:einer - adressieren. Und schließlich d:e zweite Außenstimme, der Cellist Reirha:d Repp: So hat Kam- mermusik im Cello zu k1inen! Man weiß wir'-ich nicht zu sagen, was eigentlich das Geheimnis dieses Klangkörpers ist. Sein >Spelen mit Gem'it bei großer Exakt- heit::? Nein, es ist mehr. Zu was für einem Gustostück wL:de doch z.B. der 2. Satz! Wahrscheinlich ist's auch die gewisse Na- tiiri:chkeit, mit welche: gespielt wird. F:eilich kommt das U:gesunde bei Haydn solchem Spiel auf halbem Weg entgegen. Der 3. Satz (Menuetto). heikel wegen der extremen Lagen. aber trotzdem »klas- sisch«; haydnisch-klassisch. Seltsame Blüte schlie11--:h das Finale: ein fast bal- kanisch klingendes Thema, virtuos ange- legt. (Bart6k oder Kodaly hätten jeden- falls ihre helle Freude danii: gehabt.) Und was da alles modila:c:isch passiert; bis zu ct:omatisch•en Rückurigen. In eine vöLg andere Welt führte das Streichquartetl Nr. 2. cp. 56, des Polen Karol Szymanowski. Seltsam introvertier- te Sphäre, in welcner es auf große Stecken hin anges.iedeil ist. Alles scheint so unerreichbar weit entfernt; alles hat mehr oder weniger zwiespältigen Charak- :er - aufgepiägt von einem gewiß blut- vollen, hochbegabten Musiker, der aber selbst zwiespältig gewesen sein muß. Zwiespältigkeiten in der Harmonik, Zwie- spältiges in den Formen ... Irgend etwas erinnert an Georg Trakl. Selbst »Grodek« scheint beschworen. (Es kann freilich auch alles Täuschung sein!) Das Werk sehr lyrisch (wie Trakl). Vielleicht auffal- lendstes Element jedoch eine fast unvor- stellbare Einsamkeit. Dieselbe Musik als Background zu einem psychogrammati- schen Film wird anstandslos bejaht, weil nicht bewußt aufgenommen, und sie hat auch etwas Plakatives, obwohl mit Tem- perament geschrieben. Der 3. Satz (Len- to. Doppio movimento) beginnt als Fuge; aber es bleibt nicht bei einer solchen. Wil- de Ausbrüche hageln auf den Zuhörer nieder. Ängste, Obsessionen? Dann er- hebt sich unversehens ein wunderschönes Thema, von der 2. Geige vorgetragen. und schon verwirrt sich wieder alles. Da kämpft ein hochsensibler Mensch mit sei- nem störrischen Ich, vielleicht sogar mit dem Wahnsinn. So gesehen wird dieses Werk freilich auch zum grausam realisti- schen Abbild der morbiden Brüchigkeit unseres Jahrhunderts - zur Vision ä la Alfred Kubin. Noch ein Brahms - das 1. Streichquar- tett c-moll - einer, der vielleicht nicht auf Anhieb als solcher erkannt wird. Bis eben das typisch Brahmsische durch- bricht. Man wird das Gefühl nicht los, daß dem Meister das über alles geliebte Klavier abging. (Das erste Streichquartett trägt bezeichnenderweise die relativ hohe Opuszahl 5 1/1.) Das Hauptthema jedoch unverkennbar seine Handschrift, vor al- lem in der rasanten Steigerung. Ein hoch- konzentriert gespielter 1. Satz, gerafft, fast unerträglich dicht in seiner Diktion. Der eigentliche Weg zur klassischen Mo- derne scheint doch eher direkt vom an- geblich konservativen Brahms wegzufüh- ren als von den klassischen Vätern Liszt, Berlioz, Wagner; denn er, Brahms, weist viel deutlicher als jene auf die großen Kontrapunktiker Reger, Hindemith usw., wenn man von der rhythmischen Vielfalt eines Strawinsky absieht. Von Brahms sa- gen die Wiener Musiker boshaft, daß er, wenn er Heiteres komponieren wollte, stets den Text »Das Grab ist meine Freu- de!« vertont hätte. In diesem Sinne paßte das im übrigen wundervolle C-moll-Quar- tett gut auf den Szymanowski. Was den 3. Satz betrifft, könnte man sich gut vorstel- len, daß zur Uraufführung Kritiker schrieben (weil sie die Logik der Struktur im ersten Anhören nicht erfaßten), daß sich dieser endlos dahinschleppe. Späte- stens zu Beginn des vierten (Finale Alle- gro) werden sie begriffen haben und auf- geschreckt sein: Vehement brechen jetzt die Instrumente los, die Stimmung düster Viel Bewegung, viel »punctus contra punctum« - bis hin zum prächtigen Schlußaccelerando. Eine befreiend hingepinselte Zugabe - den letzten Satz aus Mozarts »Dissonan- zenquartett« (vielleicht noch eine Spur be- schwert vom Brahms), und damit münde- Von der Homogenität großen Zusammenspiels und anderem Erstes Sommerkonzert ein faszinierendes Erlebnis - »Wiener Streichquartett« vor vollem Saal
< Page 31 | Page 33 >
 
Kontakt
Tel.: +43 (0) 5356 6976
Fax: +43 (0) 5356 6976 22
E-Mail: info@kitzanzeiger.at
Virtuelle Tour
Rundblick - Virtual Reality
Werbung
 
Zurück Aktuelle Gemeinde Archiv Suchen