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Samstag, 14. April 1984 Kitzbüheler Anzeiger Seite 17 Kitzbühels »Weltbürger« Jan Boon 75 Jahre Am 10 April vollendete Jan Böon das 75. Lebensjahr. Ohne je auf sich auf- merksam zu machen, ist er einen unge- wöhnlichen Weg erfolgreich gegangen. Ohne es bewußt zu tun, ist er ein Stück Kitzbühel geworden, weil er einen großen Beitrag zur sportlichen und touristischen Prägung dieser Stadt geleistet hat, aber auch einen großen uneigennützigen Bei- trag zum geistigen Antlitz geliefert hat. Jan Boon beantwortet ein paar Fragen zu seinem Leben und Wirken, die dem Leser einen Einblick geben sollen. Es ist schwer, bei Boons sprichwörtlicher Bescheiden- heit alles Entscheidende aus ihm heraus- zubringen, doch sei es gewagt. Jan Boon kam in Amsterdam als Sohn eines bekannten niederländischen Kunst- malers zur Welt. Mitten in der Schullauf- bahn übersiedelte die Familie auf Wunsch des Vaters nach Traunkirchen. Am Traunsee erlebte er die Berge. Er sollte Keramiker werden, doch er spürte, daß er zu wenig Talent dazu hatte. Der Vater als Kunstmaler war voll guten Glaubens und verschaffte eine besondere Arbeitsstelle in Bremen. Im Flachland spürte Jan Boon nun, daß er in einer Großstadt nicht Fuß fassen konnte und wollte. Die nächsten Entscheidungen wurden durch den Wehr- dienst in der Heimat aufgeschoben. Schon zwei Tage nach der Entlassung aus der Armee war Jan Boon in den Bergen, in Kufstein, wo er sich nochmals als Kera- miker versuchte. Es waren die schwierigen Dreißiger Jahre. Boon wollte über den Ski- und Bergsport den Weg zum Film finden. Jan Boon wurde der niederländische Pionier für die Berge und Ski. Er zog nach Kitzbühel. Boon begründete eine ei- gene Schule für holländische Skifahrer und Bergsteiger. Die Eis- und Kletterkur- se fanden am Kaunergrat statt. Dann hat- te er die Idee, nationale Skimeisterschaf- ten ins Leben zu rufen und sie in Kitzbü- hel auszutragen. Das war 1935. Boon hat nicht nur organisiert, sondern auch die Abfahrt von der Ehrenbachhöhe über die Fleckaim nach Klausen und den Slalom am Ganslern gewonnen. Es war nicht das einzige Rennen, das er mit solchem Erfolg beendete. Boon wurde 14 Mal niederlän- discher Skimeister. Er trainierte zehn Jah- re lang den Nachwuchskader der nieder- ländischen Skinationalmannschaft und begründete die niederländischen Jugend- meisterschaften. Doch das entspricht nicht der chronolo- gischen Abfolge. Anzuführen sind Boons bergsteigerische Erfolge. Mit Anden Heckmair durchstieg er an einem Tag die Fleischbank-Südostwand und die Christa- turm-Ostwand. In den Westalpen führte er auf viele Viertausender. Als der Krieg ausbrach, war es ihm eine Pflicht, in die Niederlande zu gehen und als Soldat zu dienen. Doch bald war der Krieg aus. Jan Boon konnte nach Kitzbü- hel zurückkehren. Das erregte einiges Aufsehen, denn im Grunde war er »alli- ierter Feind«. Glücklich darüber, wieder in Kitzbühel zu sein, begann Boon als Bauernknecht beim »Tiefenbrunner«. Er hatte schon vor dem Krieg in die Film- branche hineingeschaut und war als Re- gieassistent und Kleindarsteller tätig. Da- bei hatte er das Handwerkliche von Grund auf gelernt. Nun fand er Anschluß an namhafte Kultur- und Spielfilmgesell- schaften, doubelte für Rudolf Prack und andere Schauspieler, arbeitete aber auch beim Vertonen mit. Gegen Ende des Krie- ges leistete er unter größtem persönlichen Einsatz Fluchthilfe für zwei niederländi- sche Offiziere und kam erst nach Mona- ten nach Kitzbühel zurück. Die Flucht wurde später in einem längeren Aufsatz in einem holländischen Schulbuch niederge- schrieben. Nach dem Kriegsende erhielt Boon Einblick in Akten über ihn und staunte über Aussagen zu seiner Person! Bald nach dem Krieg versuchte Boon Anschluß an die Filmbranche zu bekom- men. Er erhielt eine Ausnahmegenehmi- gung zur Ausübung des Filmgewerbes. Dann folgten interessante Aufträge. Weil er durch Filme bald bekannt geworden war, folgten interessante Aufträge durch Ame- rikaner. Jan Boon filmte in ganz Europa, soweit das damals offenstand, ausgenom- men in Portugal. Er schuf über zehn abendfüllende Vortragsfilme über Europa von Finnland bis in die Türkei, von Ju- goslawien bis Irland. Zwischendurch ge- staltete er allein einige Kitzbühel-Filme, so »Wintermärchen«, »Die Roten Teufel von Kitz« und »Melodie auf Ski«. Dieser Film brachte eine Silbermedaille bei ei- nem Festival in Frankreich ein. Insgesamt wurden mehr als 115 Kopien gezogen, der Film lief in fünf Sprachen auf allen Konti- nenten und in den USA auch im Fernse- hen. Weitere Werbefilme machte Boon auch u.a. für das Arlberggebiet und für das Montafon. Die Vortragsfilme über Europa, die auch in der National Geographic Society in Washington in Sälen für über 3000 Be- sucher gezeigt wurden, führten zu Aufträ- gen in Hawaii und Süd- und Ostafrika. Eine Wende in Boons Schaffen bedeute- ten die in amerikanischem Auftrag ge- drehten Filme über Nordindien und Ne- pal. Nun konzentrierte er sich auf dieses Gebiet und schuf eine Fernsehfilmserie »Zentralasien und seine Menschen - das Land, wo der Wind betet«. Boon kam in Gebiete fernab der sogenannten zivilisier- ten Welt, in die einsamen Täler und auf die weiten, unberührten Hochflächen Zentralasiens. Das waren in den sechziger Jahren Gebiete, in denen wohl noch nie gefilmt worden war. Meist filmte er ent- lang Tibets Grenzen und hinter dem Himalaja-Hauptkamm. Eines ist diesen gelungenen und von den Fernsehgesell- schaften mehrerer Länder mit Erfolg aus- gestrahlten Filmen gemeinsam: Im Mittel- punkt stehen Landschaft und Mensch, das kulturelle Leben und die Religion. Hier kamen Boon seine Bescheidenheit und sein tiefer künstlerischer Sinn voll zu- gute, er wurde nicht als Eindringling be- Jan Boon. Foto: Herta Waich, Kitzbu hei handelt und vermochte das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Die Filmserie ist zum Denkmal einer Kultur geworden, über die bald der »Fortschritt« hinwegge- gangen ist. Kaum 20 Jahre danach wären die Aufnahmen überhaupt nicht mehr zu machen. Jan Boon hat mit Kleinstexpeditionen etwa 4500 km zu Fuß zurückgelegt. Sein Lehrmeister im' Himalaja war der öster- reichische Forscher und Bergsteiger Dr. Herbert Tichy. Jan Boon lernte den Kitz- büheler Ing. Peter Aufschnaiter kennen und wurde zu einem Vertrauten des einsa- men Bergsteigers, Forschers und Humani- sten. Der Flachländer Jan Boon leitete eine Himalaja-Expedition von Niederländern und einem Osterreicher, die den bisher unbestiegenen Manaslu-Nordgipfel er- stieg, der 7160 m hoch ist. Der Mann, der mit seiner Filmserie über Zentralasien eine enorme Leistung für die Ethnologie erbrachte und die Er- habene Landschaft auf dem Dach der Welt vielen erschloß, wurde auch der Nachlaßverwalter für Ing. Peter Auf- schnaiter. Ein anderer hätte sich damit begnügt, das vorhandene Material an eine entsprechende museale Verwertung zu bringen, Boon setzte sich mit großem Fleiß und schließlich mit Erfolg für die Drucklegung von Aufschraiters Manus- kript ein. Er schrieb für das Buch »Peter Aufschnaiter - sein Leben in Tibet« die Biographie und lieferte Bilder. Jan Boons größte Erfolge waren in ei- gener Sicht die Filmdokurnente - 1974 erhielt er den italienischen Filmstaatspreis für »Bhutan - Thron der Götter« -‚ die Manaslu-Expedition und das »Aufschnai- terbuch«. Jan Boon ist ein »Weltbürger« gewor- den, wie ihn der ORF anläßlich einer ein- stündigen Live-Sendung nannte. Er ist aus gutem Grund Holländer und fühlt sich in diesem Land, das er gelegentlich besucht, wohl und daheim. Die Kitzbühe-
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