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Immer an ein Weiter geglaubt Die Produktion konnte weiter- laufen, die Belegschaft blieb bei der Stange. Entsche dende Vor- aussetzung dafür, daß nach lan- gem Suchen doch noch ein poten- ter Interessent gefunden werden konnte, der bereit war, den Betrieb mitsamt der darin Beschäftigten zu übernehmen und weiterzufüh- ren. Lange Zeit hatte es sehr schlecht ausgesehen, erinnert man sich heute in der Arbeiter- kammer. Von den Interessensver- tretungen des alten Betriebsinha- bers Dr. Walde war nicht zuviel zu «Streßzucker von der vielen Auf re gung, tat der Arzt gesagt« - Be triebsr:sobfrau Bertl Kazelor E igentlich ein wahres Wunder »Tiroler Modell« der Arbeiterkammer sichert Löhne und Gehälter E in Montag war's«, kann sich Bertl Kazelor noch » genau erinnern. Die Betnebsratsobfrau der traditionsreichen Innsbrucker Keksfabrik Walde kann diesen Tag nicht vergessen, obwohl er nun schon über eineinhalb Jahre zurückliegt. Der Tag, an dem die Firmenleitung in einer überraschend einberufenen Betriebsversammlung der Belegschaft mittei- len mußte, daß der Ausgleich angemeldet werden würde, daß cie Arbeitsplätze plötzlich in extremer Gefahr waren, kam für alle «wie ein Schock«. Gerüchte hatte es zwar schon immer gegeben. Gerüchte, die sich sogar schon zu einer Art Gewiß- heit verdichtet hatten, als Zeitungen und Rundfunk über mas- sive Schwierigkeiten der Firma berichteten, die aber von der Leitung noch wenige Tage zuvor dementiert worden waren. Von einer bevorstehenden Insolvenz könne keine Rede sein, keine Spur«, erluhr die Betriebsrätin noch Mittwoch. »Man hat uns vollkommen im Unklaren gelassen, hat uns nie etwas gesagt«, ärgert sich Rosmane K., Arbeiterin in der Ver- packungsabteilung noch heute. Ausgleich kam wie ein Schock Was nach dem »schwarzen Montag« kam, möchte Bertl Kaze- lor nicht noch eirmal mitmach3n müssen. Vordringliche Aufga3e war es, die Belegschaft bei Stim- mung zu halten. Was nicht einfach war. Viele drohter schon zu resig- nieren, dachten schon ans Aufge- ben, wollten einfach nicht mehr glauben, daß es noch eine Ret- tung für Walde geen könnte. »Vor allem einige Junge waren schon am Abspringen«, denkt Karol ne Schatz an das bange halbe Jahr zwischen Frühsommer 1982 Lnd der schließlichen Rettung, Anfang 1983, zurück. Schon über drei3ig Jahre lang im Be-rieb, erfahrer in vielen Auf und Ab der Firmenge- schichte, hatte sie mehr Geduld. Viel anderes als Geduld war ihr auch nicht übriggeblieben: »VJas hätt' ich denn in meinem Alter noch bekommen? Höchstens hie und da irgendwD eine Aushilfe. Aber sonst schaut's ja jetzt schlecht aus.« Karoline Scha:z arbeitete auch in der Zeit der größten Ungewiß- heit weiter und glaubte «imner, daß es irgendwie weitergeht. Daß es aus sein könnte, war für mich Belegschaft blieb bei der Stange und viele meiner Kolleginnen ein- fach unvorstellbar. Wir haben ei- gentlich gar nicht mitgekriegt, wie knapp alles zugegangen ist.« So richtig mitgekriegt hatte es von der Belegschaft im Grunde nur Bertl Kazelor. Und bekam es auch zu spüren: »Streßzucker. Von der vielen Aufregung, hat der Arzt gesagt. Eine Zeitlang ist es mir wirklich dreckig gegangen.« Bertl Kazelor war als einzige über die fieberhaften Aktivitäten hinter den Kulissen einigermaßen am Lau- fenden. Hatte mitgekriegt, «daß es eigentlich ein wahres Wunder war, daß die Leute an jedem Monatsen- de das ihnen zustehende Geld be- kommen hatten.« Tatsächlich war es der Tiroler Arbeiterkammer gelungen, Mittel und Wege zu finden, die pünktli- che Auszahlung der Löhne und Geht. ter zu ermöglichen.Unter Ausr .jtzung des Insolvenz- Entgelts icherungSgesetzes ent- wickelte man in ier Maximilian- straße durch Vcrfinanzierungen mit Hilfe der Hausbank der Firma ein 'Tiroler Modell«, um die mate- rielle Existenz der rund 100 Arbeit- nehmer besonders rasch und rei- bungslos zu sichern. Was psychol3g sch enorm wichtig war. Verfügte doch kaum einer der Arbeiter Lnd vor allem Arbeiterinnen übr genügend fi- nanzelle Rücklagen, um eine län- gere Durststrecke durchzustehen. «We 1 wir immer mit dem Geld rechien konnten, haben wir auch an ein Weiter geg aubt;« weiß Ros- marle K. erwarten. Manche Kräfte waren an einer Flurbereinigung des Mark- tes, die Süßwarenbranche weist extreme Konzentrationstenden- zen auf, durchaus nicht uninteres- siert. So blieb es den Arbeitneh- mervertretungen vorbehalten, in zähen Verhandlungen endlich mit dem deutschen Schokoladekon- zern «Ritter-Sport« eine Einigung zu finden. Was Firmenchef Dr. Walde durchaus anerkennt: »Das jetzige Ergebnis wurde ermöglicht durch Arbeiterkammer und Ge- werkschaft, die ganz konkret die Sanierung möglich gemacht ha- ben.« Eine Meinung, die sich überzeu- gend einhellig durch alle Ebenen des Betriebs zieht: »Ohne Arbei- terkammer und Gewerkschaft hät- te es kein Durchhalten und Durch- kommen gegegen.« (Karoline Schatz)
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