Kitzbüheler Anzeiger

Archiv Viewer

Ausgabe im Vollbild öffnen
Zurück zur Übersicht
Seite 12 Kitzbüheler Anzeiger Samstag, 20. Oktober 1984 Der Flußkrebs ein bedrohter Bewohner unserer Gewässer Von Dr. Herbert Sandner, Innsbruck - Kitzbiihel - Oberndorf Die Erkenntnis, daß das Wasser eine Voraussetzung für jedes Leben darstellt, ist zwar Allgemeingut, in sehr geringem Maße wird aber bedacht, welch wichtige Funktion die Lebewelt des Wassers aus- übt. Hängt doch die Selbstreinigungskraft dieses Elementes in hohem Maße vom Reichtum des Gewässerlebens ab. Wenn wir dieses Gewässerleben durch Eingriffe und Verschmutzungen stören oder sogar weitgehend vernichten, dann entziehen wir uns mit der Zeit die eigenen Lebensbe- dingungen. Diese Einsicht ist nun zwar weitgehend vorhanden, eingeleitete Schutzmaßnahmen entsprechen aber noch bei weitem nicht dem Ernst der Si- tuation. Darüber hinaus wäre es eine wichtige Aufgabe des Naturschutzes und im weiteren Sinne auch der Fischer, die bereits stark reduzierte Vielfalt an Tieren in unseren Flüssen, Bächen, Seen und Tei- chen wieder zu bereichern und bedrohte Lebewesen in Erinnerung zu bringen. Da- zu gehört der Flußkrebs, der im Ökosy- stem ihm zusagender Gewässer jahrhun- dertelang eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Und nur ganz wenige Leute wissen um die erhebliche wirtschaftliche Bedeu- tung, die der Krebs in Teilen unserer Hei- mat einmal inne hatte. Der Flußkrebs, auch Edelkrebs genannt, bevölkerte zwar fast alle geeigneten Gewässer West- und Mitteleuropas, in Nordtirol und Osttirol jedoch kam er ursprünglich nicht vor; wahrscheinlich deshalb, weil er die aus dem Lande strömenden Flüsse und Bäche (z.B. Inn, Lech, Isar, Drau, Großache usw.) nicht annahm und in alten Zeiten niemand für seine Einbürgerung im Lan- desinneren sorgte, obwohl ja z. B. die tiro- lischen Landesfürsten des 15. Jahrhun- derts - man denke an Herzog Friedrich und Erzherzog Siegmund - und die baye- rischen Herzöge begeisterte Jäger und Fi- scher waren. Der Flußkrebs wurde bei uns erst von Kaiser Maximilian eingesetzt, für den die Jagd und die Fischerei in Tirol zur lieb- sten Erholung wurde und der sich in Voll- endung der Absichten Erzherzog Sieg- munds für die Neuordnung des Forst-, Jagd- und Fischereiwesens besonders ver- wendete und verdient gemacht hat. Der Krebs muß sich in wenigen Jahr- zehnten in geeigneten Seen, zahlreichen neuangelegten Teichen und in ihm zusa- genden Bächen (Gießen) bestens vermehrt haben, denn er nahm ab dem Anfang des 16. Jahrhunderts am gedeckten Tische des Menschen einen erstrangigen Platz ein. Diese Wertschätzung verdankte er einmal seinem köstlichen Fleisch, das unter ande- rem gerne Wöchnerinnen und stillenden Müttern zur Stärkung verabreicht wurde und sich angeblich ungemein wirksam in der Hebung »der Manneskraft« bewähr- te. Anderseits erzielte ein farbenprächti- ges, also für das Auge höchst anregendes Krebsgericht in den Tafelrunden der ho- hen Geistlichkeit, des Adels und des geho- benen Bürgertums, also in Feinschmek- kerkreisen, immer einen außerordentli- chen Effekt. Man darf nicht vergessen, daß man im 16., 17. und 18. Jahrhundert auf Gaumenfreuden höchsten Wert legte. Die meisten Kreise der Bevölkerung wa- ren von einer maßlosen Eß- und Zechlust erfaßt. Fast jeder Akt des gesellschaftli- chen und geschäftlichen Lebens wurde von reichlichen Schmausereien begleitet. Selbst die Mitglieder des Landtages wur- den bei ihrer Einberufung vorerst einmal in Gasthöfen mit reichlichen, mindestens fünfgängigen Mahlzeiten ergötzt. Daß man die Tagungen ebenso beschloß, ver- steht sich von selbst. Geradezu gesund- heitsgefährdende Speisezettel waren in den Tiroler Bädern eingeführt. Von sechs Uhr in der Früh - vor dem ersten Bad - bis zum Schlafengehen wurde alle ein bis zwei Stunden teilweise üppigst gegessen, darunter immer auch köstliche Fisch- und Krebsgerichte. Adelige Wöchnerinnen fingen sogar bereits um drei Uhr morgens zu schmausen an und beendeten erst beim ersten Aufwachen um Mitternacht diese Gewaltmast in Gestalt von mindestens zehn kaloriengeschwängerten Mahlzeiten. Und auch hier wieder nebst reichlichsten Eier- und Zuckerspeisen und anderen sü- ßen Leckereien Geflügel, köstliche Sup- pen, Krebse, Froschschenkel, Koppen, Pfrillen, Grundeln usw. Kein Wunder, daß der berühmte Haller Arzt Hippolytus Guarinoni Anfang des 17. Jahrhunderts unentwegt in Wort und Schrift gegen die- se Maßlosigkeit wetterte. Meist zwecklos, denn nichts ist bekanntlich beständiger als die menschliche Unvernunft. Selbst die Regierung versuchte, übrigens mit mäßi- gem Erfolg, durch Einschränkung von Festlichkeiten dem Übel zu steuern. Der Krebs war aber nicht, nur ein her- vorragendes und leckeres Nahrungsmit- tel, sondern er hatte auch einen festen Platz in der damaligen Medizin. Zwischen zwei Tüchern gefaßte zerstoßene Krebse auf die schmerzende und entzündete Stel- le gelegt, galt als bewährtes und sicheres Mittel gegen den Rotlauf. Und schließlich rankte sich auch noch mancher Aberglaube und Hauch von Zauberkraft um den urig anmutenden Ge- sellen. In den letzten 100 Jahren - im Jahre 1912 wurden aus einigen anderen österrei- chischen Ländern immer noch 380 Ton- nen Edelkrebse gewinnbringend in das Deutsche Reich exportiert - verschwand der Krebs immer mehr aus dem Bewußt- sein der Bevölkerung einschließlich der Fischer. Die Gründe hiefür sind vielfältig. Einmal wurde von Westen her eine Pilz- krankheit, die sogenannte Krebspest, ein- geschleppt, die allmählich die Krebsbe- stände in weiten Bereichen Mitteleuropas fast eliminierte und bei uns zumindest lichtete. Eine weitergehende Ausrottung unterblieb hier wohl aus den gleichen Gründen, die in der Zeit vor Maximilian ein Einwandern des Krebses verhinderten. Weiters änderten sich allmählich die Eß- gewohnheiten der Leute, die Bevölke- rungs- und Besitzstrukturen, und damit verkümmerte auch langsam das Interesse an einer Erhaltung der Artenvielfalt. Frü- her angelegte Krebsteiche verschwanden, und in den letzten Jahrzehnten fand in unseren Gewässern kaum mehr Beach- tung, was nicht rot getupft oder mit einem breiten rötlichen Band entlang der Kör- perseiten versehen war. Dabei hätte man- ches leicht nebeneinander Platz gehabt. Aber ein gewisses Umdenken ist bereits wieder im Gange. Und schließlich - in! neuester Zeit - wurden den Krebsen durch Verrohrung, Verbanung oder Ver- schmutzung und Ausräümung von Wie- senrinnsalen und stehenden Gewässern sowie Beunruhigung der See- und Teichu- fer durch den viel intensiveren Badebe- trieb die Lebensräume so reduziert, daß diese interessanten und nutzbringenden Tiere beinahe an den Rand der Ausrot- tung gerieten, und das ist für jeden, dem auch die Tierwelt ans Herz gewachsen ist, sehr bedauerlich. In weiten Bereichen Tirols gibt es also keine Krebse mehr, im Bezirk Kitzbühel sind sie bereits auf ganz wenige Vorkom- men zusammengeschmolzen, und nur in den meisten Seen des Bezirkes Kufstein haben sich noch mehr oder weniger locke- re Bestände gehalten. Dabei hat sich in letzter Zeit die wirtschaftliche Bedeutung des Krebses ganz entscheidend geändert. Der jährliche Bedarf an Speisekrebsen be- läuft sich in den Skandinavischen Län- dern, in Deutschland, Frankreich, Oster- reich und der Schweiz auf sage und schrei- be weit über 4000 Tonnen, davon jedoch in den letzteren beiden Ländern nur mehr je 10 Tonnen. Dieser fast unglaublich an- mutende Bedarf ist aus den Ostblockstaa- ten, aus der Türkei und den USA sowie aus den Einfuhrländern selbst kaum mehr zu decken und das zumeist nur mehr mit Tiefkühlware. Die Produktion von Krebsen wäre also interessant und lohnend. Dabei könnte gerade in Fremdenverkehrsgebieten der Krebsverzehr und damit der Absatz si- cherlich erheblich gehoben werden. Diese wahrscheinlich auf Jahrzehnte hinaus be- stehenden Marktlücken wurden auch be- reits in unseren östlichen Bundesländern von Fischzüchtern und Fischereiberech- tigten erkannt. Sie wollen nicht mehr auf bisher ungenutzte Ertragsmöglichkeiten verzichten, und mancher finanziert seinen Fischbesatz bereits aus einem Krebsteich. Dabei wird die hohe Ertragserwartung und der sehr günstige Verkaufspreis durch keine Fütterungskosten oder einen nennenswerten Wartungs- und Zeitauf-
< Page 12 | Page 14 >
 
Kontakt
Tel.: +43 (0) 5356 6976
Fax: +43 (0) 5356 6976 22
E-Mail: info@kitzanzeiger.at
Virtuelle Tour
Rundblick - Virtual Reality
Werbung
 
Zurück Aktuelle Gemeinde Archiv Suchen