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Samstag. 10. November 1984 Kitzbiiheler Anzeiger Seite 3 hörden, die nach der neuesten Gewerbe- ordnung die Möglichkeit, sogar die Pflicht haben, § 79 Absätze 1 und 2 GewO. anzu- wenden, also Auflagen zum Schutze des Lebens und der Gesundheit dem Werk aufzutragen, auch wenn sie wirtschaftlich unzumutbar wären. Aber was soll's, wenn der Betrieb dann zusperren muß. Hier ab- zuwägen ist äußerst schwierig - und Hand auf's Herz - wenn wir an schönen Tagen im Herbst oder Winter etwa nach Innsbruck kommen und die dichten Rauchvorhänge bis weit auf die Berge se- hen, dies ohne Spanplattenwerk, dann müssen wir dort nach den Verursachern genau so fragen wie bei uns. Es sind nun einmal auch die Heizungen verschieden- ster Art, in den Zimmern will man 24 Grad Wärme, jeden Tag sein Bad, es gibt verschiedene Heizöle, und Osterreich kauft polnische Kohle mit viel Schwefel- gehalt. Und der gewaltige Autoverkehr? Jeder sollte etwas an seine Brust klopfen. Ein eindeutiges »Halt« muß bei der Planung weiterer grenzüberschreitender Straßen gefordert werden. Hier gibt es keine Kompromisse! Die Verkehrszählun- gen an der überlasteten Strecke Wörgl - Lofer haben ergeben, daß etwa jede Mi- nute neben dem enormen Personenver- kehr ein LKW durchdonnert. Der bayeri- sche Wirtschaftsminister Jaumann meinte vor kurzem: »Durch den Ausbau der Nord-Südverbindungen komme auf Tirol verkehrsmäßig Ungeheures zu!« Hier müssen wir auf die Barrikaden, denn mit der Euphorie des Straßenbaues für Fern- laster muß in Tirol Schluß sein. Der Herr Gesundheitsminister Steyrer besuchte vor kurzem das Wipptal und »war erschüttert über das Waldsterben entlang der Bren- ner-Autobahn«. In Oberndorf wollte ein junger Mann unserem Herrn Landes- hauptmann wegen der Plöckentunnel- Wünsche ein Brieferl überreichen - und wurde polizeilich überprüft. Der Bauten- minister Sekanina will Schnellstraßen ein- sparen, zur Schnellstraße S 12 Wörgl - Lofer »seien aber alle Überlegungen noch nicht zu Ende gedacht«. Ein Stammtisch in Jochberg meinte, daß eine Verhinde- rung des Plöckentunnels unrealistisch sei, also solle ein Tunnel her. Auch aus einem Tunnel kommen die Schadstoffe! Der Schutzverband, dem Gemeinden und Fremdenverkehrsverbände des Bezirkes angehören, hat einstimmig ein hartes Nein zu jedem Plöckentunnel-Projekt, egal ob am Scheitel oder an der Basis, überall deponiert, und es ist nun doch ru- hig geworden, weil man einzusehen be- ginnt, daß mit solchen Monsterprojekten Schluß sein muß. Bleiben wir einig, denn nur in der Einigkeit ist die Kraft, die Stär- ke. Vor über 2000 Jahren legten die Römer eine These fest: »Videant consules, ne quid detrimenti res publica capiat«, was heißt, die Politiker haben darauf zu se- hen, daß dem Staat kein Schaden entste- he. Der Staat ist das Volk in seinem Staats- gebiet und nicht ein einzelner. Das muß überall gelten! Dr. Kirchmeyr, Obmann 1. Fortsetzung von der Ausgabe Nr. 44 vom 3. Nov. 1984 Endlich hat unsere Fahrt ihr Ziel er- reicht: Nikolsk-Ussurik. Wir werden aus- geladen und in einen weitläufigen Kaser- nenkomplex geführt. Der russische Kapi- tän, der unser Kommandant ist, macht uns die Eröffnung, daß auch dieser Auf- enthalt kein entgültiger sein werde, daß wir vielmehr in ein anderes Lager weiter nach Norden kommen dürften. Eine sehr peinliche Angelegenheit. Wir hatten be- reits übergenug von dem Eisenbahnfah- ren und ich stand außerdem vor der nie- derschmetternden Tatsache, durch einen Weitertransport nach Norden mich neuer- dings von dem Ziel meiner geplanten Flucht, nämlich der chinesischen Grenze um hunderte Kilometer entfernter zu wis- sen. Zum Glück erweisen sich die Aussich- ten, die uns der Kapitän eröffnet hatte, als vorläufig nicht gerechtfertigt. Wohl ist unser Aufenthalt in der Kaserne von Ni- kolsk-Ussurisk kein entgültiger, aber wir werden nur in ein Lager überführt, das außerhalb der Stadt ungefähr eine halbe Gehstunde entfernt liegt. Dieses neue La- ger ist auch in eine Kaserne, in der etwa 200 Offiziere, vorwiegend Osterreicher, zum geringeren Teil Reichsdeutsche, aber auch Mannschaften beider Armeen unter- gebracht sind. Ich wohne mit 17 anderen Ärzten und Offizieren in einem großen Saal im Erdgeschoß, und wenn wir auch genügend zum Essen und Kohle zum Hei- zen erhalten, ist das Leben hier keines- wegs gemütlich. Bald erscheinen Leute, deren ich mich bei meinen Fluchtplänen zu bedienen be- schließe: chinesische Händler, die uns alle möglichen Dinge zum Kauf anbieten. So konnte man sich mit der Außenwelt in Verbindung setzen und sich, wenn nötig, verschiedene Dinge beschaffen, die mir zum Gelingen meiner Absichten unent- behrlich schienen. Auch bot sich bald Ge- legenheit, in die Stadt zu kommen. Wir erhalten Erlaubnisscheine, allerdings in so geringer Menge, daß der einzelne nur alle paar Woche Gelegenheit hätte, nach Ni- kolsk zu gelangen. Aber dem war abzu- helfen. Nach dem unverbrüchlichen Recht der Kriegsgefangenen, sich jedes Mittels zu bedienen, das seine Lage er- leichtern könnte, wurden Formulare die- ser Erlaubnisscheine gestohlen und ich übte mich in der Kunst, die Unterschrift unseres Lagerkommandanten nachzuma- chen. Jeden Morgen öffnete ich meine Kanz- lei um 9 Uhr und hatte bald eine zahlrei- che und dankbare Kundschaft. Ich selbst ging oder fuhr meist ohne Le- gitimation in die Stadt, indem ich mich einfach meiner mitgeführten Zivilklei- dung bediente. Nikolsk ist für uns ein Dr. Lothar Ebersberg, KitzLiühel, 1887 l)IS 1962. kleines Paradies. Die zahlreichen japani- schen Geschäfte und namentlich e:.ne deutsche Konditorei üben auf uns eine starke Anziehungskraft aus. Allerdings kosten diese Ausflüge in Anbetracht unse- rer geringen Mittel viel Geld, aber ich er- werbe damit viel mehr als angenehme Nachmittage: Ich unterlasse es nie, dem Chinesenviertel einen Besuch abzustatten und lerne durch Zeichensprache, wie auch durch Aufzeichnen gewisser Gegenstände jenen Bestand an chinesischen Brocken, den ich für die Zukunft brauche. Denn meine Absicht, zu fliehen, steht nun beim mir fest. Ich war schon vor dem Gefecht bei Ihnow mehrere Stunden in der Hand der Russen gewesen und schon damals war mir der Gedanke, als Unfreier Mona- te, vielleicht Jahre zubringen zu müssen, unerträglich geworden. Wenn ich jetzt meine Pläne den Kameraden mitteilte, er-' hielt ich meist die Antwort, daß dies en- fach blödsinnig sei. An Flucht könne man hier nicht denken. Aber ich war von Ju- gend auf für große Märsche und das La- gern im Freien trainiert, und wenn es sich hier auch um gewaltige Strecken und ein bekannt hartes Klima handelte, so schien mir doch ein Gelingen der Flucht mg- lich. Versuchen wollte ich sie auf jeden Fall. Tag für Tag studiere ich nun meinen Fluchtplan und überlege alle Möglichkei- ten und Zwischenfälle, die mir, bzw. uns begegnen könnten. Denn ich habe mittler- weile einen Kameraden gefunden, der zu dem gleichen Wagnis entschlossen ist, ei- nen gewissen Dr. Maier aus Baden bei Wien. Mit Hilfe des Seidlitz'schen Geo- Rund um den Erdball - Die flucht aus Sibirien vor 50 Jahren Aus dem Tagebuch von Dr. Lothar Ebersberg, Kitzbühel
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