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Federzeichnung von Dr. Lothar Ebersberg, entnommen seinem Tagebuch »Unsere Flucht aus sibirischer Kriegsgefangenschaft durch die Mandsch urai«. Vorne »Zanke,!«, der Chinese. Samstag, 29. Dezember 1984 Kitzbüheler Anzeiger Seite 17 Rund um den Erdball - Die Flucht aus Sibirien vor 70 Jahren Aus dem Tagebuch aus den Jahren 1914/15 von Dr. Lothar Ebersberg, Kitzbühel 9. Fortsetzung und Schluß Um 9 Uhr früh des nächsten Tages sind wir glücklich in Mukden, aber der An- schlußzug ist schon weg, und wir haben wieder das zweifelhafte Vergnügen, in ei- ner japanischen Stadt bis 4 Uhr nachmit- tags zu warten. Die Gefahr, erkannt z werden, ist wieder groß, wir haben keine Lust, ein zweites Quantschukse mitzuma- chen. Da läuft uns als rettender Engel ein freundlicher, gut gekleideter Chinese in den Weg und bietet uns sein Hotel an. Angenehmeres hätte uns in diesen Augen- blicken nicht widerfahren können. Wir nehmen zunächst ein Bad und befreien uns von dem Ungeziefer, das wir auf der gaiizen Reise nicht loswerden konnten. Hatten wir doch seit Nikolsk unsere Wä- sche noch nicht vom Leibe gebracht. Wie neugeboren geht es zum Mittagessen. Ein Mahl von 18 Gängen zeigt uns die Höhen der chinesischen Kochkunst, und die sind nicht zu verachten. Nachmittags fahren wir wieder, kom- men über Simintun nach Schanghai- Quan, übernachten dort noch einmal und sehen uns in Muse die Stadt an. Sie ist ei- ne alte Festung, von ihr aus läuft die gro- ße chinesische Mauer nach zwei Richtun- gen, dem Meer zu und in die grenzenlose Landschaft des Kontinents hinein. Jedes Bild wirkt hier überwältigend in der Fremdheit des Stils und dem Alter der Kultur. Am nächsten Tag, den 12. Jänner 1915, erreichen wir Peking, die Hauptstadt Chi- nas. Unsere Flucht scheint nun endgültig gelungen, und Zankeris Freude ist nicht minder groß als unsere. Er steht zum er- stenmal auf dem heiligen Boden der Hauptstadt des Reiches der Mitte, ein für jeden Chinesen erschütterndes Erlebnis. Auf einem sänfteartigen, rumpelnden Karren fahren wir zum Augofun der österreichischen Gesandtschaft. Dem Kutscher scheinen komplizierte Unter- scheidungen der Diplomatie nicht geläu- fig zu sein, denn er führt uns zunächst zum russischen Gesandtschaftsgebäude, ein Irrtum, der uns einigermaßen belu- stigt. Aber der Posten vor der Russenburg zeigt uns freundlich den Weg, und bald sind wir auf heimatlichem Boden. Es ist auch an der Zeit, nun endlich wieder Hilfe zu erhalten, denn unsere Gelder sind bis auf die letzte Kopeke erschöpft. Wir fin- den zuerst im österreichischen Marine- departement gastliche Aufnahme, werden dann aber von unserem Gesandten Frei- herrn von Rosthorn eingeladen und wäh- rend einer vollen Woche in liebenswürdi- ger Weise bewirtet. In dieser Zeit durch- streifen wir die Stadt und die Umgebung von Peking, und es bedürfte vieler Stun- den, um alle die Wunder zu schildern, die es hier zu sehen gab. Denn es ist noch das alte Peking, die Kaiserstadt, eine Welt grandioser Fremdartigkeit für sich. Unser treuer Begleiter Zankerl ist längst verabschiedet, und auch für uns schlägt die Stunde. Mit Pässen als österreichische Ärzte und den nötigen Geldmitteln ausge- rüstet, treten wir am 20. Jänner 1915 nach herzlichem Abschied von der Familie des Freiherrn von Rosthorn unsere Reise an. Wir fahren nach Südchina, kommen über die gewaltigen Flüsse Hoangho und Jangtsekiang und treffen schließlich in der Stadt Nanking ein. Hier ist es warm, man kann ohne Oberrock in den flotten kleinen Rikschas spazierenfahren - ein kaum glaubliches Erlebnis nach der enor- men Kälte, die wir noch vor zwei Wochen in der Manschurei zu spüren bekommen haben. Von Schanghai aus, wo wir am näch- Dr. Lothar Ebersberg, Kitzbühel, 1887 bis 1962. sten Tag eintreffen, soll die Seereise be- ginnen. Auch hier machen wir die Be- kanntschaft guter Landsleute, und nach einem rührenden Abschied von diesen Menschen fahren wir durch den mächti- gen Hafen den Jangtsekiang hinunter zu der »Manschurla«, einem 27.000-Ton- nen-Schiff der American-Pacificmail. Der Seegang erschwert das Anlegen unseres Schiffchens an den Riesen, und im Schein einiger Bogenlampen turnen wir schließ- lich die hohe Falltreppe hinauf. Wir tref- fen an Bord eine Menge deutscher Frauen und Kinder, Ausgewiesene aus Tsingtau und auch einen österreichischen Marine- kuraten, der während der Belagerung der deutschen Kolonie auf unserem Kreuzer »Elisabeth« Dienst gemacht hat. Nach zweitägiger Fahrt sind wir in Ja- pan und laufen in den Hafen von Nagasa- ki ein, um Kohle zu nehmen. Die ganze Nacht hindurch tummelt sich ein Schwarm von luftig gekleideten Japanern und Japa- nerinnen auf dem Schiff, um aus ihren kleinen Kohlebarken den Brennstoff in Körben durch die Luken zu werfen. Im Morgensonnenschein laufen wir wieder aus und fahren nun stundenlang an grü- nen Hängen und zierlichen kleinen Häus- chen entlang, hinein in die tiefen Buchten des Inselreiches. Feenhaft schöne Land- schaften tauchen vor unseren Blicken auf und versinken wieder. Wir liegen je einen Tag in den Häfen von Kobe und Jokoha- ma, dürfen aber als feindliche Ausländer das Land nicht betreten. Als wir endlich die Fahrt in den Stillen Ozean antreten, grüßt uns noch der schneebedeckte Fuji- jama, das heilige Wahrzeichen Japans. In der Mitte von einer Wolkenschichte durch- schnitten, erglänzt der Gipfel in unwirkli- cher Schönheit noch lange im Lichte der untergehenden Sonne. Zehn Tage lang sehen wir nur Himmel und Wasser, die See ist meist stark be- wegt, und vielen der Passagiere dreht sich dabei nach altem Muster der Magen um. Am 6. Februar 1915 fahren wir über die Datumsgrenze, sodaß wir diesen Tag
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