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Seite 4 Kitzbüheler Anzeiger Samstag, 4. Oktober 1986 Rotarier Herbert Jordan bei seinem Fest- Vortrag. und Machtgier, Liebe, Haß und Leiden- schaft, Herrsch sucht und Rachedurst; Neid und unzählige andere Mctive verursachen den Wunsch. Reichtum anzuhäufen. Auch ohne Not und im Besitz eines zwei- ten Fellmantels ocec eines dreizehnten 01- tankers schielt der Mensch neiderflillt über den Gartenzaun auf seines Nachbarn herr- liche Rosen. Seit Adam und Eva Gott gle:ch sein woll- ten, seit Kain seinen Bruder Abel erschlug, weil dessen Opferrauch gerader zum E-Iim- mel stieg, geschahn unzählige Verbrechen aus Neid, wurden neidverursachte Kriege geführt, wurden ganze politische Bewegun- gen aus Neidmctiven gegründet und am Le- ben erhalten. Nur wenige 'ise, Philosophen, Heilige und Irre sind ganz über Neidempfindungen erhaben. Wir anderen sind nicht frei davon. Und wenn wi schc•n keinen uni seinen Real- besitz beneiden, so doch oft um anceres: Um seine Jugend seine Gesundheit, um sein Wissen, um seine schöne Frau oder auch nu um die nackte, dem jeweiligen Schönheitsideai entprechend F:gur. Wir wollen uns dabei nicht gerne einge- stehen, daß wir genau dasselbe Maß an Ju- gend hatten, daß wir unsere Ausbildungs- möglichkeiten. nicht genilgend genützt haben. Kurz: Daß der Nacnbar seine Rosen pflanzen, düngen, veredeln, schneiden, gie- ßen und binden mußte, bis se SO weht waren, daß sie unseren Neid erwecken. So saß ich also an jenem schönen Nach- mittage vor der verschlDssenen Hitte und sinnierte vor mich hin. Dcch nicht alle Ge- danken über Besitz, Reichtum und Neid stimmten mich so froh, wie es dem friedli- chen Bilde ringsum entsprochen hätte. .Wieder blickte ich über die Berge und er- kannte und benannte viele Gipfel, die ich einmal bezwungen hatte, manche spielend und andere erst nach schwem Ringen. Sie alle hatten mich glücklich gemacht. Ich ge- noß wieder die Schönheit dieses sonnen- überfluteten Kares und zauberhaft schön war der Anblick der im leichten Winde schwankenden goldbraunen Gräser. Der dunkle Tannenwald mit seinen bun- ten Tupfen gefiel mir und der dunkelblaue Himmel darüber mit seinen lustigen klei- nen Wölkchen. Mir gehörte der Sonnenschein und mit einem Male fühlte ich mich wirklich reich und glücklich. Der Himmel, die Berge, das Kar und das Gras, die Hütte, der braune Almboden und die Gemsen: Alles, alles hatte in dieser wunderbaren Stunde mir ge- hört, obwohl nichts auf meinen Namen ir- gendwo eingetragen war. Da dankte ich meinem Schöpfer, daß er mir zwei sehende Augen gegeben hat und ein empfindsames Herz, die Schönheit sei- ner Schöpfung auch in ihren einfachen Din- gen zu erkennen. Und als ich meine Gedanken weiter- spann, fing ich an zu ahnen, wie reich ich wirklich bind und wie viel von dieser schö- nen Erde mir ebenso gehört, wie jedem an- deren Erdenbürger auch. Da besann ich mich auch, welch großes Erbe jedem von uns zuteil wird. In deiner Stunde, in deinem Augenblick in dem du sie schaust - so dachte ich bei mir - gehören die Berge und Täler, die Ufer der Seen und alle Blumen der Wiesen und Gärten dir. Der hohe Wald ist dein, wenn du ihn durchwanderst und der Quell, aus dem du trinkst. Dem Gesang der Vögel kannst du lauschen, als gehörten sie dir. Fast alle Straßen darfst du befahren und alle Wege beschreiten, die die Menschen in Jahrtau- senden errichtet haben, um zueinander zu kommen. Du kannst über Brücken zu Freunden gehen oder unbekannten Zielen zustreben. Irgendeiner hat auch dir die Erfindung des Rades vererbt und tausende haben dar- an gearbeitet, es so zu verbessern, daß du es zu deiner Bequemlichkeit und zu deinem Vergnügen benutzen kannst. Und so kam mir in den Sinn, daß alles, was Menschen- geist je ersonnen hat, auch mir vererbt wur- de. Selbst in einfachen Dingen, wie z.B. in meinem Wanderschuh steckt das Können und die Erfahrung vieler Generationen und mir kommt dies zugute. Genies und Praktiker, Wissenschaftler, Forscher, Ingenieure, Handwerker und Mil- liarden Menschen mit gesundem Hausver- stand waren vor uns und sind noch heute be- strebt, uns mit immer noch besserem Gerät zur Erleichterung der Berufs- und Alltags- arbeit zu versorgen und eine lustbetonte Freizeitgestaltung zu fördern. Alle diese Dinge sind auch ein Erbteil, das uns aus der Entwicklungsgeschichte der Menschheit zufällt und die Entscheidung, ob wir sie zu unserem Wohle anwenden, oder ob wir sie mißbrauchen, liegt fast nur bei uns. Menschlicher Erfindergeist schuf Geräte und Maschinen, die uns blitzschnell über alle bemerkenswerten Ereignisse dieser Welt informieren. Daß die guten Nachrichten vernachläs- sigt und dem Wirken des Bösen zu viel Be- achtung geschenkt wird, liegt nicht an den Maschinen, sondern an denen, die sie handhaben. Doch dank dieser Wiedergabegeräte von Bild und Ton und der hochentwickelten Kunst des Buch- und Bilddruckes wird uns der Zugang zu den Kunstwerken und Se- henswürdigkeiten aller Länder ermöglicht. Die beste Musik aller Geschmacksrichtun- gen aus den Werken der größten Musiker dieser Erde, können wir in fast vollendeter Wiedergabe durch die hervorragendsten Künstler preisgünstigst daheim genießen. Wir erleben die Schönheit ferner Länder, nehmen teil an Abenteuern, Festen und sportlichen Großereignissen. Die Museen, die Dome, die Büchereien, die Schlösser, die Parkanlagen und die Schatzkammern sind für uns alle offen und unsere Lebenszeit ist zu knapp, wollten wir nur die besuchen, die dank unserer moder- nen Verkehrsmittel leicht erreichbar sind. So können wir die größten Kunstwerke und Kunstschätze dieser Welt besichtigen und bewundern und haben nicht einmal die Sorge um ihre Erhaltung und Verwahrung. Was die Mediziner und alle Forscher der Heilkunde in Jahrtausenden erkannt, er- probt und weitergegeben haben, ist wohl unser größtes Erbgut. In so vielen Leibesnöten und schweren Krankheiten kann uns heute wirklich gehol- fen werden und selbst ein Kaiser, in dessen Reich die Sonne nie unterging, hätte gerne mit jedem von uns getauscht, wenn er bei diesem Tausch nur sein Bauchgrimmen und sein Zipperlein losgeworden wäre. So ging also diese Stunde an jenem Nach- mittage ihrem Ende zu und aus all diesen Überlegungen fühlte ich mich reich, so reich an irdischem Mitbesitz, wie keiner noch als sein Eigentum auf seinen Namen irgendwo eintragen lassen konnte. Ich war zufrieden und glücklich und ich wußte keinen, den ich beneidet hätte. Doch wie dem Rauschen des Windes nicht Einhalt geboten werden kann, sind auch die Gedanken nicht dort anzuhalten, wo sie gerade angenehm sind. Und neue Überlegungen keimten auf: Wenn du deinen Anteil am Reichtum dieser Welt für dich in Anspruch nimmst, so hast du auch an ihrem Leid und ihrer Not, an der Angst und Verzweiflung ihrer Men- schen, am Unrecht, der Ungerechtigkeit und am Mißbrauch von Macht und Einrich- tungen deinen Teil mitzutragen. Du kannst dich eine Weile vor der Veran- twortung drücken, du kannst Augen und Ohren verschließen und dich verstecken. Vor deinem Gewissen aber kannst du nicht davonlaufen. Deine ganze Generation kann ihre Pro- bleme eine Weile vor sich herschieben. Ir- gendwann aber werden wir oder unsere Nachkommen das verantworten müssen, was wir heute aus Egoismus, Trägheit, Feig- heit und Gleichgültigkeit und ganz gleich aus welchen Gründen immer, versäumen. Und unaufhaltsam kam die Frage auf: Wie steht es denn um deinen Mut, wenn es gilt, für ein Recht anderer einzutreten, wie steht es um deine Hilfsbereitschaft, wenn es dir möglich wäre, eine Not zu lindern? Da
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