Archiv Viewer
Ausgabe im Vollbild öffnen
Zurück zur Übersicht
Seite 8 Kitzbüheler Anzeiger Samstag, 25. Jänner 1986 Betmchtungen eines Pensionisten Wenn ich so zurückschaue auf die durchlebten Zeiten, wundere ich mich, wie langsam und wie schnell sie vergangen sind, daß sie überhaupt vergangen sind und wie sie im Augenblick des Erlebens vor den dafür geöffneten Augen verge- hen. Was brachten sie uns? Inhalte, die Aufgaben stellten, Einsichten ermittel- ten, sodaß uns Urteile möglich wurden und die Fähigkeit, das Leben zu bewer- ten, das eigene sowie das anderer, die Zeit selbst und ihr Strömen, ihre Strömungen, Sinn und Unsinn des menschlichen Tuns schlechthin. Als ich jung war, bedrängte mich die Frage: Muß das Leben so gelebt werden, wie es uns von den Älteren vorgelebt wird? Diese Alternative ist herrlich; glücklich der, welcher die Entscheidung darüber in Freiheit treffen kann. Das gilt heute genau so wie damals und verlangt Verständnis für die Fragestellung der heu- tigen Jungen. Es kam das Fragen nach den Werten; da fädelten sie sich auf zu einer langen Perlenkette: Gott Kaiser und Vaterland, die Freiheit, der Mensch, der Friede, Geld und Geldeswert, die Gesundheit, soziale Sicherheit, Beruf, Umwelt. Und die Fra- ge:Was ist wichtig, was wichtiger? Über das eigene Bemühen zu wählen, zu entscheiden ging die Zeit brutal hin- weg. Was wurde inzwischen nicht alles hochgejubelt und in Frage gestellt, herab- gezogen, reduziert, gepriesen und nivel- iert! Überlegen wir doch: Aus dem Kaiser wurde die Regierung, die jedermann zu jeder Zeit verunglimp- fen kann, ja die das sogar mit sich selbst tut, das Vaterland, einst Höchstbegriff, wird öffentlich kaum noch genannt, unter Freiheit versteht man heute zumeist Will- kür, der Begriff Mensch verwandelte sich auf dem Wege über den Über- und Unter- menschen zur leidigen politischen Er- scheinung, zum manipulierbaren Wähler- potential, der Friede zum kalten bis lau- warmen Krieg; man muß mit allem Nach- druck fragen, wer welchen Frieden gibt?! Das Geld regiert nicht erst seit dem Wirtschaftswunder die Welt, seitdem aber umfassender, allgemeiner, hintergründi- ger. Für die Gesundheit wird viel ausgege- ben, noch mehr dafür, sie zu untergraben. Selbst die Wissenschaft, immer auf ih- ren »neuesten Stand« stolz, bekämpft sich innerhalb verschiedener Riegen ver- bissen - und versteigt sich kontinuier- lich. Und die soziale Sicherheit, einst unbe- kannt, ersetzt durch den Fleiß, die Spar- samkeit und Kühnheit des Einzelnen, ist heute eine politische Königin. Für sie ist mancher bereit, Wertvollstes, sogar seine Freiheit zu opfern. Der Rentengeist treibt sein Unwesen im Lande. Aus dem Beruf wurde der Job, den man sich richten kann und verändern, wie es 'jeweils besser erscheint. Das Berufset- hos wird als romantische Schwärmerei ab- getan, des modernen Menschen unwert. Und in der Umwelt lebten wir früher un- behelligt und unbesorgt, waren doch Luft und Wasser in so unglaublich großartiger Menge vorhanden. Unserem propagierten und hemmungslosen Konsumverhalten gelang da eine totale Umkehr der Werte. Alle diese Veränderungen zusammen- genommen, das Auf und Ab, das Hin und Her wurden und werden immer deutlicher zum Durcheinander und steuern hin zum Chaotischen. Selbst unsere Sprache, Aus- druck des persönlichen Empfindens und Mittel der Verständigung, wird zuweilen so verwirrt, daß das gesprochene Wort et- was anderers meint, als sein bisheriger Sinn war. Was kann chaotischer sein? Der Stellenwert vieler Begriffe verändert sich fortgesetzt, sodaß uns Alten schwindlig werden kann. Und was ist aus Gott geworden? Er al- lein hat sich nicht verändert. Zu allen Zei- ten wurde und wird er verehrt, geleugnet und bekämpft oder als Notnagel in schlei- miger Reserve gehalten, je nachdem wie unbequem er den Menschen erscheint. Wenn man das alles erlebt, den Wandel der Begriffe und Inhalte durch die Zeit und ihre Verantwortlichen, wird man un- weigerlich dazu genötigt, eigene Wertun- gen, von der Zeit unabhängige Betrach- tungen anzustellen, wenn das nicht zum Segen bereits vorher geschehen ist. Denn wenn sich die Großen so irren, soll, ja muß sich der kleine Mann selbst seinen Reim darauf machen und reagieren recht- zeitig, damit Unheil vermieden wird. Er wird nicht mehr alles glauben, was man ihm vorsetzt als Erklärung der Ereignisse, er wird nicht für wahr halten, was als Wahrheit verkauft wird, wenn die Lüge unter der Verpackung für das geübte Au- ge zu erkennen ist. Das erst ist Demokratie, wenn ein mün- diges Volk seine Führer wählt nach gründlicher Überlegung, deren Tun und Lassen kritisch abwägt, bis die Waage entscheidet mit der Verantwortung des Einzelnen. Ein mündiges Volk... Wenn ich in solchem Gebiete das Ver- gangene betrachte, zeigt sich mir ein an- deres Bild der vorher genannten »Perlen- kette«: »Gebt dem Kaiser, was des Kai- sers, und Gott, was Gottes ist!« Dieser hoch politische und weise Rat Jesu Christi hat in 2000 Jahren nicht seine Gültigkeit verloren, seine Richtigkeit bestätigt sich in allen Tagen der Gegenwart. Ich folgere daher: Haben wir Achtung vor einer ver- antwortlich gewählten Regierung, zwin- gen aber wir sie, die hohen Werte zu ach- ten, ohne die es kein Zusammenleben in Eintracht geben kann: Die Achtung des Anderen, seine körperliche und geistige Unantastbarkeit und damit seine Men- schenwürde, die Freiheit von Angst und Not. Zwingen wir ihr derartige Gesetze ab und wir werden haben, was wir brauchen und uns förderlich ist. Wer jedoch gegen sie verstößt, der soll- te exemplarisch bestraft werden, sodaß durch solche Strafe nicht nur die Qualität des verletzten Wertes unterstrichen, son- dern dem Rechtsbrecher auch der Hang, die Lust hierzu beschnitten würde. Denn er tut die Untat derzeit leichter, unge- hemmter, - soweit sie bei schlechten Ge- setzen überhaupt verboten ist - weil er wenig zu befürchten hat. Welch ein Irr- tum zu meinen, Strafe halte nicht ab. Von einem so fundamentales Recht schützen- den Arm ginge hohe sittliche Kraft aus, welche die moralischen Grenzwerte des Einzelnen anheben könnte. Das Vaterland beispielsweise wäre im Bereich solchen Denkens anzusiedeln, Heimat ist dort, wo man nicht allein ist. Es wäre wieder in den Herzen der mei- sten; und könnte jederzeit von jedermann erlebt werden, in Frieden und Freiheit, ohne Krampf und Krieg. Als Folge einer solchen Gesinnung vie- ler würden die Missetaten Weniger kein Gewicht haben, keine Versuchung dar- stellen, das Ansehen von Geld und Gel- deswert sollte sich in Grenzen halten und, wenn die Eigenverantwortlichkeit sich al- so entwickelte, so käme mir vor, wäre auch unsere Umwelt imstande, zu leben und uns das Leben zu ermöglichen. Es ist zu hoffen, daß auch diese Ent- wicklung zu endgültigem Durchbruch kommt, so wie wir uns heute das Leben auch nicht mehr vorzustellen vermögen ohne seine Bereicherung durch den Sport (den Breitensport) und die Natur, welche wir früher als unseren Feind ansahen und bekämpften, inzwischen aber lieben und nun schützen und bewahren wollen. End- gültig, wir alle. Auf sozialem Gebiet lernten wir bereits umdenken. Solidarisches Denken brachte uns den Zusammenschluß vieler und da- mit die Institution der Gewerkschaft. Zu- nächst war diese nach Farben ausgerich- tet, also politisch: Die Richtungsgewerk- schaft. Noch dachten und trachteten die Menschen getrennt. Man ahnte jedoch schon das Zusammenwachsen, waren es nicht die gleichen Sorgen und Anliegen, hüben und drüben, bei Schwarz und bei Rot? Aber erst die Katastrophe aller, der Tod von Millionen Menschen, die Ver- nichtung der Sachwerte von Generatio- nen, die gemeinsam getragenen schweren Schicksale bewirkten bei den Übriggeblie- benen den Durchbruch, endlich nicht mehr das Trennende, sondern das Ge- meinsame in den Vordergrund zu stellen und das Erforderliche miteinander zu tun. Es verbanden sich die einzelnen, verschie- dener politischer Richtung zugehörenden Gewerkschaften und bildeten den einheit- lichen unpolitischen Gewerkschaftsbund. Not und Tod waren wieder einmal Lehr- und Baumeister gewesen. Jene lange und härteste Zeit war von zwei Männern geprägt, die unvergessen bleiben, von Leopold Kunschak und Jo- hannes Böhm, Exponenten verschiedener politischer Prägung. Ihr Erbe verwalten wir heute. Reg. Rat Hans Osterreicher
< Page 7 | Page 9 >
< Page 7 | Page 9 >