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Seite 8 Kitzbüheler Anzeiger Samstag, 12. März 1988 Leserzuschriften zumGeden1fth1 Verlust und Gewinn der Freiheit Freiheit, Gleichheit, Brüderleichkeit: Be- griffe, für deren Inhalte die Menschen schon zur Zeit der Französischen Revolution auf die Barrikaden gestiegen sind, verblieben als Ideale, die sich der Mensch seither nicht- mehr rauben lassen möchte, weil sie zu sei- nem Wesenszug gehören, ihm notwendig sind wie die Luft zum Atmen und erste Vor- aussetzung für seine weitere Entwicklung. Die Idee der Gewerkschaft fußt im Grund- sätzlichen auf dieser Vorstellung. Wer in der Gemeinschaft arbeitet, lernt mitfühlen, die Schwierigkeiten der Arbeits- und Beruft welt kennen und darüber nachdenken, wie die Verhältnisse am und um den Arbeitsplatz, die ja Lebensv erhältnisse vorstellen, ver- bessert werden könnten. Schillers Worte: »Der Mensch ist frei, und wr'er in Ketten geboren!«, sind Illusion für des Menschen physische Existenz. Er kann sehr wohl in Ketten gelegt und auch geistig geknebelt werden. Seine Zunge aber ist befä- higt zu sprechen, durch sie vermag er, sich zu artikulieren, mittels der Sprache sich zu individualisieren. Erst diese Eigenschaft unterscheidet den Menschen vom Tier. Die Sprache macht den Menschen frei undfür die Sprache braucht er die Freiheit. Um für die Arbeitswelt und ihre Menschen sprechen zu können, erkämpfte er sich die institutionale Existenz, die Gewerkschaft, in Osterreich, in den Jahren der 1. Republik, noch auf den Wegen über die politischen Parteien als sogenannte Richtungsgewerk- schaften. Die Freiheit der Meinungsäuße- rung, die Organisation und das geeignete Sprachrohr, die eigene Presse sowie das wichtige und gewichtige Streikrecht waren die unabdingbaren Voraussetzungen zur Entwicklung und zum Wachstum der Ge- werkschaftsidee und zu ihrer Verwirkli-. chung. Vor 50 Jahren wurde dieses mühsam er- richtete Fundament über Nacht zerstört. Nach dem Verschwinden Osterreichs von der Landkarte wurden zwar die damaligen Gewerkschaften in den Deutschen Gewerk- schaftsbund überführt, was jedoch ihrer Auflösung gleichkam. Auch die Mächtigen des Nationalsozialismus wagten es nicht, den Arbeitenden das Gesicht der Organisa- tion zu nehmen, sie schalteten diese aber gleich, d.h., deren Funktionäre mußten Par- teileute sein und konnten als solche nur als Befehlsempfänger wirken. Krieg und Kriegsverhältnisse machten eine gewerk- schaftliche Tätigkeit bald sowieso unmög- lich. 1945 lag alles in Trümmern, nicht aber die Idee der Gewerkschaft. Die Menschen, wie- der Osterreicher, lernten diesmal aus den Fehlern der Vergangenheit und bildeten einheitliche Gewerkschaften, in welchen alle politischen Meinungen zu Worte kom- men konnten. Langsam, aber stetig besserten sich die Arbeitsverhältnisse in allen Bereichen, kein Arbeitsplatz wurde unbeachtet gelassen. Auch mit den Arbeitgebern wurde mit der Zeit eine Basis vernünftiger und gleichbe- rechtigter Partnerschaft erarbeitet. Das war eine evolutionäre Entwicklung, welche die Möglichkeiten abwägen lernte und ein Ver- handlungsklima schuf, in welchem man in der Person des Verhandlungspartners nicht mehr, wie früher, den Gegner oder gar Feind, sondern den verantwortlichen Mitge- stalter des sozialen Friedens betrachtete, den man nicht überfordern soll. Eine schritt- weise Bewußtseinsänderung, zu neuen Denkweisen hin. Der heutige Mensch steht meist ahnungslos vor dem Hinweis auf den steinigen, aber küh- nen, mit tausenden Teilerfolgen. gepflaster- ten Weg zu den seither veränderten Arbeits- bedingungen aller Art, die durch solche Ge- meinschaftsarbeit erreicht werden konnten. In der Gegenwart sieht das so selbstver- ständlich aus, was in der Vergangenheit als Utopie, als Traumvorstellung erscheinen mußte. Deshalb mögen wir alle bedenken: Wer sich heute außerhalb der Organisation stellt, ist nicht nur undankbar, sondern auch kurzsichtig, denn er raubt seinen Arbeitska- meraden und Berufskollegen und sich selbst die Möglichkeit und Kraft, in der Gegenwart dafür zu sorgen, daß die Errungenschaften der Vergangenheit auch in der Zukunft er- halten bleiben. Hüten wir uns, jemals wieder im Anders- denkenden den Feind zu erblicken, gegen ihn Haß zu empfinden und Gewalt auch nur im Geiste zu hegen. Gerade der Geist muß frei bleiben von Aggressivität, denn hat diese ihn einmal erfaßt, wird sie auch in das Handeln einfließn und zur Tat drängen. Eine solche Tat wird jedoch eine nicht menschwürdige sein und die Freiheit des Einzelnen vernich- ten. Und hüten wir uns überhaupt vor Gefüh- len, dort, wo der Verstand zu entscheiden zuständig ist. Wir hatten ihn damals, am Grab unserer Freiheit, gleichfalls beerdigt. Reg.-Rat Hans Osterreicher Bezirksobmann der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Sektion Pensionisten Der 11. März 1938 und die Kirchberger Bauern Der 11. März 1938 brachte nicht nur den (Wieder-)Anschluß an das Deutsche Reich, dem unser Heimatland seit Karl dem Großen bis zum Jahre 1806 angehört hat, sondern auch die Um- und Entschuldung von 60 Bauernhöfen in Kirchberg, von denn 20 im Jahre 1938 vor der Zwangsversteigerung standen. Der Anschluß wurde - mit wenigen Aus- nahmen - allgemein begrüßt und am 10. April 1938 stimmten in einer geheimen Wahl von 1408 wahlberechtigten Kirchbergern 1403 für und5 gegen den Anschluß. Die Führer der Vaterländischen Front und der Frontmiliz (Heimatwehr) blieben unbe- helligt, nur ein Jugendführer wurde vorüber- gehend angehalten. 1945 war dieser Führer der Widerstandsbewegung in Kirchberg die treibende Kraft dieser »Bewegung«. Es war ein Polizeibeamter aus Wien. Der Bauernführer der Vaterländischen Front wurde 1938 in den neuen Bauernrat und in den Gemeinderat berufen. Die Ortsgruppe des Tiroler Bauernbundes, der 1938 aufgelöst wurde, blieb in Kirchberg als NS-Bauernschaft bestehen und zu den bisherigen Mitgliedern kamen nun noch die »Illegalen« und drei Bauernsöhne, die dem Bauernbund bisher nicht angehört haben, dazu. Zwei dieser Bauernsöhne und angehende Bauern sind später im Krieg in Finnland gefallen, der dritte hat den (Bomben-)Krieg in Villach überlebt und ist heute der letzte noch lebende Mitgründer der Bauernbund- Ortsgruppe Kirchberg vor 1945. Neuer Bauernführer und Bürgermeister in Kirchberg wurde 1938 Herbert Paufler, ein Sohn des letzten deutschen Direktors der Landwirtschaftsschule Sterzing, Friedrich Paufler. In den neuen Gemeinderat wurden die Bauern Josef Ascha ber (als Beigeordneter), Josef Fuchs, Egid Koidl und Josef Wurzrai- ner (als Räte) berufen. Herbert Paufler, der von 1938-1945 das Bürgermeisteramt innehatte, wurde 1950 in den Gemeinderat gewählt und 1956 einstim- mig wieder zum Bürgermeiste rgewähit. Mit 27 Dienstjahren war Herbert Paufler (gest. 1976) der am längsten amtierende Bürger- meister von Kirchberg. Anton Flecksberger Kirchberg Stadtpfarrer Joseph Schmid und das Jahr 1938 Nur die Älteren unter uns erinnern sich noch, wie es damals beim Anschluß im März 1938 war. Ich war damals 11 Jahre alt. Etwas aus dieser Zeit bleibt mir unauslö- schlich im Gedächtnis. Stadtpfarrer Joseph Schmid, vor seiner Berufung nach Kitzbü hei (1930), erfolgreicher Domprediger in Salz- burg, erfaßte klar die Strömungen der dama- ligen Zeit. So wissen wir aus dem von ihm herausgegebenen »Kitzbüheler Pfarrboten« (eine Einrichtung, die es damals noch nir- gends gab), daß er für die soziale Frage sehr aufgeschlossen war (Arbeiterelend) und Aktivitäten zur Linderung der furchtbaren Not der damaligen Zeit setzte. Stadtpfarrer Schmid erfaßte auch klar, was mit dem her- einbrechenden Nationalsozialismus auf uns zukommen. In seiner direkten Art ließ er die Gläubigen darüber auch nicht im Unklaren. So erinnere ich mich noch ganz klar an einen Sonntag im März 1938. Der Platz war für uns Kinder in der 4. Bank auf der Män- nerseite der Pfarrkirche. Pfarrer Schmid predigte von den aktuellen Geschehnissen. Die Kanzel befand sich damals noch auf der rechten Seite. Da habe ich noch das Bild vor mir, wie sich Pfarrer Schmid förmlich über die Brüstung der Kanzel beugt und die Worte spricht: »Lieber laß es mich so abführen (dabei zeigte er die Geste der gekreuzten und geknebelten Hände), als daß ich mir einst nachsagen ließe, ich wäre ein schlechter Seelsorger gewesen«. Ein wahrhaft uner- schrockenes Wort! Es ist auch bekannt, daß in der Folgezeit die Predigten von Schmid von Gestapo-Leuten mitstenographiert wur- den. Die Folge war, daß Pfarrer Schmid mehrmals in kurzer Untersuchungshaft war. Dir. Peter Brandstätter Kitzbühel
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