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Seite 26 kitzbüheler Kinzeiger Samstag, 23. Dezember 1989 Der zweite Weltkrieg hat in allen Län- dern und besonders in Europa eine Un- zahl von Schwerstversehrten mit sich ge- bracht, darunter besonders viele Solda- ten, junge Menschen im blühenden Alter, die vor ihrer Verwundung ganz ausge- zeichnete Sportler und Skiläufer waren, ja darunter Hochalpinisten und erfahrene Kletterer. Für all diese jungen Menschen bedeutete die Vorstellung, nie mehr auf Skiern stehen zu können, Abschied neh- men zu müssen von den bisherigen Berg- erlebnissen ganz Schreckliches und es wa- ren gerade die psychischen Eindrücke, die am Anfang zu schweren innerlichen Kri- sen führten, weil das Gefühl des Krüppels und der vollen Abhängigkeit, des Unselb- ständigen schwer auf einem lastete. Hinzu kam, daß es am Anfang dieser Zeit - so von 1942 an - noch kaum Beispiele gab, an denen man sich aufrichten konnte bzw. Hoffnung besaß, diesen nachzu- eifern. Und trotzdem setzte ungefähr von 1943 an eine Entwicklung ein, die den Versehr- ten-Skilauf in Zukunft ganz enorm prä- gen sollte und zu einem Erfolg in punkto Beherrschung und Fahrtechnik führte, die niemand zu diesem Zeitpunkt erahnen und voraussehen konnte. Es waren dies auf der einen Seite die so- genannten Krückenskil"ufer - eine voll- kommen neue Art des Skilaufes - das sind Oberschenkelamputierte, die mit dem gesunden Bein auf einem Ski und mit den Krücken fuhren, auf denen zwei klei- ne Skier befestigt waren, und auf der an- deren Seite die übrigen Versehrten-Ski- läufer wie Unterschenkelamputierte mit Prothese, Kniegelenksversteifte und Arm-Amputierte. Erst nach dem Kriege kam dann noch eine eigene Gruppe von Versehrten-Skiläufern hinzu und zwar die Vollblinden bzw. stark Sehbehinderten, Wie kam es überhaupt zum Krückeuskilauf? Nach den mir vorhandenen Unterlagen war es der Berchtesgadener Franz Wendl, der richtungsweisend eine Entwicklung einleitete, die damals wirklich niemand voraussehen konnte. In einem Erlebnisbe- richt, den er mir 1948 schrieb, kann fol- gendes entnommen werden: Vor seiner Verwundung am 2. August 1941 in Rußland war Franz Wendl ein be- geisterter Tourenläufer im Winter und im Sommer ein Wanderer und Kletterer in Als Skilehrer /95() um Aitbu!jeI. Fels und Eis. Nach dem Verlust eines Oberschenkels brach in ihm eine Welt zu- sammen und er war seelisch restlos gebro- chen. Plötzlich erinnerte er sich an einen Bildbericht »Wie Amputierte ihr Schick- sal meistern«, den er schon vor dem Krieg in einer illustrierten Zeitung gelesen hatte, und er sah in Gedanken das Bild eines Einbeinigen mit drei Skiern einen Nor- malski am Fuß des gesunden Beines und zwei kleine Skier an den Krücken anstelle der Gummis. Diese Erinnerung ließ ihn plötzlich hoffen und der Gedanke, doch noch skifahren zu können, ließ ihn nicht mehr los. Im Winter 1942/43 war es dann soweit; er bastelte sich zunächst das Gerät mit den Krückenskiern und versuchte es dann auf einer kleinen Wiese. Um hangauf- wärts gehen zu können, zog ihn sein Bru- der mit einem Strick und dann fuhr er los. Die Erfolge waren nicht gerade erfolg- reich, aber sie zeigten ihm einen neuen Weg, vor allem, daß am Krückengerät noch verschiedenes geändert werden müßte. Er setzte sich mit seinem Freund, Friedl Täuber, einem Schlossermeister und bekannten Skiläufer, in Verbindung und nun versuchten sie so lange das Krückengerät zu testen und zu ändern, bis es den gewünschten Erfolg brachte. Auf- tretende Mängel wurden laufend verbes- sert und kleine Pannen konnte er immer an Ort und Stelle beheben, da Franz eine Menge Werkzeug im Rucksack bei sich führte. Es erforderte zwar ein beinhartes Trai- ning, aber der Erfolg gab ihm schließlich recht und unwahrscheinlichen Auftrieb. Seine erste Abfahrt unternahm er nach Wochen am Kreuzeck bei Garmisch; un- terwegs brach ihm ein Gelenk von einem Krückenski, so daß er den Rest der Ab- fahrt auf seinem Langski sitzend zurück- legen mußte und kam mit einer zerrisse- nen Hose, blauen Flecken und Hautab- schürfungen erschöpft und todmüde im Tal an. Aber das Erlebnis war so groß und bereits im Mai 1944 bestieg er mit sei- nem Kameraden Friedl Hermanek aus Salzburg den Gipfel des Hohen Göll, um den Winter mit einer unwahrscheinlich genußreichen Abfahrt beschließen zu können. Franz Wendl wurde später vom deut- Sport höchsten Auszeichnung, dem »Sil- bernen Lorbeerblatt« geehrt und für seine Pioniertat ausgezeichnet. Er kann mit Recht als Wegbereiter des Krückenskilau- fes bezeichnet werden und von ihm ging eine ganz große Ausstrahlung aus, da er bereits im nächsten Jahr verschiedene Nachahmer gefunden hat. Und wie verlief die Entwicklung in Osterreich? Es sind zwei Oberschenkelamputierte gewesen, und zwar Herbert Zimmermann und Karl Winter aus Salzburg, die mit dem Krückenskilauf begonnen haben. Herbert Zimmermann wurde Anfang 1943 in Afrika verwundet und kam nach 9monatiger Kriegsgefangenschaft im Aus- tauschwege nach Salzburg zurück und war ebenfalls bestrebt, mit dem Skilauf noch einmal zu beginnen. Er versuchte es erst am Gaisberg mit seiner Oberschenkel- prothese, aber der Erfolg war nieder- schmetternd. Da hörte er durch Bekannte von einem Amputierten aus Berchtesga- den, daß dieser statt der Prothese mit zwei kleinen Skiern an den Krücken fahren würde, und so verband er sich mit seinem Lazarettkameraden Karl Winter und sie ließen sich im Winter 1943/44 Krücken- skier bauen. Im Lazarett - von den Kameraden »Verrückte« genannt - bekamen sie ei- nen Genesungsurlaub auf der Lärchfilz- hochaim bei Fieberbrunn und dort pro- bierten sie und testeten sie mit dem Versehrten-Skilauf in Österreich und seine Entwicklung innerhalb des ö SV bis 1953 von Sepp Zwicknagl 1990 veranstaltet der Ski-Club kitzbiihel das »S4hste« Jubiläum - Hahnenkammren- nen. Dieses wird vom KSC, zum Anlaß genommen, mit Kitzbüheler Vereinen eine Wo- che lang im Rahmen dieser einmaligen Veranstaltung, sowohl in sportlicher, gesell- schaftlicher als auch kultureller Hinsicht durchzuführen. Unter anderem gibt es auch einen sogenannten Nostalgie-Tag, an dem in Form von Vorführungen gezeigt werden soll, wie sich der Skilauf hinsichtlich seiner Technik und Ausrüstung in den vergange- nen Jahrzehnten entwickelt hat. So hat sich auch der Versehrten-Skilauf, der ebenfalls auf eine 47jährige Vergangen- heit zurückblicken kann, formiert und anläßlich dieser Großveranstaltung des KSC wird vor dem Abfahrtslauf des Hahnenkammrennens eine Demonstrationsvorführung von Versehrtenskiläufern verschiedenster Verletzungsgrade stattfinden, die durch die großzügige Hilfe des KSC und durch eine Sponsortütigkeit der Raiffeisenbank Kitzbü- hei ermöglicht wird. In diesem Zusammenhang dürfte es auch nicht uninteressant sein, eine Abhandlng über die Enstehung des Versehrten-Skilaufes in Osterreich bzw. im OSV darzulegen, zumal gerade von Kitzbühel aus gewisse Impulse ausgegangen sind.
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