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Samstag, 16. Juni 1990 VJtzbüheler Anzeiger Seite 15 Nicht Sieger oder Besiegte, sondern mehr Gäste durch mehr Mitarbeiter ist die Lösung Seit Jahren schon ist das Hauptthema der Fremdenverkehrswirtschaft die Frage der ausreichenden Mitarbeiterschaft in den Be- trieben. Dies nicht nur, um das Preis - Lei- stungsgefüge intakt zu halten, sondern auch das Verhältnis zwischen dem Standard der Einricitungen und dem des Service ins Gleichgewicht zu bringen, aber vor allem um dem immer anspruchsvoller werdenden Gast Genüge zu tun. Die schönste handge- schnitzte Plafonddecke, die aufwendigste Halle, das großzügigste Hallenbad und das bequemste Schlafzimmer nützen dem Gast nichts, wenn es zu ebener Erde, das heißt am Tisch, an der Bar, in der Reception, von den Etagen bis zum Keller, niemanden gibt, der ihm in der Erfüllung seiner Urlaubswün- sche mehr behilflich wäre, als es derzeit in Ermangelung an entsprechenden Mitarbei- tern möglich ist. Der Mensch von heute und noch mehr der von morgen ist leistungsbewußt. Er muß zu Hause seine Leistung im Beruf bringen und er darf sie daher als Gast auch für sich in An- spruch nehmen. Mit noch so höflichen Ent- schuldigungen über nicht vorhandene Lei- stungen oder Fehlleistungen kann der Urlauber leider nichts anfangen. Er will verständlicherweise nicht die Sorgen und Nöte des Vermieters oder Gastronomen mit- tragen, denn dafür legt er ja sein wohlver- dientes Geld nicht auf den Tisch. Es kommt die Sommersaison mit Riesen- schritten auf uns zu, es sind die Kammer- wahlen geschlagen und die Lage auf dem Mitarbeiterbereich ist nach wie vor ungelöst und bedrohlicher als je zuvor. Fast schon ist der österreichische Fremdenverkehr an einem Scheideweg angelangt. Entweder wir gehen den Weg in Richtung bessere Lei- stung zu einem besseren Preis weiter oder wir fallen aus der jetzigen Position zurück, müssen in der Qualität unseres Angebotes zurückschrauben und selbstverständlich dann auch beim Preis Haare lassen. Wohin diese Schraube nach unten endet, weiß je- der, der diesen Fehler begangen hat. Das touristische Armenhaus Europas wäre das unvermeidliche Ende einer solchen Talfahrt. Jede weitere Investition in die betrieblich oder örtliche Infrastruktur wäre umsonst und eine Fehlleistung. Das muß jedem klar sein, der im Fremdenverkehr mitdenkt und mitarbeitet und der am Fremdenverkehr mitpartizipiert. Das sind zu einem nicht un- erklecklichen Teil auch die staatlichen Insti- tutionen. Wollen wir uns gegen eine derartige Ne- gativentwicklung wehren, wollen wir uns die Chance, im großen europäischen Markt eine touristische Spitzenposition einzuneh- men und damit gutes, hartes EWG-Geld zu verdienen nicht nehmen lassen, dann müs- sen unverzüglich zwei Angelegenheiten ge- löst werden: 1. Die Einführung einer Staffelung der Arbeitslosenbezüge in der Weise, daß die Zuschüsse mit der Länge der Nichtbeschäf- tigung so weit abnehmen, daß die Aufnahme der Arbeit wieder interessant wird, und 2. die Genehmigung und Einführung der Saisondienststellen. Warum es für diese Lö- sung, die in der Schweiz ausgezeichnet funktioniert und sich bewährt, in Osterreich so große Bedenken und Widerstände gibt, ist unverständlich, denn wenn man jeman- dem, der zu Hause keine Arbeit findet, bei uns eine Verdienstmöglichkeit eröffnet, wenn diese auch nicht durchgehend sein kann, dann verstehe ich nicht, wo der inhu- mane Aspekt liegt. Beide Lösungen würden der Fremdenver- kehrswirtschaft gute und mehr Mitarbeiter zuführen, wobei dem Mitbürger, gleichgül- tig ob er Inländer oder aus dem Ausland kommt, der arbeiten will ebenso geholfen ist, wie den Gastronomen, und allen übri- gen Touristikbranchen, die mehr und besse- re Leistungen für ihre Gäste erbringen wollen. Selbstverständlich bedarf es nebst der Schaffung der gesetzlichen Maßnahmen auch der Mitarbeit der Unternehmerschaft, denn die besten gesetzlichen Voraussetzun- gen bleiben Papier und werden kaum Wir- kung zeigen, wenn nicht auch betriebsintern nach einem besseren Umfeld für die Mitar- beiter Sorge getragen wird. Es sind dies die Schaffung bzw. Zurverfügungstellung ent- sprechender Unterkunftsmöglichkeiten, das nach dem Können und der Leistung ge- staffelte Einkommen und die geregelten Arbeits- sowie Freizeiten. Geht die Freizeit- regelung in Ermangelung der notwendigen Mitarbeiter nicht, sinkt bei den wenigen Mitarbeitern die Arbeitsleistung und die Einstellung zum Beruf und zu den berufli- chen Aufgaben mit der Fortdauer der Saison von Woche zu Woche und erreicht nicht sel- ten den Punkt des Ausstieges aus dem Frem- denverkehrsberuf. Wenn ein Angestellter nur nominell ein Mitarbeiter ist, in der Tat aber von diesem soliden Verhältnis zwischen dem Unterneh- mer und dem Arbeitnehmer nicht viel zu merken ist, dann liegt es an einem Teil allein nicht, sonst wären ja die bekannt verläßlich guten Betriebe nicht so erfolgreich, in denen es Mitarbeiter mit zehn- und zwanzigjähri- ger Betriebszugehörigkeit gibt. Allen, die mehr Qualität auf Dauer bieten wollen, ist das bekannt und für diese Spitzenunterneh- mer der Spitzenqualität auch bereits eine Selbstverständlichkeit. Einfach aber ist die Sache mit den mehr und mit den besseren Mitarbeitern natürlich nicht, denn für höher Löhne und Gehälter, bessere Mitarbeiterunterkünfte und mehr Freizeit ist ein entsprechend höheres Unter- nehmenseinkommen notwendig, müssen höhere Preise erzielt werden. »Sie werden vom Gast bezahlt, wenn nebst den infra- strukturellen Einrichtungen die mensch- liche Betreuung stimmt. Ich möchte sogar behaupten, daß die menschliche Leistung, das fachliche Können, die Freude am Beruf, die Höflichkeit, das Zukommen auf einen Menschen, das Verstehen und Helfen wol- len, gegenüber allem Komfort an Gewicht und Bedeutung gewinnen wird, so wie die Bedeutung der heilen Natur um einen her- um immer wichtiger wird. Was wir also im- mer dringender brauchen, sind Menschen, die für Menschen dasein wollen, weil auch andere für sie da sind.« Kommerzialrat Wolfgang Hagsteiner, selbst Hotelier und jahrzehntelanger Kam- merfunktionär, hat die Situation schon lan- ge erkannt, wußte bereits lange um die Ge- fahr und hatte, weil es anders nicht zu gehen schien, mit der Unterstützung weitsichtiger Beamter auf regionaler Ebene, in einem persönlichen Kraftakt ein Beispiel sonders- gleichen im vergangenen Jahr gesetzt. Es war beinahe ein Verzweiflungsakt, eine Flucht nach vorne, die er als Gastwirte- Obmann mit der Beschaffung von Saison- arbeitern, für seine Berufskollegen und -kol- leginnen angetreten hatte. Es ist zu hoffen, uan dieses signal, daß dieser Vorstoß in die Richtung Saisonier, nach Abschluß der Be- rufsvertretungswahlen von den Funktions- und Entscheidungsträgern aller Gruppie- rungen verstanden und gemeinsam verfolgt und durchgefochten wird. Es darf in dieser Frage aber keine Sieger oder Besiegte ge- ben, es darf in dieser Frage nur zufriedene Gäste, zufriedene Unternehmer und zufrie- dene Mitarbeiter geben, zum Wohle des österreichischen Tourismus und zum Wohle unserer gesamten Wirtschaft. Dr. Josef Ziepl Tür-Gurt-Start - bei jeder Fahrt Nachkomme eines Emigranten wurde 80 Im 18. Jahrhundert haben aus wirtschaft- lichen oder religiösen Gründen unzählige Deutsche ihre alte Heimat verlassen und im Osten eine neue Heimat gefunden und auf- gebaut. Viele ihrer Nachkommen mußten diese nach dem zweiten Weltkrieg oder erst jetzt wieder verlassen oder sind, wie die Balten- deutschen und die Wolgadeutschen, schon während des Krieges umgesiedelt worden. Russen deutscher Abstammung in Lenin- grad wurden in den Ural verbannt, wo viele, wie Professor Konstantin Fljaksberger 1942, starben. Heute sollen noch in der Sowjetunion fast 2 Millionen Russen deutscher Abstammung leben. Einer von ihnen, Arkadi Fljaksberger, konnte am 17. April 1990 in Leningrad sein 80. Lebensjahr vollenden. Er ist ein Nach- komme des Emigranten Jakob Flecksber- ger, der 1732, erst 7 Jahre alt, mit seinen El- tern vom Flecksberghof in das Land »an der Memel« zog und 1805 im heutigen Litauen starb. Als Arkadi 1910 als Sohn eines Ministe- rialbeamten in Petersburg und Enkel eines Regierungsbeamten in Grodno geboren wurde, hieß Leningrad, nach dem Zaren Peter dem Großen, noch Petersburg (Petro- grad); 1924 in Leningrad umbenannt.
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