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SEITE 32 LOKAL-ANZEIGER SAMSTAG, 26. OKTOBER 1991 Da erhebt sich zunächst die Frage, warum die Bauern - zu- mindest ein erheblicher Teil - im Zeitalter der Technik, des Ver- kehrs und des Fahrzeuges mit ihrem Vieh überhaupt noch per Fuß und in voller Pracht unter- wegs sind? Diese Frage habe ich als privater Meinungsforscher" vielen Leuten gestellt und bekam die verschiedensten Antworten, die meines Dafürhaltens zum allergrößten Teil unzutreffend waren. Hier die häufigsten Anworten: Weil es eben Brauch ist. Mit dem Brauchtum hat unser "Auf - bischen sicher etwas zu tun, aber wir wollen es nicht bei dem ober- flächlichen Brauch bewenden lassen. Echtes Brauchtum kann und wird sich nur erhalten, wenn damit Grundwerte verbunden sind. Wo immer Brauchtum zum Selbstzweck wird, oder als Mit- tel zum Zweck degradiert wurde, fehlt die Reinheit, Beständigkeit und Glaubwürdigkeit. Da wird Volksmusik zur volkstümlichen Musik, der Schuhplattler zum Ge- fälligkeits-Watschinger, die Tracht zum Allerweltsdirndl, das Volkslied zur Schnulze, die Volkskunst zum Kitsch. Der Brauch des Aufbischens basiert auf Freude und Dankbarkeit über den guten, heilen Almsommer. Bauersleute und Almpersonal wußten seit jeher, daß Wetter, Gesundheit von Mensch und Vieh, der sprichwörtliche Reim, keine machbaren Dinge sind. Da gehört neben der persönlichen Pflichterfüllung und viel Fleiß auch Glaube, Vertrauen und Ge- lassenheit dazu, die beim Heim- fahren auch öffentlich zum Aus- druck gebracht werden dürfen. In diesem Sinne kann die feier- lich-festliche Almheimfahrt als Erntedank der Hömdlbauern und auch als Prozession (Gotteslob) der Almgemeinschaft verstanden werden. Wer bei den einzelnen Almfahrten genauer hingeschaut hat, dem werden die geflochte- nen christlichen Motive (IHS, Kranz und Kreuz, Fürbittafeln) nicht entgangen sein. Weil es die Verkehrsvereine und Gemeinden so wollen, unterstützen und fördern. Dazu eine ganz klare Feststellung: Wegen der Gäste bischen wir sicher n i c h t auf. Unsere Vor- fahren haben vor Jahrzehnten, vielleicht vor Jahrhunderten die heimkehrenden Tiere ge- schmückt, wo man noch ohne klickende Spaliere mit Würde und Humor durch St. Johann gehen konnte. Beim traditionel- len Verabreichen des selbstge- brannten Tropfens konnte man damals mit dem einen oder ande- ren Bekannten oder Freund so- gar noch ein paar nette Worte wechseln. Aber: Wenn unsere Gäste un- sere Almheimfahrten miterleben wollen, weil sie offenbar zwi- schen produzierter Massenware und handwerklich geschmückten Leben gut unterscheiden und werten können, dann wolien wir sie daran gerne teilhaben lassen. Ist Tirol ein Gastland ocer ein Fremdenverkehrs-industrieland? Daß die Verkehrsvereine und Gemeinden ein ursächliches In- teresse an den Almabfahrten haben, liegt auf der Hand. Wie Obmann Karl Rainer (im Herz- en ein glaubhafter Almbauer) und BM Dipl. Ing. Part! bein Alm- bauerntag in St. Johann erwähn- ten, sind die Präsente für die Almbauern und das Almperso- nal eine kleine Anerkennung für den Aufwand an Arbe:t und Material des Schmücken ‚ aber auch ein Dank für die Ianceskul- turellen Leistungen auf unseren Almen. Nicht mehr und nicht weniger! Den sarkastischen Buchhalter höre ich allerdings flüstern, daß uns diese Glocke verdammt teuer kam. Damit sie den Vekehr behin- dern und auf diese Art demon- strieren können. Das waren die dümmsten und äergerlichsten Antworten und stammten aus- nahmslos von Einheimischen. Glaubt im Ernst jemand, daß es ein Vergnügen ist, mit einer Herde von 30-40 Rindern 20 km auf einer stark frequentierten Landes- oder Bundesstraße zu wandern? Ich möchte es nieman- den wünschen, mit einer solchen Herde auf eine stehende Autoko- lonne aufzufahren. Tiere im vol- len Marsch haben nämlich immer noch kein ABS-Bremssystem eingebaut. Daß die Rinder als Verkehrsteilnehmer vom Ver- trauensgrundatz ausgenommen sind, dürften manche Motorisier- te offenbar vergessen haben. In diesem Zusammenhang erhebt sich allen Ernstes die Frage, wo bei solchen "Massenaufmär- sehen" unsere Exekutive bleibt? Zwischen Fieberbrunn und Obern-dorf habe ich mitten auf der Straße, an den Straßenrän- dem, ganz besonders in der St. Johanner Speckbacher Straße tausende Zuschauer gesehen, aber kein einziges Amtskappel eines Gendarmerie- oder Poli- zeibeamten. Ist es wirklich die Aufgabe der Bauern und des Almpersonals, den Verkehr zu regeln und die Verantwortung des schadlosen Verkehrsgeschehen zu tragen? Sicher, zu kassieren gibt es bei solchen Anlässen nicht allzuviel. Die promillverdächti- gen Verkehrsteilnehnmer sind ja zu Fuß unterwegs. Aber zu re- geln, dazwischenfunken, zu hel- fen hätte es für Freunde und Helfer genug gegeben. Keine Weisung vom Ministerium oder der Bezirksverwaltungsbehörde? Keine rechtzeitige Anmeldung? Urlaubszeit? Wochenende? Per- sonaleinsparung? Wie auch im- mer: Wir haben sie vermißt! Weil auch die Bauern einmal eine Schau abziehen wollen. Wenn Sie unter Schau nur eine Massenattraktion verstehen, dann wollen wir uns davon di- stanzieren. Wenn Sie aber unter Schau eine Repräsentation einer Viehherde verstehen,m dann stimmen wir Ihnen bei. Jeder Mensch hat das Bedürfnis und auch das Recht, auf seine gute Arbeit mit Genugtuung und Dankbarkeit zu verweisen. Die Qualität einer Rinderherde ist das Produkt einer jahrelangen züch- terischen zielstrebigen Arbeit. Der Emährungszustand der Tie- re gibt über die Qualität einer Alm und insbesondere über die Güte des Almsonimers (Wetter, Kulturzustand der Weideflächen) Aufschluß. Der pfiegezustand der Viehhherde sagt letzten Endes auch über die sorgfältige Betreuung durch das Almperso- nal einiges aus. Warum sollen wir unser Licht unter den Scheffel stellen? Ver- miest uns die Ajmabfahrten nicht so, damit wir auch im nächsten Jahr wieder mit Freude und Herz aufbischen können. Georg Ritzer Melker b. Hörpfinger, Reith Warum die Almbauern aufbischen Der Sommer ist vorbei und wieder einmal sind wir mehr oder weniger festlich von der Alm ins Tal gefahren, eigentlich mit dem Vieh gegangen. Rund um diese Albabfahrten, die immer einiges Aufsehen, vor allem bei den Gästen, aber auch bei der einheimi- schen Bevölkerung erregen, sind auch einige Ungereimtheiten zu vermerken. Daher wollen wir uns als Betroffene und - wenn man will . als Verursacher einmal grundsätzlich zu Wort melden.
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