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Dr. Maria Hromarka mil ihrem Gatten und Präsident Dr. Robert S'korpil (r.) bei einer Ehrung durch de Volkshochschule Foto: Herta Waich (Stadtarchiv Kitzbähe) Dr. Maria Hromatka-Neusser zum Neunzigsten Wenn man, wie immer vom Fleck weg in angeregte Gesprä- che verwickelt, mit ihr über die vertrauten Wege am Sonnberg wandert, vergißt man völlig dar- auf, daß sie in diesen Tagen ihren Neunziger feiert: Dr. phil. Maria Hromatka-Neusser, geboren am 3. März 1902 in Wien, Wahlkitz- bühelerin seit fast fünf Jahrzehn- ten. Neunzig Jahre - welche Span- ne an Leben in diesem bewegten, von zwei Weltkriegen ohneglei- chen und überall radikaler Ver- änderung erschütterten Jahrhun- dert! Der Blick zurück geht in eine versunkene Welt: verwöhn- te Kindheit im kaiserlichen Wien; der Vater, Dr. Edmund von Neusser, Universitätsprofessor und Hofarzt, ist der führende Internist seiner Zeit. Noch ein 1990 erschienenes Buch über die bedeutendsten Persönlichkeiten der österreichischen Medizinge- schichte gedenkt des großen Arztes und Menschenfreundes in tiefer Verehrung. Ihm zuliebe gibt die Mutter Paula, geb. Mark, eine glanzvolle Karriere als Sän- gerin auf, die sie schon in ganz jungen Jahren an die Spitze der Wiener Hofoper geführt hat. Das Glück ist kurz: schon 1910 verlieren Maria und ihre beiden Brüder den Vater; es folgen Weltkrieg, Zusammenbruch, Vermögensverlust. Die Mutter kehrt nicht mehr an die Oper zurück, aber ermöglicht als gefragte Gesangspädagogin den Kindern das Studium. Die hochbegabte Maria begei- stert sich für Kunstgeschichte, begreift sie, nicht immer im Sin- ne ihrer Lehrer, in weiter Schau auf die gesamte Kulturgeschich- te. Auf langen Studienreisen sieht sie sich gründlich in Rom und Paris um und ist fasziniert vom unruhig pulsierenden geistigen Feiert in diesen Tagen ihren 90er. Dr. Maria Hromatka Leben des damaligen Wien, des- sen brodelnde Kreatvität und wi- dersprüchliche Vielfalt se merk- würdig mit dem gleichzeitigen wirtschaftlichen Niedergang und der politischen Zerrissenheit kon- rasLeren. Sensibel und weltof- fen, blitzgeschei: und um- schwärmt nimmt die unge Dok- :orir, Lektorir, Rezensentin engagiert daran teil. Erzählt sie heute davon, dafin tauchen längst zur Legende gewordene Namen plötzlich ins warm-- Licht per- sönlicher Nähe - Loos, Doderer, Faislauer, aber auch Kelsen oder die Meitner. Der sogenannte Zufall beschert hr den LebempartrEer aus einem ganz anderer Kreis: Dr. Anton I-lromatka, aus Wels gebirtiger Zahnarzt und damals vor allem Sporsmann, renommierter Wild- wasserfahrer und Pionier des Skibergsteigens (u.a. erste Kau- kasus-Durchquerungen). Wie schon die Muiter, gibt sie ihren Beruf auf, ist nur" noch Frau und Mutter. Den drei Kindern bekommt das gut, besonders als der Vater, Kniegsfreiwilliger des Ersten Weltkriegs, auch im Zweiten freiwillig einrückt, dies- mal als Kieferchirurg. Vor Bomben nach Kitzbühel geflüchtet Im Elend der Ve:bandsplätze und Lazarette reift ihm der bis- herige Brotbertt zur echten Be- rufung, Anstoi für viele Jahre intensiver wissenschaftlicher Arbeit, die den späteren Kitzbü- heler Zahnarzt Hnnorarprcfessor der Universität Berlin werden läßt. 1944 flieht Frau Dr. Hromatka vor Bomberaigriffen und schlechter Vers argung mit ihren Kindern zu einer Freundin nach Kitzbühel, haust bei Kriegsende zu siebt in einem Zimmer, schlägt sich von Woche zu Woche durch, pflegt den krank heimgekehrten Mann. Aber langsam kommt wieder Biden unter die Füße. Dr. Hro- matka kann die Praxis seines tragisch verunglückten Kollegen Dr. Walleczek übernehmen, ein kleines 1-laus am Sonnberg wird gemietet, viele Jahre später so- gar eins gebaut. Interessante Gäste: Sedlmaier, Tichy Die Hrornatkas wachsen ganz in den Kitzbüheler Alltag ein, gehen aber nicht in ihm unter. Noch in den denkbar kargen Ver- hrltnissen der ersten Nachkriegs- ja--ire wird das Haus Hromatka zum Treffpunkt ganz besondere Q.ialität für einen wachsenden Kttzbüheler Freundeskreis und bleibt es für zweieinhalb Jahr- zehnte - gesellige Abendrunden, die geprägt sind von herzlicher, zwangloser Gastfreundschaft und der feinen Kunst der Gastgebe- rin, unmerklich stets eine so hohe GesprächslKultur entstehen zu lassen, daß man sich beim (oft sehr späten) Abschied jedesmal angeregt und bereichert fühlt. Immer wieder auch kommen aus dem großen Bekanntenkreis der Hromatkas besonders inter- essante Gäste: die Kunsthistori- kerkollegen Sedlmaier und Hahnloser, Heinrich Harrer und Herbert Tichy, Herfried Hoin- kes, Irenäus Eibl-Eibesfeld nnd Günter Dyhrenfurt, die Thirrings, Luise Ullrich und in den frühen Jahren auch manchmal noch die alte Frau von Neusser mit kost- baren Erinnerungen als Harmo- nieschülerin Anton Bruckners und frühe Interpretin Hugo Wolfs. Großes Engagement für Volkshochschule Viele ihrer Gäste gewinnt Frau I)r, Hromatka auch für Vorträge in der Kitzbüheler Volkshoch- schule, die sie von 1956 bis 1968 mit unentwegtem Idealismus er- folgreich leitet. Und neben Haus- halt, Kindern und Volkshoch- schule findet sie irgendwie immer wieder Zeit, auch noch als Kunst- historikerin tätig zu sein, hält Vor- träge in Osterreich und im Aus- land, schreibt Bücher, Essays, Rezensionen, eröffnet viele Ausstellungen (darunter auch die ersten in Kitzbühel bei Maier und Infeld) und führt zu besonderen Anlässen selber in Wiener Mu- seen. 1972 gibt Prof. Hromatka aus Alters- und Gesundheitsgründen seine zahnärztliche Praxis auf, und das Ehepaar Hromatka zieht nach Maria Enzersdorf zu den Kindern, die alle im Wiener Raum seßhaft geworden waren: die Ärztin Dr. Maria Schnetzer, deren ältester Sohn nun in vierter Generation die Medizinertradi- tion der Familie fortsetzt; Dr. Franz Hromatka, in leitender Stellung in der Industrie tätig, und Christi Hromatka, die nach langen Wanderjahren, u.a. in der UNO-Botschaft bei Dr. Wald- heim in New York, zur Wiener Industrie heimgefunden hat. 1973 verstarb Prof. Hromatka, 1987 der Schwiegersohn, der Chirurg Prim. Dr. Jörg Schnetzer, und seither wohnt Dr. Maria Hromat- ka-Neusser im Haus ihrer ver- witweten Tochter - wenn sie eben nicht in ihrem so vertrauten und liebgewonnenen Kitzbühel ist. Noch immer liest sie viel und versorgt ihre Freunde ständig mit neuester Literatur und Büchern aus vielen Wissensbereichen, freut sich an Musik und unter- nimmt kleine Reisen. Wen ver- wundert da eigentlich ihr uner- hört guter Zugang zu jungen Menschen, die die souveräne Größe der alten Dame spüren, sich angenommen und verstan- den fühlen von ihrer in neun Jahrzehnten gereiften, tiefen Einsicht ins Menschsein schlechthin, ihrer Herzenwärme und ihrem hellwach gebliebenen, lebensbejahenden Geist. W. Pincher
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