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SAMSTAG, 3, APRIL 1993 LOKAL-ANZEIGER SEITE 9 Werden "aktive "Patienten schneller gesund? Auswirkungen der Persönlichkeitsstruktur auf den Heilprozeß Wie wirkt sich die Persönlich- keitsstruktur auf den Heilungs- prozeß aus? Eine Frage, die mir oft von Patienten gestellt wird, mit der aber auch wir Ärzte lau- fend konfrontiert werden. Ohne jetzt allzu tief und nur schwer greifbar auf die menschliche Psyche eingehen zu wollen, kann man doch eines klar feststellen. In einem großen österreichischen Krankenhaus wurden 1988/89 mehrere Hundert Patienten mit gerissenen Kreuzbandern ope- riert. Alle wurden von ein und demselben Unfallchirurgen und alle nach derselben Methode behandelt. Und trotzdem stellte man nach längerer Zeit bei einer Nachuntersuchung fest, daß sich einige Patienten wieder über ein gesundes Kniegelenk freuen konnten, andere allerdings nach wie vor Probleme mit ihrem Knie hatten. Der Frage, wie es dazu kam, wollten wir nachgehen und leiteten daraufhin eine wissen- schaftliche Untersuchung ein. Das Ergebnis war verblüffend. Um bei einer Operation ein zu- friedenstellendes Ergebnis erzie- len zu können, muß davon aus- gegangen werden, daß für den Heilungsprozeß bis zu 50% aus- schließlich der Einstellung und der Persönlichkeitsstruktur des Verletzten zu verdanken sind. Also nicht, wie man gerne glaubt, ausschließlich von der Leistung des Chirurgen und von der Nach- behandlung und Rehabilitation abhängen. Im Detail fanden wir bei der Untersuchung heraus, daß speziell extrovertierte und dyna- mische Führungspersönlichkei- ten zwar relativ schnell nach einer Kreuzbandoperation wieder fit waren und ein normales Leben führen konnten, andererseits das Kniegelenk aber nie mehr so stabil wurde, wie ursprünglich erwartet. Bei eher introvertier- ten, weniger dynamischen oder sogar ängstlichen Patienten konn- ten wir zwar ein stabiles Kniege- lenk vorfinden, der Heilungspro- zeß dauerte allerdings mindestens doppelt so lang, und was blieb waren bestehende Bewegungs- einschränkungen am operierten Kniegelenk. Grund dafür ist, daß bei extrovertierten und dynami- schen Menschen zuviel Aktivität festgestellt wurde, während in- trovertierte und ängstliche Pa- tienten zuwenig aktiv sind. Die Aufgabe des Arztes ist es dem- nach, bei einem Teil der Men- schen die Aktivität etwas zu bremsen und bei dem anderen Teil die Aktivität zu erhöhen. Was sich allerdings immer wie- der zeigt, ist, daß in Osterreich im Fall einer Krankheit gerne ein Anspruchsdenken entwickelt wird. Man geht zum Arzt, hält ihm Hand oder Knie hin und erwartet sich daraufhin, bestmög- lich behandelt zu werden. Erfor- derlich wäre allerdings, daß alle Ärzte das Gefühl entwickeln, welcher Mensch welche Opera- tion oder Therapie benötigt und nicht jeder Patient einheitlich nach der gleichen Methode be- handelt wird. Motivation und Kommunikation zwischen Arzt und Patient dürfen nicht hintan- stehen, sondern müssen als we- sentlichster Schritt am gemein- samen Weg zu einer bestmögli- chen Behandlung gesehen wer- den. Und auf der anderen Seite muß auch jeder Patient ein Be- wußtsein zu seinem gesundheit- lichen Problem entwickeln und auch verstehen, nicht allein den Leistungen des Arztes ausgelie- fert zu sein, sondern mit seiner Eigeninitiative aktiv an seinem Heilungsprozeß mitarbeiten zu können. Die zunehmend moder- ner und technischer werdende Medizin hat uns zum Teil fehlge- leitet. Ein Körperteil darf trotz aller fortschrittlicher Möglich- keiten nicht isoliert werden und dementsprechend schon gar nicht so behandelt werden. Bereits vor der Operation muß der gesamte Mensch mit seiner Persönlich- keit und seiner sozialen Struktur betrachtet werden. Denn nur dann können wir von einem wirklich erfolgreichen Genesungsprozeß ausgehen. Dr. Topay
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